Themis mit doppelter Kraft

Bidl: 123rf/chachar

Unterstützung für die Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung wächst

Vor drei Jahren hat die „Themis-Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt“ in der Kultur- und Medienbranche ihre Arbeit aufgenommen. Die Zahl der Ratsuchenden wächst von Jahr zu Jahr, aber auch die Unterstützung und die angebotene Hilfe. Der Verein zählt inzwischen 19 Mitglieder. Es gibt derzeit mit zwei Juristinnen und zwei Psychologinnen doppelt so viele Beraterinnen als zum Beginn der Arbeit.

Während die Themis-Vertrauensstelle benannt nach der griechischen Göttin für Gerechtigkeit, 2020 insgesamt 177 Fälle mit 404 Beratungen verzeichnete, sind es allein bis Ende Oktober 2021 schon 203 Fälle mit bisher 454 Beratungen gewesen, berichtet Eva Hubert vom Vereinsvorstand. Ein Grund dafür sei die größere Aufmerksamkeit, die inzwischen gegenüber sexueller Belästigung in der Gesellschaft entstanden ist. Hubert verfügt als langjährige Geschäftsführerin der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein (bis 2015) über Erfahrung in der Medienbranche und als ehemaliges Mitglied der Grün-Alternativen Liste in der Hamburger Bürgerschaft auch in der Politik. An ihrer Seite im geschäftsführenden Vorstand von Themis agiert seit August 2021 Bernhard Speck. Der Produzent ist Vorstandsmitglied im Bundesverband Produktion Film und Fernsehen e.V. und sitzt als ver.di-Vertreter im Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt (FFA).

Die bei Themis gemeldeten Fälle betreffen wie im vergangenen Jahr zu etwa 60 Prozent verbale und nonverbale Belästigungen, diskriminierende Sprüche, Mails, Bilder und ähnliches. In rund 40 Prozent der gemeldeten Fälle geht es um körperliche Belästigung bis hin zur Vergewaltigung. Wie im Vorjahr sind gut 85 Prozent der Ratsuchenden Frauen, erklärt Hubert. Bei den Belästigern handelt es sich ganz überwiegend um Männer, meist einflussreiche. Es gibt aber auch eine geringe Zahl von Frauen, die Grund zur Beschwerde bei Themis liefern.

Themis ist in verschiedene Sektoren aufgeteilt: Arbeitgeber wie Produzenten oder Rundfunkanstalten, Verbände wie Pro Quote Film und Arbeitnehmervertreter – diese Aufgabe hat derzeit Matthias von Fintel, Bereichsleiter Medien in ver.di übernommen.

Anfangs wurde die Beratungsstelle aus den Beiträgen der damaligen Mitglieder des Trägervereins und einer Anschubsumme von 300.000 Euro für die ersten drei Jahre durch das Staatsministerium für Kultur und Medien (BKM) finanziert. Nun hat das BKM seine Unterstützung um drei Jahre mit 270.000 Euro verlängert. Derzeit sind Arbeitgeber wie Produzenten und Sender mit sogenannten Pflichtbeiträgen von insgesamt 175.000 Euro im Jahr dabei. Die freiwilligen Beiträge von Seiten der Freiberufler*innen und Arbeitnehmer*innen betragen in diesem Jahr 11.400 Euro. Weitere Unterstützer wie Amazon und Netflix konnten gewonnen werden. Sie steuern 96.500 Euro bei. Eine weitere Aufnahme von Verbänden aus dem Musikbereich in den Trägerverein sahen die Delegierten auf der Novemberversammlung grundsätzlich positiv.

Die Streamingdienste bringen aus den USA eine besondere Aufmerksamkeit und auch Anforderungen für das Thema sexuelle Belästigung mit. So werden dort bei Filmproduktionen Berater*innen für erotische Szenen eingesetzt. In Europa gibt es bisher nur wenige Expert*innen dafür, „Intimitäts-Koordinatorinnen“ wie Julia Effertz, über die M bereits im Februar 2020 berichtete.

