Ran ans Archiv!

Immer noch keine ruhigen Zeiten: Fotografenlegende Günter Zint in seinem Museum Foto: Mathias Thurm

Günter-Zint-Stiftung gegründet – Sankt Pauli Museum bald wieder offen

Über drei Millionen Mal hat er auf den Auslöser gedrückt. Die alte Fotografen-Tugend „Ran ans Motiv“ nimmt Günter Zint immer wörtlich“, beschreibt Panfoto ihren Gründer, der die Musikfoto-Agentur 1963 gemeinsam mit Paul Glaser ins Leben rief. Anfang der 80er kam das legendäre Sankt Pauli Museum hinzu, das er privat auf die Beine stellte. Doch nun heißt es für den Dokumentarfotografen „Ran ans Archiv!“. Schließlich wollen noch 5 seines 6,5 Millionen schweren Foto-Schatzes digital gesichert werden. Wieviel Arbeit dahinter steckt, wie es um das Sankt Pauli Museum sowie seine gerade gegründete Stiftung steht und weshalb sich sein neues Buch eher an Freunde richtet, hat „GüZi“ im Interview mit M verraten.

Unter seine Mails schreibt er „Love & Peace“ anstelle von „Mit freundlichen Grüßen“. Immer auf Augenhöhe, mit jedem per Du, so kommt man mit dem „Alt-Hippie“ und „Gebrauchsfotografen“ schnell ins Gespräch. Er ist alles andere als abgehoben, obwohl er vielleicht allen Grund dazu hätte. Schließlich dokumentierte er mit seiner analogen Kamera die wichtigsten politischen Ereignisse der letzten Jahrzehnte – unter anderem die Straßenkämpfe der Pariser Studenten im Mai 1968 oder die Greenpeace-Aktion von Monika Griefahn gegen die Giftmüllverklappung in der Nordsee. Mitte der 60er Jahre gelang ihm im Hamburger „Star Club“ der Durchbruch. The Beatles, John Lennon, The Doors und Jimi Hendrix posierten vor seiner Linse – noch lange, bevor sie überhaupt berühmt wurden. Bis heute schmücken die Pop-Reliquien Zints Portfolio, der unter Panfoto auch das umfangreiche Bildarchiv von Günter Wallraff führt sowie 15 Fotografennachlässe von Größen wie Germin, Schorer, Andres, Bieber und Hartz verwaltet.

Ende der 70er Jahre kamen neben weiteren Aufträgen für „Stern“, „Spiegel“, „Konkret“ sowie Gewerkschafts- und Auslandszeitungen immer mehr politische Werke hinzu. Der Bildjournalist lebte damals in der APO-Press Kommune mit Günter Wallraff, Henrik Broder, Ulrike Meinhof, Karl-Heiz Roth und weiteren Aktivisten aus der linken Szene, was ihn sicherlich stark in seiner dokumentarischen Fotografie-Ausrichtung prägte. Zints Schwarzweißfotos aus dieser Zeit transportieren Aufbruchsstimmung, sie haben auch gegenwärtig nichts von ihrer Faszination verloren. Fast zeitgleich vergrößerte sich auch sein zweites Zuhause – Panfoto: Anfang der 80er Jahre gewann Zint Gleichgesinnte wie Marily Stroux, Gaby Schmidt, Hinrich Schultze und Jutta Stadach als Team für seine Bildagentur, während Inge Kramer jahrelang die Geschäftsführung übernahm und ihn derzeit tatkräftig bei der Bild-Archivierung unterstützt.

Von seinen Bildern und Geschichten zehrt der 80-jährige Chronist noch heute. Er möchte, dass die Nachfolgegeneration auch etwas davon hat. Denn der weltoffene pazifistische Verfechter der Menschenrechte sieht sich als Zeitzeuge, der einen Aufklärungsauftrag zu erledigen hat. Zints Wunsch ist es, seine historischen Momentaufnahmen weiterhin in Umlauf zu bringen. Dem Dokumentarfotografen war es von Beginn seiner Karriere an wichtig, seine Bilder so breit wie möglich zu streuen. Es bringe ja schließlich nichts, wenn man historisch-wertvolle Schätze in einem Kästchen aufbewahrt und wegschließe. Dann bekommt die Welt davon nichts mit. „Als ich den Verband der Dokumentarfotografen gründete, hatten wir anfangs einen Copyright-Stempel, auf dem stand ‚Elektronische Bildverarbeitung verboten‘. Nach einem Jahr nutzten wir ihn nicht mehr, weil wir mit dieser Aussage keine Umsätze mehr mit unseren Fotografien erzielten“, erklärt Zint. So verzichtet er auch gegenwärtig auf Exklusiv-Rechte an seinen Fotografien. Wichtig ist ihm in erster Linie das Mitnutzungsrecht seines Archivs.

