Über den „Klatschklimawechsel und „Fünf-Mark-Nutten“

Warum Bundeskanzler Gerhard Schröder der Darling vieler Chefredakteure ist – und es mit der Unterhaltung aufwärts geht

FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher mühte sich sichtlich ab. Der versierte Rhetor geriet beinahe ins Stammeln, als er zu begründen hatte, weshalb „maßgebliche Chefredakteure Deutschlands“ – von „Spiegel“-Aust bis „Focus“-Markwort – Bundeskanzler Gerhard Schröder in diesem Jahr den „Deutschen Medienpreis“ zuerkannt haben. Bei allen rhetorischen Verrenkungen blieb Laudator Schirrmacher eine plausible Antwort am Ende schuldig. Und der Geehrte wurde pampig: Nie zuvor habe er eine Laudatio gehört, wunderte sich Schröder, „mit neun Zehnteln ohne ein Wort über den zu Ehrenden“.

Dabei hätte Schirrmacher seiner langen Rede einen kurzen Sinn geben können: Schröder hat die Medien im Griff – wie noch keiner seiner Amtsvorgänger. Nur können Herausgeber und Chefredakteure auf offener Baden-Badener Bühne eine Kapitulationserklärung abgeben, dem schieren Charme des besten Kanzler-Darstellers aller Zeiten erlegen zu sein? Da braucht es schon ein bisschen Formulierkunst, um zu kaschieren, dass alle gut können mit dem kumpeligen Gerd, den sie in dem klandestinen Club der Chefredakteure mit der gleichen Selbstverständlichkeit duzen wie Waldemar Hartmann den Fußball-Bundestrainer. Gerhard Schröder, heißt es in der offiziellen Begründung für die Auszeichnung mit dem „Medienpreis“, sei „in seinem Amt gewachsen“. Ach was! Er zeige eine neue Form im Umgang mit Menschen, Macht und Medien. – Das kann man wohl sagen.

Die Chefredakteure mögen Schröder, urteilt „Tagesspiegel“-Reporter Bernd Matthies treffend, weil „er sie von der Last Helmut Kohls befreit hat, gleich einem Pfarrer, der plötzlich im Folterkeller das Licht anmacht“. Und welcher rampenlicht-umschmeichelte Chefredakteur steht schon gern im Dunkeln? Also zelebrierte Schröders publizistische Boygroup ihrem Kanzler in Baden-Baden ein Hochamt der Kumpanei zwischen Journalismus und Politik.

Warum die führenden Medienmacher den Medienkanzler so sehr mögen, darauf hat der prominente Klatschreporter Paul Sahner im „Spiegel“-Gespräch eine ziemlich simple Antwort gefunden: „Seit Schröder Kanzler ist, geht es aufwärts mit der Unterhaltung.“ Mit dem Regierungswechsel 1998 kam für Sahner „der Klatschklimawechsel“. Immerhin könnten Schröder und sein Außenminister Joschka Fischer zusammen auf acht Eheschließungen zurückblicken. „Das ist schon was. Da gibt es dann auch Ex-Frauen, Dramen, die sich abgespielt haben, Dramen die erwartet werden“, reibt sich der „Bunte“-Starreporter die Hände. Und auf seinen Kanzler kann sich Sahner stets und immer verlassen: „In dem Augenblick, als er sich im Brioni-Anzug hat ablichten lassen, hat er mitgeteilt: Ich bin auch ein Klatschkanzler.“

Bei der ungeheuren Konjunktur des Medienkanzlers passt es prächtig ins Bild, dass Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye zum „PR-Manager des Jahres 2000“ gekürt werden soll. Dass Heye unter Berliner Journalisten wegen seiner zähen Informationspolitik als einer der schwächsten und farblosesten Regierungssprecher seit Bestehen dieser Republik gilt, hat die Juroren nicht weiter gestört. Schließlich geht es ihnen nicht um Information, sondern um pure PR. Manche Auszeichnungen sind eben ziemlich verräterisch. „Zwischen der Medienwirksamkeit des Bundeskanzlers Gerhard Schröder und dem Wirken seines Pressesprechers Uwe-Karsten Heye“, erklärte der Juryvorsitzende Gert Schukies, „besteht eine höchst preiswürdige Korrelation“. So hängt alles mit allem zusammen.

