Um nicht perspektivlos zu sein

Recherchedesk Foto: ifp/Steffen Leiprecht

Vielfältige Angebote zur Weiterbildung angepasst an digitale Erfordernisse

Das Internet ist für viele Menschen das wichtigste Medium geworden. Die strikte Trennung zwischen verschiedenen Medienangeboten existiert nicht mehr. So bieten Fernsehsender auch Online-Apps mit Textelementen, während Zeitungen oder Zeitschriften ihre Inhalte auch online aufbereiten und dort zudem Bewegtbildformate präsentieren. Diesem Wandel müssen sich die Beschäftigten in den Medien anpassen. Ohne Weiterbildung haben sie keine Perspektive, auf dem Markt zu bestehen. Wir wollten wissen, welche Angebote es gibt und wer sie nutzt.

Beim Blick auf das Angebot fällt zunächst auf, dass es einen der großen Anbieter für Fort- und Weiterbildung gar nicht mehr gibt. Die Akademie Berufliche Bildung der deutschen Zeitungsverlage (ABZV) in Königswinter wurde im Sommer abgewickelt. Hintergrund: Die VG Wort zahlt nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs keine Tantiemen mehr an die Verlage. Aus diesen wurde die Fortbildungsarbeit bislang finanziert. Die Auswirkungen dieser Schließung bekommt unter anderem die Akademie für Publizistik (AfP) in Hamburg zu spüren. Viele Teilnehmer_innen, die früher bei der ABZV Schulungen besuchten, bilden sich jetzt in Hamburg weiter. Nach Angaben von Nadja Staven­hagen, Direktorin der Hamburger Akademie, hat sich „das Angebot der Akademie verändert, so, wie sich der Medienmarkt und die Anforderungen an Medienleute wandeln”. Stichwörter dazu sind: Digitalisierung von Prozessen und Inhalten, interdisziplinäres Arbeiten, Produzieren für alle Kanäle. „Wir sehen uns auch als Haus, in dem unsere Teilnehmer neue Techniken und Arbeitsweisen austesten und kennenlernen können: Von 360-Grad-Videos bis zu Design Thinking”, hebt Nadja Stavenhagen hervor. Ohnehin bietet die Akademie Schulungen an, die viele Verlage selbst nicht vorhalten. Zum Beispiel ein sehr umfangreiches Angebot für Volontär_innen. Alle Kurse sind medienübergreifend ausgerichtet und schließen mit einem crossmedialen Projekt und dazugehöriger Social-Media-Strategie.

Die zentrale Entwicklung hin zur Medienkonvergenz, also dem Zusammenwachsen bisher getrennt betrachteter Kommunika­tions- und Medienbereiche, erfordert nach Angaben von Peter Freitag, stellvertretender Bundesvorsitzender der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, eine Weiterbildungsoffensive. Sie sei nötig, damit Redakteur_innen und freie Jour­na­list_innen ihre persönliche Wettbewerbs­fähigkeit in der Branche erhielten. „Das bedeutet auch, dass die Verlage kräftig investieren müssen, um Weiterbildung zu ermöglichen”, sagt er. Denn die Realität sieht oft anders aus. „Der Redakteur kommt heute von einem Termin und noch bevor er sich an den Text für sein Printprodukt setzt, hat er einen Tweet abgesetzt und einen kleinen Beitrag auf Facebook gepostet. Wenn er seinen Text fertig gestellt und sein dazu passendes Bewegtbild abgesetzt hat, dann wartet noch andere Arbeit auf ihn”, schildert Freitag den von vielen Verlegern gewünschten, optimierten Alltag eines Zeitungsredakteurs. Tatsache ist, dass die Arbeitsverdichtung für Festangestellte stetig zunimmt und die Crossmedialität dabei eine große Rolle spielt. „Da traut sich niemand noch Bildungsurlaub anzumelden und sich für betriebliche Weiterbildung aus dem Redaktionsalltag auszuklinken.” Dabei ist der Druck auf Festangestellte und auf Freie, alles zu können, enorm groß. Das, so Peter Freitag, „ist die Erwartungshaltung von den meisten Arbeit- und Auftraggebern”. Wichtig sei bei dieser Entwicklung, dass Medienunternehmer an ihrer Glaubwürdigkeit arbeiteten. Dazu brauche es Qualitätsstandards. Recherche sei unerlässlich. Schnelligkeit dürfe nicht zum ausschlaggebenden Kriterium werden.

Doch wer genau besucht die Schulungen zum Beispiel zum Thema „Videodreh mit dem Smartphone” oder „Texten für Social Media”? In der AfP sind es zirka 1.400 Teilnehmer_innen im Jahr aus ganz Deutschland. Dabei ist der 25-jährige Volontär, der für den Kompaktkurs kommt, aber auch die 41-jährige ­Redakteurin, die „Schreiben für alle Kanäle” lernt, oder der 53-jährige Ressortleiter, der seinen Job verloren hat und sich mit dem Zer­tifikatskurs „Digitale Konzep­tion” ein neues Standbein aufbauen möchte. Dass erfahrene Printkolleg_innen früher bisweilen als Totalverweiger in Sachen neue Medien und Digitalisierung galten, stimmt laut Nadja Stavenhagen heute nicht mehr. „Wir müssen gar nicht locken, die älteren Kollegen sind motiviert. Wir sehen eine große Lust, Neues zu lernen und sich mit anderen Teilnehmern auszutauschen. Veränderungsbereitschaft ist keine Frage des Alters, sondern der Einstellung”, so die Direktorin der AfP.