Herausforderung Digitalisierung

Um die Sichtbarkeit und somit Erinnerung an Vergangenes zu erhalten, müssen die Bilder heutzutage digital archiviert werden. Ein großer Teil seiner dokumentarischen Arbeiten ist nicht nur online zugänglich, sondern befindet sich unter anderem bei der „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ in Berlin – 15.000 seiner Bilder sind hier gelagert. Auch seine Arbeiten aus der Anti-Atomkraft-Bewegung sind größtenteils gesichert. Zint schenkte das gesamte Gorleben-Archiv der Atomkraftgegnerin Marianne Fritzen zu ihrem 90. Geburtstag. Diese gab es weiter an den gleichnamigen Verein „Gorleben Archiv e.V.“ in Lüchow und das „Deutsche Technikmuseum“ in Berlin. Weitere historische Fotografien von Zint sind im „Haus der Geschichte“ in Bonn und in der „Deutschen Fotothek“ in Dresden untergebracht.

Die Arbeit, die hinter der digitalen Archivierung steckt, stellt sich jedoch als eine große Herausforderung dar. Denn schließlich müssen Millionen von Bildern nicht nur gescannt, sondern auch beschriftet werden. „Bilder erklären sich manchmal nicht von selbst, sie sind interpretierbar“, deshalb ist es Zint so wichtig, sie zusätzlich mit kurzen Beschreibungstexten zu versehen. Die Problematik hierbei: Viele jüngere Mitarbeiter*innen können die Fotos nicht historisch zuordnen, da ihnen das Hintergrundwissen zum Entstehungszeitpunkt fehlt. Deshalb leisten Eva Decker und das restliche Team die Vorarbeit und scannen die Bilder. Zint überprüft sie am Ende nach Richtigkeit der Zuordnung und Beschriftung. Ohne ihn geht’s kaum.

Noch nicht alles im Kasten

1,5 Millionen Fotos des Zeitzeugen sind bereits online und kommerziell verfügbar. Fünf Millionen fehlen noch. Doch, bis alles im Kasten ist, dauert es. Seit 2004 archiviert der Fotograf seinen Nachlass. Der Publizist Jan Philipp Reemtsma stellte ihm hierfür einen sechsstelligen Betrag zur Verfügung. Mit diesem Geld konnte Zint unter anderem einen Scanner kaufen, während ihm sein Sohn Jonni, der Informatiker ist, eine Datenbank einrichtete. Seitdem nutzt Panfoto das standardisierte Datenformat IPTC zur Speicherung von Metadaten in Bilddateien, um die vorgegebenen Richtlinien zur einheitlichen, digitalen Foto-Archivierung einzuhalten. Die restlichen Bilder möchte er nun gemeinsam mit seinem „alten Team“ digitalisieren, um letztendlich den gesamten Bestand und die Exponate des Sankt Pauli Museums in der erst kürzlich gegründeten „Günter-Zint-Stiftung“ zu vereinen. Nachdem das Sankt Pauli Museum Ende 2020 coronabedingt insolvent ging, musste Zint seine Ausstellungsstücke privat und in der Tiefgarage eines Aparthotel am Ende der Reeperbahn lagern. Bevor das Museum bald wieder in Hamburg öffnen soll, stellt Zint ab dem 12. November im Museum Schwedenspeicher in Stade einen auserwählten Teil des Bestands unter dem Motto „Das Sankt Pauli Museum im Exil“ aus.

Ziel seiner Stiftung ist, alles, was er selbst in seinem Leben schuf, gesammelt oder gestaltet hat, nachhaltig aufzubereiten und unter einem Dach für die Zukunft zu bewahren. Um dieses Ziel letztendlich zu erreichen, bekommt der Fotograf auf der Vorstandsebene familiäre Verstärkung von seiner Tochter Lena Asrih und seinem Sohn Jonatan Zint. Im Herbst wird die „Günter-Zint-Stiftung“ dann ihre Räumlichkeiten in der Gaußstraße in Hamburg beziehen. Worüber sich Zint übrigens noch freut ist, dass ein Teil seiner alten Mitarbeiter*innen, von denen er einigen notgedrungen im Zuge der Museumsschließung kündigen musste, wieder zurückkehrt. Zwei davon, Stefan Lindner und Eva Decker, sind derzeit schon aktiv. Inge Kramer, mit der er seit Jahrzehnten zusammenarbeitet, ist auch bald wieder dabei. Gemeinsam wohnen sie mit fünf anderen „Alt-Hippies“ und vier Kindern in der „Freien Republik Behrste“, ein alter Bauernhof in der Nähe von Stade. „Dieser Bereich darf nur von freundlichen Personen betreten werden“, steht auf dem Ortseinfahrtsschild vor ihrer Alten-WG geschrieben. „Wir gucken uns nur die schönen und guten Sachen des Lebens an. Den Rest lassen wir vor der Tür“, betont Zint.

