Zeit nehmen für unabhängige und hintergründige Berichte über braunen Terror
„Unterwegs im rechtsradikalen Spektrum” bist Du als Journalistin oft und deshalb als Gesprächspartnerin gefragt. Was kann das dju-Seminar den Kollegen an die Hand geben?
ANDREA RÖPKE | Auf jeden Fall, dass es lohnt, sich tiefer mit diesem Thema zu beschäftigen und nicht nur Pressemitteilungen von Polizei und Verfassungsschutz zur Kenntnis zu nehmen.
Rassismus geht uns alle an. Menschenverachtende Ressentiments gehen heute von der sogenannten Mitte der Gesellschaft aus, wir können nicht mehr nur von Subkulturen am Rand reden. Gerade wir Medienvertreter haben nach der zufälligen Aufdeckung der Verbrechen des NSU eine ethische und aufklärerische Verpflichtung. Wir müssen noch kritischer sein und den Behörden genauer auf die Finger schauen. Investigative Recherche darf nicht nur eine Floskel sein. Wir müssen uns wieder Zeit nehmen können, um uns ein Bild zu machen und wirklich unabhängig und hintergründig zu berichten. Wir können einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag zur nachhaltigen Prävention gegen rechte Gewalt und Rassismus leisten. Journalistisch. Über 180 Tote rechter Gewalt verpflichten uns dazu.
Du wirst über Deine Erfahrungen bei der Berichterstattung in der Neonazi-Szene berichten. Vielleicht schon ein Beispiel im Vorgriff?
Es war eine aufwendige, jahrelange Recherche notwendig um endlich über die Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) berichten zu können. Inlandsgeheimdienste halfen nicht, sondern blockierten eher. Die gefährliche Neonazi-Erziehertruppe interessierte kaum Behörden. Engagierte Polizisten wurden mitten in den Ermittlungen versetzt. Wir wurden verfolgt, angegriffen, angezeigt. Ein kleines Büchlein war der erste Versuch, ausreichend über die HDJ zu berichten. Damit fing es an. Unsere Fotos, die wir zumeist heimlich gemacht haben, trieben das Thema voran. Ein wichtiges antifaschistisches Archiv in Berlin bekam interne Materialien, die wir alle akribisch auswerteten. Es dauerte bis 2009, bis die HDJ endlich verboten wurde. Leider schaut heute niemand mehr hin, wenn Neonazis weiterhin ihre Kinder in kleineren Lagern erziehen und drillen. Das ist die Crux: Wir haben so viel für Aufmerksamkeit und ein Verbot der HDJ getan. Aber ich habe wohl selbst indirekt dafür mit gesorgt, dass das Thema für viele heute erledigt scheint.
Ansonsten werde ich ein paar Recherche-Beispiele vorstellen: Eine Woche unter SS-Angehörigen, verdeckte Recherchen, Rausschmisse, Drohungen, Gewalt in der Szene sowie subversive Strategien, Frauen oder Neonazi-SiedlerInnnen. Eine breite Bandbreite – immer auch angelehnt an unsere Bücher „Stille Hilfe”, „Mädelsache”, „Neonazis in Nadelstreifen” und „Blut und Ehre” und andere.
Warum ist es so wichtig, nicht blauäugig an dieses Thema heranzugehen?
Weil wir in der Bundesrepublik ja sowieso kein Problem mit rechts haben – ironisch gesehen. Die Jahresberichte der Inlandsgeheimdienste verschleiern viel. Während der dreijährigen Recherchen zum rechten Terror ist mir klar geworden, dass hinter institutionellem Rassismus und der „Einzeltätertheorie” von rechts durchaus System steckt. Opfer rechter Gewalt werden nicht anerkannt. Polizei und Justiz decken nicht die ganzen braunen Netzwerke auf. Rassistische Hintergründe werden viel zu oft ausgeblendet. Wir hinterfragen Wehrsport und Waffenfunde viel zu wenig. Auch die Verbürgerlichungsstrategien von NPD und Kameradschaften gehen in vielen Regionen längst auf: Sie verankern sich, sind die Kümmerer und finden Akzeptanz. Allein die NPD finanzierte sich in den letzten 10 Jahren mit rund 10 Millionen Euro aus Steuergeldern. Makaber! Ausgerechnet das Geld des Staates, den diese Partei abschaffen möchte. Es gibt mittlerweile viele Orte, an denen die NPD keine Protestpartei mehr ist, sondern Stammpartei. Wir berichten viel zu selten über Hintergrundorganisationen und Netzwerke der Neonazis. Sie haben Brauchtumsvereine, Sportvereine, Kulturorganisationen und sind viel weiter verstreut in unserer Gesellschaft als viele ahnen. Doch wir als Journalisten müssen selbst recherchieren und uns nicht nur auf staatliche Aussagen und öffentliche Statements beschränken.
Gespräch: Karin Wenk