Auch die Akademie der Bayerischen Presse (ABP) bemerkt, dass die ABZV ihre Pforten geschlossen hat. „Die Bereitwilligkeit zur Fortbildung ist groß und tarifgebundene Verlage müssen Volontärskurse vorhalten. Wir verzeichnen immer mehr Leute aus anderen Teilen der Republik, die wir früher nicht erreicht haben”, sagt ABP-Direktor Dr. Robert Arsenscheck. Er weiß, dass die Digitalisierung und die Verschmelzung der Medien eine starke Fortbildung erfordert. Daher passt die Akademie ihre Angebote ständig an die Erfordernisse an. Nicht nur für jüngere Journalist_innen, die Kurse wie „Professionell in die Selbst­ständigkeit” buchen. Auch für ältere und fest angestellte Kolleg_innen gibt es was: Abendkurse und Auffrischungskurse, in denen die Teilnehmer_innen zwischen 25 und 60 Jahre alt sind. Arsenscheck berichtet, dass viele Verlage die Notwendigkeit der Weiterbildung erkannt haben. „Sie buchen uns als Inhouse-Schulung. Daran nehmen alle Kollegen teil.” Auch die, die sonst fortbildungs­resistent sind.

Neben den beiden großen Anbietern in München und Hamburg, die feste Anlaufstellen für Medienschaffende sind, lohnt sich ein Blick ins größte Bundesland der Republik nach Nordrhein-Westfalen. Hier ist nicht nur der Sitz des Zeitungs- und Zeitschriftenverlages Funke Medien, ehemals WAZ-Mediengruppe. Hier befindet sich auch die Stiftung „Vor Ort NRW LfM-Stiftung für Lokaljournalismus”, die bei ihrer Gründung 2015 für viel Kritik sorgte. Kritiker hatten befürchtet, das Land wolle über diese Stiftung Einfluss auf die Medien nehmen. Dann wurde die Stiftung der öffentlich-rechtlichen Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) zugeordnet und unterliegt seitdem dem Staatsvertrag mit öffentlich-rechtlichen Kontrollgremien. „Das Land übt hier keinerlei Einfluss aus”, sagt Medienexperte Horst Röper.

Nach eigenen Angaben fördert die Landesanstalt für Medien in enger Zusammenarbeit mit ihrer Stiftung „Vor Ort NRW” die Qua­lifizierung von Journalist_innen in NRW, ­indem sie unter anderem Anbieter journa­listischer Weiterbildung in NRW mit einer Gesamtsumme in Höhe von knapp 200.000 Euro unterstützt. Ziel: die Sicherung lokaler und regionaler Vielfalt und Qualität. „Alle geförderten Projekte konzentrieren sich auf digitalen Lokaljournalismus und sind praxisnah ausgerichtet. Sie umfassen neben der Stärkung crossmedialer journalistischer Fähigkeiten auch die Weiterentwicklung technischer, ökonomischer und organisatorischer Kompetenzen”, teilt die Landesmedienanstalt mit. Geförderte Weiterbildungsanbieter sind: Journalistenzentrum Haus Busch, Hagen; Business Academy Ruhr, Dortmund, Studio 47, Duisburg; Journalistenbüro Michael Voregger, Gelsenkirchen; Journalistenbüro Medienhaus Kai Rüsberg, Bochum; TOP: Talente, Hennef; RTL Journalistenschule für TV und Multimedia, Köln. Im Jahr 2016 waren bisher ca. 250 – 300 Teilnehmer_innen an den Seminaren, Praxisworkshops und öffentlichen Netzwerktreffen beteiligt. Somit fördert die Landesmedienanstalt bzw. deren Stiftung alle relevanten Weiterbildungsanbieter für Medienberufe in NRW.

Gefördert wird auch die Medien-Akademie Ruhr (MAR) Essen, die aus der Journalistenschule Ruhr der ehemaligen WAZ-Mediengruppe hervorgegangen ist. Die gemeinnützige Medien-Förderstiftung Ruhr ist heute Alleinaktionärin der MAR. Einer der Hauptkunden ist die Funke Mediengruppe. Die Volontäre der Mediengruppe aus NRW, Thüringen, Niedersachsen, Hamburg und Berlin werden von der MAR im Schulungszentrum in Essen gemeinsam ausgebildet. Seit Beginn des Jahres ist hier eine deutliche Erweiterung der Bildungsangebote im Hinblick auf die elektronischen Medien, das crossmediale Medienangebot sowie die PR- und Öffentlichkeitsarbeit erfolgt. Die MAR bietet Seminare in den Bereichen Print-Online, Bild-Multi­media, Lokalfunk, TV sowie Kommunikation und PR an. Neben dem klassischen Handwerk stehen in den letzten Jahren vermehrt Angebote zum digitalen Journalismus auf dem Programm. Dazu gehören Kurse zu Social Media, Community Management, crossmedialem Arbeiten, Video-Journalismus und Audio-Slide-Shows ebenso wie zu interaktivem Journalismus. Alle Seminare sind immer offen für Medienschaffende aller Gattungen, von anderen Verlagen und für alle Freien.

Gibt es Sondertarife für Freie? Bei der AfP ja. Zusammen mit der Stiftung der Hamburger Presse hat sie die Aktion „Halbe Miete” ins Leben gerufen, bei der freie Journalist_innen aus Hamburg einen Seminarzuschuss bis zu 250 Euro bekommen.

Doch nicht nur Journalist_innen müssen sich weiterbilden. Auch in anderen Berufen der Medienbranche (Mediengestalter_innen oder Medienfachwirt_innen) ist der Bedarf groß. Das Angebot auch. So gibt es zahlreiche private Akademien, Schulen oder Fernstudiengänge, die Zertifikatskurse anbieten. Gleiches gilt für ­Industrie- und Handelskammern. Die Kunst bei diesem Überangebot dürfte sein, das Richtige zu finden.

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