Ganz im Ernst: Die Laudatio auf Preisträger Heye soll Bundeskanzler Schröder halten.

Den Titel eines „Kanzlerblattes“ scheint sich derzeit mit allen Mitteln die altehrwürdige „Zeit“ erschreiben zu wollen. Auf dem Höhepunkt der Debatte um die Straßenkämpfer-Vergangenheit von Außenminister Fischer veröffentlichte die in Hamburg erscheinende Wochenzeitung einen spaltenlangen Schröder-Originalton („Der Kanzler im Wortlaut“) mit seinen Mutmaßungen über eine gezielte Springer-Kampagne gegen die rot-grüne Bundesregierung. „Die Hamburger Wochenzeitung erfindet dem Kanzler zuliebe ein neues journalistisches Format“, stichelte „Focus“: „das Interview ohne Fragen“.

Wenige Wochen später räumte die „Zeit“ dem Kanzler zwei ganze Zeitungsseiten frei, um ihn im Kanzleistil über das deutsch-russische Verhältnis räsonieren zu lassen. Für den Kanzler habe diese Art von Journalismus nur Vorteile, erkannte Markus Brauck in der „Frankfurter Rundschau“. Schließlich könne er zu einem Interview schlecht seine Ghostwriter schicken. „Da spart er Zeit, die er zum Regieren braucht. Und die Journalisten sparen sich einfach das lästige Nachfragen.“

Flankiert wird das zweiseitige Schröder-Werk in der „Zeit“ von einer Leitartikel-Eloge des Chefredakteurs Michael Naumann, der bis vor wenigen Monaten noch Schröders Kabinett als Kultur-Staatsminister angehörte. Jetzt greift der alte Kumpel als „Zeit“-Ansager in die Harfe, jazzt den „unkonventionellen Kanzler“ hoch, der „nach zweijähriger innenpolitischer Mühsal“ – Puh! – „die Reize der Außenpolitik entdeckt“ habe. „Da ist es wieder, das Medien-Phänomen Schröder“, urteilt FR-Autor Markus Brauck. „Vorgänger Kohl musste die Journaille noch anschnauzen, um sich Respekt zu verschaffen. Vor dem Medienmann Schröder wird schon im voraus gekuscht. Was Interviews angeht, haben das Stefan Aust und Sabine Christiansen ja im Fernsehen vorgemacht.“

Was Außenminister Fischer über das Mediengewerbe denkt, hat er unlängst einem Parteifreund anvertraut: „Journalisten sind nichts anderes als Fünf-Mark-Nutten.“ Die schrieben mal dies, mal das – vor allem aber Blödsinn. Gestatten Sie eine indiskrete Frage, Herr Außenminister! – Gehören Sie am Ende auch zu den ungenierten Freiern, die sich lustvoll im medialen Sperrbezirk tummeln?

Einen Niveauverfall in der Sportberichterstattung des Fernsehens hat Hans Meyer, der Trainer des angehenden Fuß-ball-Bundesligisten Borussia Mönchengladbach, ausgemacht. „Das Niveau nimmt in jedem Monat ab. Da laufen Leute rum, mit denen kann ich mich als Fachmann nicht unterhalten“, klagt der diplomierte Fußball-Lehrer Meyer.

Abhilfe wollen die Bundesligaclubs jetzt auf ihre Art schaffen: mit der Gründung eines eigenen Fernsehsenders. „Die Pläne liegen in der Schublade des Deutschen Fußball-Bundes“, bestätigt Liga-Präsident Werner Hackmann. Wenn die Verträge mit Leo Kirch im Jahre 2004 auslaufen, will der DFB mit einem eigenen Liga-Sender starten und fortan die Bundesligaspiele exclusiv übertragen. Die Kommentatoren und Sportjournalisten fungieren dann faktisch als Pressesprecher des DFB und seiner Vereine, kritischer Sportjournalismus ist endgültig perdu. Wess Brot ich ess, dess Lied ich sing …

 

 

 

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