Eine neue Studie zur medialen Transformation zeigt große Defizite im Verhältnis von Management und Journalist*innen – Anmerkungen zweier Autoren
Wer glaubt, Journalist*innen seien Großmeister der wortreichen Selbstbespiegelung, der wäre noch im Januar 2009 eindrucksvoll bestätigt worden. Es war eine der vielen Preisverleihungen: Im Deutschen Historischen Museum in Berlin hatten sich viele Medienschaffende aus ganz Deutschland eingefunden, darunter auch bekannte Branchengesichter. Der Veranstalter hatte die Ehrung des renommierten ARD-Journalisten Gerd Ruge für dessen Lebenswerk nicht an den krönenden Schluss gesetzt, wie es gängig in der Dramaturgie solcher Feierlichkeiten ist, sondern an den Anfang.
So gingen Laudationen und Dankesreden vor dem Hauptgang noch gut hörbar über die Bühne. Bis ein großer Teil der anwesenden Journalist*innen begann, intensiv zu kommunizieren – über sich und die Branche. Die eigenen Publikationsleistungen der vergangenen Wochen wurden gebührend hervorgehoben und die der Konkurrenz ähnlich gebührend kritisiert, auch pointiert-bissige Kommentare über die Fehler des Managements fehlten nicht. Störendes Stimmengewirr im Saal, als die Zeremonie weiterging: Die letzte Laudatio verhallte dann vollends in der lautstarken Kommunikation in eigener Sache.
13 Jahre und etliche Krisenerfahrungen später hören sich Kommentare von Journalist*innen zu ihrer Arbeit und der Lage der medialen Branche ganz anders an: verunsichert, frustriert, auch selbstkritisch. „Der Berufsstand hat eine gewisse Arroganz, wo teilweise Demut angesagt wäre“, sagt der Redakteur einer überregionalen Tageszeitung in einem der 20 Interviews, die wir für unsere Studie „Arbeitsdruck – Anpassung – Ausstieg“ geführt haben. Entstanden ist sie im Auftrag der Otto Brenner Stiftung. Die zentrale Frage der Untersuchung: Wie erleben Journalist*innen die mediale und gesellschaftliche Transformation, den großen Wandel?
Der Gegenwind, der über die neuen digitalen Kanäle erzeugt werde, findet dieser Journalist heilsam. Eine allzu pauschale Kritik am Journalismus sei nicht gut, meint er, „weil die meisten Journalisten einen ordentlichen Job machen“. Aber es sei ein Handwerk und so wie jeder Klempner einen Fehler mache, müsse man auch im Journalismus zugeben, wenn das geschehe.
Ein Online-Redakteur berichtet, dass er sich inzwischen öfters rechtfertigen müsse, warum er Journalist sei. „Früher wurde ich öfters bewundert.“ Viele in seinem Umfeld würden sagen, „ah ja gut, es steht da, ich hab’s gesehen, es steht im Internet, vielleicht auch echt von einer seriösen Quelle, aber ob’s stimmt, pff“. Dies halte er „für relativ fatal“. Die Befürchtung eines Rundfunk-Journalisten: „Die nächste Stufe ist, dass die Journalisten gar nicht mehr angegriffen und angeklagt werden, sondern dass man sich von ihnen abwendet, dass man sie sein lässt, dass sie sozusagen egal geworden sind, und das ist dann viel schlimmer.“
Publikumskritik
Der Vertrauensverlust in Teilen der Bevölkerung, den hauptberufliche Journalist*innen sowohl in den Interviews als auch in unserer anschließenden Online-Untersuchung mit großer Mehrheit bestätigen, ist einer der großen Herausforderungen, mit denen Medienschaffenden heute konfrontiert sind. Sie würden oft einseitig berichten, auch zu unkritisch – so lauten nach Wahrnehmung der von uns befragten Medienmacher*innen zentrale Vorwürfe gegen sie und ihren Berufsstand. Ein für uns bemerkenswertes Ergebnis der Studie: In den Interviews hält mehr als die Hälfte der befragten Medienschaffenden die Publikumskritik am Journalismus für bedingt richtig. Dabei stellen sie Defizite in der Berichterstattung wiederholt in Zusammenhang mit weiter zugenommener Arbeitsbelastung. Oft bleibe nicht die Zeit, um beispielweise eine weitere Quelle oder Perspektive des Themas zu berücksichtigen. Sie sehen also eine Mitverantwortung der Medien an der Vertrauenskrise. In der Online-Befragung, an der sich 161 Journalistinnen und Journalisten beteiligten, weist die Mehrheit dies zwar von sich, stellt aber einen Qualitäts- und Bedeutungsverlust im Journalismus insgesamt fest.
Zum großen Wandel gehört aber auch, dass Journalist*innen ihre Gatekeeper-Funktion im Kontext der Digitalisierung zunehmend verloren haben. Jetzt sind es die Rezipienten, die täglich selektieren – und dabei entscheiden sie sich immer weniger für die klassischen journalistischen Medien, vor allem in den jungen Generationen. Und da ist auch noch die veritable ökonomische Krise: Bei vielen privatwirtschaftlichen Medienunternehmen erodierten in den vergangenen Jahren die Vertriebs- und Anzeigenerlöse. Das Management reagierte häufig mit demselben Prinzip: Stellenabbau im Printbereich, gleichzeitig der Versuch, den Umsatz im Digitalen zu erhöhen. Oft bedeutet dies weniger Ressourcen für Qualitätsjournalismus.
