„TV hat den Lead bei der Nachrichtenproduktion übernommen“, hieß ein Panel des European Publishing Congress 2019 in Wien. Programmchef Niki Fellner erklärt, wie aus einer klassischen Zeitung mit Onlinevideos ein erfolgreicher TV-Sender mit angeschlossenem Print-Betrieb wurde. Aber Vorsicht: Interessierte Nachmacher sollten bis zu Ende lesen.
Das erste 360 Grad Medienhaus zu sein, damit wirbt die Mediengruppe Österreich. Alle Mediengattungen werden unter einem Brand abgedeckt, Gratis-Tageszeitung, Kaufzeitung, Magazine, Online, News-Fernsehkanal und Radiosender. Was die Mediengruppe da im ersten Wiener Bezirk „innerhalb kürzester Zeit auf die Beine gestellt hat, nötigt mir Respekt ab“, findet selbst ORF-Intendant Alexander Wrabetz.
Eine Million Zuschauer Nettoreichweite im Monat. 27 Prozent konnte die Marke OE24 von Januar 2018 bis Januar 2019 zulegen. 600.000 Videoabrufe am Tag, „bis zu einer Million an guten Tagen“, wie Niki Fellner, Chefredakteur und Geschäftsführer sagt. Kein schlechter Wert für einen Newskanal auf einem kleinen Markt in einem 8,8 Millionen Einwohner zählenden Land.
TV zum Schluss „draufgesetzt“
Das Erfolgsgeheimnis nach eigener Interpretation: „Wir sind kein klassischer linearer Sender, sondern haben das Pferd von hinten aufgezäumt.“ Digitale Abläufe, digitaler Produktionsprozess – den linearen Fernsehsender habe man erst ganz zum Schluss „mit drauf gesetzt“. „Wir verstehen uns als Medienhaus, das in erster Linie Content produziert und diesen Content dann dort ausspielt, wo er am besten passt, wo er am schnellst rausgehen kann“, so Niki Fellner gegenüber M. Dabei gebe das Fernsehen inzwischen den Takt im ganzen Medienhaus vor, entscheide darüber, wie Geschichten auch online und in der Tageszeitung gewichtet werden. Und ob sie dort überhaupt stattfinden. Zuerst wird durch das Auge der Kamera gesehen, alles andere kommt danach.
Die Webseite ist entsprechend multimedial, nach Angaben Fellners werden heute 80 Prozent der Berichte online von Videos begleitet. Aus einem Video-Begleitdienst für die Tageszeitung „Österreich“ ist ein vollwertiger Newskanal gewachsen. Wie stark der Einfluss des Channels inzwischen im eigenen Hause geworden ist, zeigt die Umbenennung im letzten Jahr. Der vor 13 Jahren eingeführten Gratis-Tageszeitung „Österreich“ wurde der Name des zehn Jahre jüngeren TV-Ablegers OE24 übergestülpt.
Inhaltlich steht das Angebot OE24 für das, was in Österreich am besten funktioniert: Boulevard. Wetter, Sport, News, Talk und viel Society. Selbst der abendliche News-Talk „Fellner!Live“, moderiert von Unternehmensgründer und österreichischem Unikat Wolfgang Fellner, alias Fellner Senior, macht jeden Talk mit einem Politiker zur Unterhaltungsshow. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal, denn genau das unterscheidet OE24 von seinen auch auf dem österreichischen Markt aktiven Mitbewerbern n-tv und Welt TV.
70 Prozent werden regional österreichische Inhalte produziert, die verbleibenden restlichen 30 Prozent sind internationale Nachrichten, die über eine Kooperation von CNN beigesteuert werden. Die CNN-Inhalte werden übersetzt ins Programm integriert, bei Breaking News übernehmen die Österreicher das englische Programm im Original.
Keine Redakteure exklusiv fürs Fernsehen
Die niedrigen Kosten des Programms kommen freilich nicht nur durch Kooperationen zustande. „Wir haben für das Fernsehen keine Redakteure mehr“, erklärt Niki Fellner einem überraschten Publikum in Wien. „Wir haben zwar 150 Redakteure im Newsroom sitzen und Reporter, die hinausgehen, aber keine Redakteure, die exklusiv TV machen. Alles, was an Geschichten verfasst wird, geschieht allein im Newsroom“. Die Journalisten dort würden alles abdecken – Printausgabe, Online, Hörfunk und das Fernsehen. Die Reporter seien dahingehend „erfolgreich umgeschult“ worden.