Online-Seminare stark gefragt

Themis ist auch präventiv tätig. Im April 2020 erschien eine Studie mit anonymisierten Interviews unter dem Titel „Grenzen der Grenzenlosigkeit“. Beteiligt waren die Themis-Mitarbeiterinnen auch an der Online-Umfrage „Vielfalt im Film“ über Diskriminierung als massives strukturelles Problem in der deutschen Filmbranche von 2020 oder sie wirkten mit bei der Studie „#betriebsklimaschutz“ vom Februar 2021, wo Themis als Beispiel „Guter Praxis“ geschildert wird. Außerdem berate Themis beim Aufbau einer ähnlichen Vertrauensstelle in Österreich, die sich aber zusätzlich zur sexuellen Belästigung auch des weiten Themas „Mobbing“ annehmen will, berichtet Hubert.

Stark nachgefragt waren die Online-Seminare von Themis in diesem Herbst, es mussten sogar Interessierte auf spätere Termine vertröstet werden. Die Reihe soll im Frühjahr und Herbst fortgesetzt werden. Ob online oder in Präsenz, kann Hubert noch nicht sagen: Das eine hat den Vorteil des bundesweiten Angebots, das andere bietet die praktische Möglichkeit des Übens durch Rollenspiele. Großes Interesse an den Seminaren verzeichnet Themis auf Arbeitgeberseite. Produktionsfirmen und Theater schicken Personalverantwortliche und Führungskräfte in die auf 15 Teilnehmer*innen begrenzten Seminare: „Das ist dann jeweils nur ein Bruchteil der Verantwortlichen, aber es sind Multiplikator*innen“, unterstreicht die Themis-Vorständin.


Kontakt: https://themis-vertrauensstelle.de

„Sie allein bestimmen, was passiert. Möchten Sie die Einschätzung einer Juristin hören? Wollen Sie psychologisch beraten werden? Oder wollen Sie erst einmal nur über das Erlebte sprechen?“ „Wir unternehmen nichts ohne Ihre ausdrück?liche Ansage.“

 

 

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Habets lädt ein zum gemeinsamen Streamen

ProSiebenSat.1-Vorstandschef Bert Habets schlägt den Aufbau einer gemeinsamen Streaming-Plattform öffentlich-rechtlicher und privater Anbieter vor. Es gehe nicht um einen Wettbewerb der beiden Systeme, sondern um den gemeinsamen Wettbewerb „gegen die Flut der Desinformation“, sagte Habets auf einem Symposium der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) am 22. März in Berlin. ARD-Vorsitzender Kai Gniffke signalisierte Gesprächsbereitschaft.
mehr »

DW vor Stellenabbau – ver.di protestiert

Mit Empörung reagiert die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) auf die am Abend des 17. März in einer Online-Betriebsversammlung verkündeten Entlassungen bei der Deutschen Welle: Bis zu 300 vorwiegend freie Mitarbeitende sollen demnach noch dieses Jahr ihren Job verlieren. Begründung: Die Intendanz befürchte eine Verschlechterung der Finanzsituation für das Jahr 2024.
mehr »

Bewährungsstrafe für Ex-Unterhaltungschef des MDR in Leipzig

Der frühere MDR-Unterhaltungschef Udo Foht ist im Leipziger Betrugsprozess zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Das Landgericht Leipzig sprach ihn am 17. Februar wegen 13-fachen Betrugs und wegen Bestechlichkeit schuldig. Damit endete der im vergangenen September begonnene Prozess, bei dem ihm zunächst auch Untreue und Steuerhinterziehung vorgeworfen worden waren. Im Kern ging es um Geldschiebereien. Dabei sei ein Vermögensschaden von 314.000 Euro entstanden, stellte das Gericht fest.
mehr »

RBB: Oliver Bürgel neuer Vorsitzender des Rundfunkrats

Der Soziologe Oliver Bürgel ist neuer Vorsitzender des RBB-Rundfunkrats. Das Kontrollgremium des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) wählte den 53-Jährigen am Dienstag in das Amt, wie der RBB im Anschluss in Berlin mitteilte. Bürgel vertritt im Rundfunkrat die Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Berlin und Brandenburg. Als stellvertretende Vorsitzende wurde Elisabeth Herzog-von der Heide gewählt. Die Juristin und SPD-Bürgermeisterin von Luckenwalde wurde von den kommunalen Spitzenverbänden in Brandenburg in das Gremium entsandt. Vorsitz und Stellvertretung werden laut Geschäftsordnung jeweils für zwei Jahre gewählt.
mehr »