Ein Bildband mit Insider-Texten

Wer ihn kennt, weiß jedoch, dass er sich auch mit den Schattenseiten im Leben beschäftigte. So war er beispielsweise Teil der Studentenbewegung in den 68ern, setzte sich vehement für eine bessere Umwelt ein und begleitete 1967 den Sechstagekrieg im Nahostkonflikt mit seiner Kamera. Die sonnigen und schattigen Seiten seines Fotografendaseins dokumentiert er gleichermaßen in seinem neuen Buch „Das Panfoto Projekt“ – ein Bildband mit Insider-Texten, den er gemeinsam mit seinem Fotografen-Kollegen und langjährigem Freund Paul Glaser sowie weiteren Mitarbeitern*innen von Panfoto verfasste. Im Herbst soll die Chronik erscheinen, die sich als Dank eher an die großen Persönlichkeiten richtet, die hinter den Kulissen von Panfoto und des Sankt Pauli Museums tätig waren. Aber auch seine Fans dürften Freude an dem Sammelband haben, denn darin plaudern Zints Bekannte bisher ungehörte und unerhörte Geschichten aus.

Insgesamt ist es eine chronologische Zusammenfassung vielseitiger Bild- und Textsorten. So veröffentlicht Zint beispielsweise Gespräche eines „Veteranentreffs“, das eine Mitarbeiterin heimlich unter Freunden organisierte, um dem Buch eine gewisse Intimität zu verleihen. Unterhaltsam dürfte auch die von Paul Glaser verfasste Biografie über „den Zint“ sein. So schreibt dieser 1966: „Zint ist, wie immer, ein Irrwisch. Er hat mehr Ideen pro Tag als er in einem Jahr umsetzen kann. Er will eben unbedingt berühmt werden. Gestern hat es nicht geklappt, aber er gibt dem Ruhm noch drei Wochen Zeit, sonst, wer weiß, was er sonst macht, aber es wird schrecklich sein.“ Eher abenteuerlich ist ihre gemeinsame Reise nach Strömstad 1964, auf die Paul Glaser die Leser*innen mitnimmt. Ihren historischen Charakter erhält die Chronik dank Glasers Erinnerungen an den Adenauer-Staat und die Nachkriegszeit in Deutschland.

Franz Josef Strauß gibt Wallraff beim Aschermittwoch 1985 in Passau auf dessen Bitte hin ein Autogramm. Nebenstehenden Männern der Security fallen der aufgeklebte Schnauzer und die Perücke des Journalisten nicht auf. -Foto: Günter Zint
Franz Josef Strauß gibt Wallraff beim Aschermittwoch 1985 in Passau auf dessen Bitte hin ein Autogramm. Nebenstehenden Männern der Security fallen der aufgeklebte Schnauzer und die Perücke des Journalisten nicht auf. Foto: Günter Zint
Günter Wallraff als „Türke Ali“ (l. oben) in seinem Buch „Ganz unten“ von 1984. Wallraffs Erfahrungsbericht hatte eine deutschsprachige Auflage von über 4 Millionen und wurde in mehr als 30 Ländern übersetzt. Günter Zint war mit seiner Kamera immer dabei. 1986 wurde das Buch verfilmt.
Günter Wallraff als „Türke Ali“ (l. oben) in seinem Buch „Ganz unten“ von 1984. Wallraffs Erfahrungsbericht hatte eine deutschsprachige Auflage von über 4 Millionen und wurde in mehr als 30 Ländern übersetzt. Günter Zint war mit seiner Kamera immer dabei. 1986 wurde das Buch verfilmt.n Foto:

Günter Wallraff vor der Redaktion der Bild-Zeitung in Hamburg 1977 und in einer Redaktionssitzung der Bild-Zeitung in Hannover 1977.
Günter Wallraff vor der Redaktion der Bild-Zeitung in Hamburg 1977 und in einer Redaktionssitzung der Bild-Zeitung in Hannover 1977. Fotos: Günter Zint

 

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