In der Praxis sieht das dann im besten Falle so aus: Bei einem großen Brand im Wiener Stadtteil Simmering Mitte Mai waren zwei Reporter und ein Kameramann vor Ort, sendeten Live von der Brandstelle, lieferten nebenbei aber auch die Inhalte für die Webseite, Zusatzgeschichten und die Ticker-News; am Abend wurde alles nochmal verwertet für die Tageszeitung am Tag danach. Das Wiener „Radio OE24“ bedient sich der O-Töne des Fernsehens.
Das Radio, das bisher wenig zur Erfolgsbilanz des Unternehmens beigetragen hatte, soll in wenigen Monaten mit neuem Programm durchstarten, diesmal österreichweit. Im klassischen Fernsehen, wo OE24 mit den Sendern des ORF und den zahlreichen österreichischen und deutschen Privatkanälen konkurriert, erreicht OE24 derzeit 0,4 Prozent Marktanteil, bis zu zwei Prozent am Abend. Klingt wenig, ist es aber nicht, vor allem vor dem Hintergrund, dass nur noch ein Drittel der Zuschauer*innen über Kabel und Satellit erreicht werden. Das klassische Fernsehen müsse weiter präsent sein, sei wichtig vor allem für Werbekunden und Politiker, die hier gesehen werden wollen, so Fellner. Wichtiger sei aber der digitale Ausspielweg, über den OE24 inzwischen zwei Drittel seiner Zuschauer*innen erreicht.
Livestream immer automatisch eingeblendet
Das Wachstum zeigt erste Folgen für den gesamten Werbemarkt in Österreich. Schon 2018 haben das Medienhaus mit OE24 die meisten Bewegtbildspots verkauft, zusammengenommen mehr als der ORF, erklärt Unternehmensgründer Wolfang Fellner.
Für die guten Werte, die der TV-Kanal online erreicht, bedient sich das Medienhaus allerdings eines kleinen Tricks. Der Sender ist auf der Startseite des Onlineportals oe24.at eingebettet. Heißt, dass jeder User, der die Webseite besucht, um dort zu lesen, automatisch den Livestream ausgespielt bekommt. Der bleibt auch beim Lesen erhalten und kann nur aktiv „weggedrückt“ werden. „Das war ein Prozess“, erklärt Fellner. Zu Beginn hätten sich User, die nur lesen wollten, darüber noch beschwert. Heute scheint man es aber zu akzeptieren. Die Verweildauer auf dem „Zwangsfernsehen“ habe sich schon nach nur zwei Monaten auf sechs Minuten verdreifacht. Allerdings, auf zahlreichen Subportalen der Mediengruppe wie „sport24.at“ etc. lässt sich der Kanal nicht wegdrücken, er bleibt dauerhaft am linken Bildrand erhalten, lediglich der Ton lässt sich ausschalten.
Alle Ausspielwege im Netz werden freilich mitbedient: Facebook, Instagram, Twitter, alle Snippes werden gesetzt. Dort sein, wo der User ist, um ihn dann aktiv in den Livestream hineinzuziehen, lautet das Konzept. Die eigene App versendet täglich bis zu 10 Pushmeldungen an derzeit 150.000 eigene User. Fellners Tipp an die Kolleg*innen in Europa: „Ich kann es nur jedem empfehlen. Es ist vom Aufwand überschaubar, wir verdienen Geld damit.“
Allerdings lohnt sich davor noch ein Blick auf die Zahlen bei den Erlösen. Da ist die Mediengruppe Österreich offenbar traditionell geblieben. Nur 30 Prozent der Erlöse kommen aus dem Sektor Digital, TV schon mit inklusive. 10 Prozent kommen vom Radio. Das meiste Geld, mehr als die Hälfte, verdient das Medienhaus noch immer mit der Tageszeitung, und zwar ganz klassisch im Print.