Wie wirken sich all diese Faktoren der medialen und gesellschaftlichen Transformation auf die Journalist*innen aus – als berufliche Profis und dahinterstehende Menschen? Um diese zentrale Frage unserer Studie zu beantworten, verbanden wir einen organisations- und arbeitspsychologischen Untersuchungsansatz mit medienwissenschaftlicher und -praktischer Perspektive. Dabei nahmen wir vier Ebenen in den Fokus: die einzelne Person, ihre Situation am Arbeitsplatz, die Organisation, also das Medienunternehmen, für das sie maßgeblich arbeitet, und ihren Berufsstand als systemische Ebene. Den leitfadengestützten Interviews schloss sich jeweils ein narrativer Teil an, der das eigene Erleben des Berufs reflektierte sowie einzelne, zuvor von den Befragten angesprochenen Themensegmente wie Work-Life-Balance, intrapsychische Konflikte oder Ressourcen vertiefte. Die aus den Interviews gewonnenen Erkenntnisse wurden dann in der Online-Befragung überprüft.
Uns beeindruckte die Offenheit, mit der die allermeisten Journalist*innen antworteten, gerade im narrativen Interviewteil. Bis in die Schilderungen von drei Journalist*innen hinein, dass sie berufsbezogene Probleme und Konflikte ohne professionelle psychologische Unterstützung nicht hätten bewältigen können: „Ich habe mich lange Zeit selbst überfordert und übernommen, und ich glaube, das kann man eine gewisse Phase auch gut aushalten. Ich habe da auch echt viel geleistet, auch viel gepackt“, sagt eine junge Journalistin und schildert Selbstzweifel, das Hadern mit den Ergebnissen der Arbeit. „Dann habe ich irgendwann gemerkt, ok, ja, so geht es nicht weiter.“
Immer wieder stießen wir in unserer Studie auf Strukturprobleme des Journalismus. Nach Wahrnehmung der Journalist*innen bedingen digitaler Wandel, ökonomische Krise und Vertrauensverlust einen noch größeren Stress in ihrem Berufsleben, das ohnehin schon durch hohe Beanspruchung gekennzeichnet ist. In der Online-Befragung erklärten 60 Prozent, im eigenen beruflichen Kontext hätten Einsparungen die persönliche Arbeitssituation verschlechtert. Bei vielen Medienschaffenden, vor allem jüngeren, bestehen zudem Frustration und die Sorge um die Jobsicherheit. Fast 60 Prozent gaben an, dass sie in den vergangenen zwölf Monaten mehrfach an das Aufgeben des Berufs gedacht haben. Und ähnlich alarmierend: Wir fanden deutliche Hinweise auf psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz. Dies bezieht sich auf erhöhte Werte auf der Burnout-Skala „Mentale Erschöpfung“ sowie auf ermittelte berufliche Gratifikationskrisen. Daraus lässt sich ein statistisch erhöhtes Gesundheitsrisiko für körperliche und psychische Folgeerkrankungen ableiten. Journalist*innen beklagten in diesem Kontext mangelnde Unterstützung von Arbeitgeberseite.
Management und Publizierender
Doch einige Medienhäuser scheinen nicht nur im gesundheitlichen Kontext ihrer Verantwortung kaum nachzukommen. Sie lösen offenbar auch ihr vielbeschworenes Credo, Qualitätsjournalismus zu erhalten, viel zu wenig oder gar nicht ein. Der oft stumpf einrastende Automatismus in Chefetagen, auf Umsatzeinbrüche mit (weiteren) Personaleinsparungen zu reagieren und vornehmlich Print-Redaktionen damit kaputt zu sparen, zeugt nicht gerade von konstruktiver, kreativer Strategiefindung. Und er verschärft in den Medienunternehmen das ohnehin schon evidente Konfliktfeld zwischen Management und publizistischer Seite. Andererseits fallen Journalist*innen nicht aus ihrer relevanten gesellschaftlichen Rolle, wenn sie intensiv darüber nachdenken, mit welchen Inhaltsstrategien die auch für sie so wesentliche „Kundenbindung“ gesichert werden kann – zusammen mit der Unternehmensführung. Das Verhältnis von Management und Publizierenden muss geklärt werden.
Die Prognose ist wohl nicht zu gewagt: Bei den „Hardlinern“ unter den Medienkritikern im Publikum dürften diese Studienergebnisse kaum Empathie oder gar ein Umdenken auslösen. Doch es sollte den Medien primär darum gehen, dem – immer noch sehr großen – Teil der Bevölkerung, der um die Bedeutung einer intakten Presse weiß, in einer Transparenzoffensive ihre derzeitige Problemlage und deren Ursachen offen und ehrlich nahezubringen. Denn: Die demokratische Mediengesellschaft nimmt gehörig Schaden, wenn der gerade in Zeiten von Fake News, Hassrede und Verschwörungsnarrativen so wichtige professionelle Journalismus derart an strukturellen Problemen leidet und deren Hauptakteure, die Journalist*innen, zunehmend überbeansprucht sind.
Studie Download
Die Studie „Arbeitsdruck –Anpassung – Ausstieg“ kann kostenfrei geladen werden unter:
Wie Journalist*innen die Transformation der Medien erleben (otto-brenner-stiftung.de)