Altbacken, langweilig und viel zu viele: Newsletter galten lange Zeit als überholt. Doch das hat sich geändert. Aus den USA kommt der Trend, dass auch einzelne Journalistinnen und Journalisten ihre Inhalte im Abo direkt an ihre zahlende Leserschaft ausschließlich mailen. Sie stehen weder im Netz noch in gedruckten Medien. Wer Insider-Infos für zahlungsbereite Kundschaft liefert, kann damit sogar Geld verdienen. Einfach ist das allerdings nicht.
In einer Umfrage der PR-Agentur „Frau Wenk“ nannten 2020 die meisten der 55 befragten Entscheider*innen aus der Digitalbranche Newsletter als ihre wichtigste Informationsquelle. Tatsächlich erreichen Portale wie T-Online oder Fachdienste wie Politico Europe damit sehr viele Leserinnen und Leser.
Inzwischen nutzen Journalisten-Netzwerke vermehrt diesen Verbreitungsweg für ihre Beiträge. Felix Rohrbeck und Christian Salewski haben als Investigativ-Journalisten jahrelang vor allem Skandale in der Wirtschaft aufgedeckt. „Die Leute haben sich aufgeregt und das war’s dann“, bilanziert Rohrbeck. Jetzt suchen sie Lösungen. Zusammen mit Informatik-Kaufmann und IT- Ingenieur Dominik Sothmann sowie einigen weiteren haben die beiden im vergangenen September den Newsletter Lets Flip gegründet.
Jeden zweiten Freitag stellen sie darin ein Unternehmen vor, das die Wirtschaft nachhaltiger, sozialer, klima- und umweltfreundlicher machen will. Motto: „Gemeinsam bauen wir eine bessere Wirtschaft.“ Auf ihrer Internetseite versprechen sie „verlässliche Fakten“, „echte Alternativen“ und eine „starke Community“. Tatsächlich schauen sich die Autorinnen und Autoren die Unternehmen genau an, bevor sie sie im Newsletter vorstellen. Unabhängige Experten beurteilen die Erfolgsaussichten und die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells. Zum Schluss entscheiden die Leser*innen per Klick auf einer Skala von 1 (Flop) bis 10 („Flip“), ob sie das Unternehmen überzeugt. Viele bestehen den Test. Andere enden als „Flop“.
Aus den Bewertungen der Leserschaft wird ein Durchschnittswert errechnet: der Flipscore. „Damit wollen wir Licht in den Dschungel der Nachhaltigkeitssiegel bringen“, erklärt Felix Rohrbeck und hofft, diese Bewertungen auch irgendwann vermarkten zu können. Genaueres wisse man dazu noch nicht. Der Newsletter ist bisher kostenlos und werbefrei. Die Redaktion möchte ihre Unabhängigkeit wahren.
Obwohl schon mehrere tausend Menschen nur über Mundpropaganda Letsflip abonniert haben, erzielt das Projekt bisher keine Einnahmen. Es finanziert sich aus der Unterstützung mehrere Stiftungen und einem Gründerzuschuss der Stadt Hamburg. Nun werden Investoren gesucht.
Newsletter sind gefragt. Aber damit Geld zu verdienen ist ein langer, mühsamer Weg. „Das kann sehr gut funktionieren, wenn man eine glaubwürdige Quelle ist und wenn man die Leute aus seinen Netzwerken kennt“, sagt Lars Rinsdorf, Dekan des Studiengangs Crossmedia an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Wer schon vor dem Start des Newsletters viele Follower in den „sozialen Medien“ hatte, findet schneller Abnehmer. Ein bekannter Name hilft dabei natürlich. Entscheidend seien Informationen, aus denen die Abonnent*innen „Geschäftsvorteile generieren können.“
Gelungen ist das Politico Europe in Brüssel. In verschiedenen Newslettern informiert das Unternehmen seine Abonnent*innen kompakt – und mitunter humorvoll in einer sehr persönlich gehaltenen Ansprache – über wichtige Trends in der europäischen Politik. Die klar definierte, zahlungskräftige Zielgruppe: Politiker*innen, Verbände, Unternehmen und Lobbyist*innen, die sich für Insider-Informationen aus der Brüsseler EU-Blase interessieren.
„Bei uns bekommen Sie wertvolle Informationen, die andere nicht haben“, nennt der deutsche Chefredakteur Florian Eder einen entscheidenden Erfolgsfaktor. Allein mit der aktuellen Diskussion um das europäisch-südamerikanische Mercosur-Abkommen befassten sich bei Politico ständig drei feste Redakteur*innen. „Das können kleine Büros mit insgesamt nur drei Korrespondenten in Brüssel nicht leisten“, beschreibt Eder den Vorsprung seines Arbeitgebers. Insgesamt arbeiten im Politico-Newsroom regelmäßig rund 100 Journalistinnen und Journalisten.
Die Rechnung geht auf. Eder schätzt, dass neun von zehn Kunden ihr Abo jährlich erneuern, „weil unser Journalismus sie in ihrer Arbeit unterstützt, indem er ihnen Zeit und Aufwand erspart“. Für Firmen und Organisationen kostet das Paket mit mehreren Politico Newslettern zu unterschiedlichen Themen zwischen 12.000 und 13.000 Euro im Jahr. 2020 setzte Politico Europe nach eigenen Angaben 23,5 Millionen Euro um. 60 Prozent der Einnahmen komme aus den Abos, der Rest aus Werbung in den kostenlosen Newslettern. So mache das Unternehmen inzwischen Gewinn.
Auch einzelne Journalistinnen und Journalisten schaffen es inzwischen, von den Einnahmen aus ihren Newslettern zu leben. Oft sind es bekannte Namen, die sich schon vor Start ihres Angebots eine Community aufgebaut haben. Als Beispiele nennt die Reporterfabrik des Recherche-Projekts Correctiv die Umweltjournalistin und Klima-Expertin Emily Atkin in den USA, die für ihren Newsletter „Heated“ in nur sechs Monaten 20.000 Abonnent*innen gewonnen habe.
Auch im Lokalen kann das Konzept funktionieren, wenn man als Autor*in seine Stadt, die aktuellen Diskussionen, die entscheidenden Macher*innen und vor allem die möglichen Leser*innen gut kennt. Die großen Zeitungsverlage hinterlassen mit ihren Sparmaßnahmen große Lücken im Lokaljournalismus. Diese nutzen zum Beispiel im westfälischen Münster die Produzent*innen des Newsletters RUMS („Rund um Münster“).
Info: Mehrere Anbieter nehmen Journalist*innen die technische Seite der Newsletter-Verbreitung gegen Umsatz-Provision ab. Größter ist Substack in den USA. Twitter-Nutzer können den Verteiler Revue einbinden und nutzen.