Redaktionen brauchen den weiblichen Blick

screenshot: Journalistinnenbund

„Vielfalt in den Medien ist kein Akt der Gnade, sondern ein Frühwarnsystem.“ So das klare Statement von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) in ihrer Keynote anlässlich der Jahrestagung des Journalistinnenbundes (jb) am 11. Juni in Berlin. Sie würdigte Fortschritte bei der Gleichberechtigung von Frauen in der Medienbranche: „Fast vierzig Prozent Frauenanteil in den Chefetagen der Leitmedien sind ein Erfolg.“ Der weibliche Blick sei aber auch in Bezug auf den Ukraine-Krieg nötig, mahnte sie. Männer würden als Kämpfende gezeigt, Frauen als Flüchtende. Der Beitrag der Frauen bei der Verteidigung bekomme zu wenig Aufmerksamkeit.

Wie sehr in Zeiten von Krieg und immer mehr autoritären Regimen die Vielfalt ein kostbares, vor allem aber demokratisierendes Gut sein kann, zeigte die Diskussion mit ukrainischen, belarussischen und deutschen Journalistinnen. Frauen bekämen häufig einen besseren Zugang zur Zivilgesellschaft, berichtete Sabine Adler, Leiterin des Reporterpools Osteuropa beim Deutschlandfunk. Sie könnten deshalb intensiver über die zivilen Schrecken eines Krieges berichten.

Von ihrer weiblichen Sichtweise auf den Krieg, ihren Ängsten, Schuldgefühlen, aber auch über die Bedeutung von Humor als Waffe berichteten die osteuropäischen Kolleginnen. Doch wie kommt mehr weibliche Perspektive in die Redaktionen? Nur gemeinsam, ist sich Lena Böllinger, freie Journalistin, sicher. Sie betrachte mit großer Sorge die Twitterisierung der Medien, die für mehr Zersplitterung sorge, dies aber als Vielfalt verkaufe. „Lasst uns endlich die Kräfte bündeln,“ unterstützte sie das Tagesthema „Solidarität statt Konkurrenz“.

jb-Vorsitzende Friederike Sittler, betonte, dass im jb alle Medienfrauen willkommen sind. „Unabhängig von ihrer Herkunft, mit wem sie ihr Leben teilt, ob sie Kinder hat oder keine, ob sie aus prekären oder etablierten Verhältnissen stammt, aus Ost- oder West, wie alt sie ist, ob sie behindert ist oder welche religiöse oder weltanschauliche Überzeugung sie hat.“ Der jb trete für Frauen, für Qualitätsjournalismus, für Gleichberechtigung ein.

Beim Thema Vielfalt hilft auch Transparenz. „Ein penibles Zählen sorgt für mehr Klarheit“ bestätigten sowohl die Medien- und Genderforscherin Elizabeth Prommer als auch Wiebke Nieland, Frauenvertreterin des Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB). Frauen über 45, mit Migrationshintergrund oder mit Beeinträchtigungen kämen nach ihren Erhebungen kaum vor – ausnahmslos in allen deutschen TV-Sendern, so Prommer. Doch es gibt auch positive Beispiele: Beim RBB werde mit großem Engagement die 50:50 Herausforderung der BBC umgesetzt. Dadurch habe sich schon einiges positiv verändert, erklärte Nieland.

„Die besonderen Sichtweisen, die Frauen auf die Welt haben, dürfen im Journalismus keine Leuchttürme bleiben, sondern müssen Normalität werden“, so das Fazit der Tagung durch die rheinland-pfälzische Staatssekretärin Heike Raab.

Der Journalistinnenbund zeichnete drei Journalistinnen mit den jb-Medienpreisen 2022 aus. Brigitte Fehrle erhielt die undotierte Hedwig-Dohm-Urkunde. Während ihrer beeindruckenden Karriere habe Fehrle etwa bei der „taz“ und der „Frankfurter Rundschau“, bei der Wochenzeitung „Zeit“ und als Chefredakteurin bei der „Berliner Zeitung“ gearbeitet. Den mit 1.200 Euro dotierte Courage-Preis für aktuelle Berichterstattung erhielt die Regisseurin Vera Kritschewskaja aus St. Petersburg. Sie wurde für ihre Dokumentation „F@ck this job – Abenteuer im russischen Journalismus“ ausgezeichnet. Der Marlies-Hesse-Nachwuchspreis, dotiert mit 1000 Euro, ging an die Journalistin und Filmemacherin Simona Dürnberg für ihre TV-Dokumentation „Reiches Land – arme Frauen?“ (NDR).


Nachwuchsarbeit fördern

Um Nachwuchsjournalistinnen zu unterstützen, hat der jb ein Recherche-Stipendium ins Leben gerufen. Bewerbungen sind ab sofort bis zum 1.9.2022 möglich. Dotiert ist es mit 2000 Euro. Die Gelder dafür stammen aus dem Kreis der Hedwig Dohm Preisträgerinnen.

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