Der Wahlsieg Trumps hat auch hierzulande viele Demokraten in eine Schockstarre versetzt, die nur langsam nachlässt. Auch in Deutschland gab es schon immer begnadete Demagogen, die große Teile der Bevölkerung faszinierten, etwa den CSU-Altvorderen Franz-Josef Strauß. Aber nie hatten sie so durchschlagenden Erfolg. Angesichts des Vormarsches der Populisten in Europa wächst die Verantwortung der Medien. Trotz schwerer Fehler im Umgang mit der neuen Bewegung besteht kein Grund, in Sack und Asche zu gehen. Allerdings sollten aus dem fatalen Versagen der Medien im US-Wahlkampf von hiesigen Journalist_innen Konsequenzen gezogen werden.
Die Simpsons sagten Trumps Sieg schon 2000 in der Comedy-Folge „Barts Blick in die Zukunft“ voraus. Darin hatte der Unternehmer Donald Trump seine Amtszeit als Präsident gerade beendet und die USA in den Ruin getrieben. Lotterie oder seriöse Wissenschaft? Keines der Meinungsforschungsinstitute hatte Trump auf dem Zettel. Beim Fußball sagt man: Knapp daneben ist auch vorbei. Wie beim Brexit. Oder bei den Wahlerfolgen der AfD. Umfragen sind nur repräsentativ, wenn alle Schichten vertreten sind. Aber Trump-Wähler verweigern sich bei Umfragen. Die „soziale Unerwünschtheit“ ihres Votums lässt sie verstummen. Welche Frau bekennt schon gern öffentlich, einen ausgewiesenen Sexisten zu wählen? Die Demoskopie sollte ihr methodisches Instrumentarium gründlich überarbeiten. Sonst macht sie sich überflüssig. Oder wird zum Wahlkampfhelfer der Reaktionäre: Wer an den sicheren Sieg von Hillary glaubte, schwänzte oft die Wahl.
Die Traditionsmedien sehen sehr alt aus
Das gilt speziell für die Printmedien. Ihre publizistische Wirkung sinkt. Und hängt zusammen mit: Auflagenverlust, Qualitätseinbußen durch Sparprogramme, auch mit Glaubwürdigkeitsverlust durch mangelnde Trennschärfe zwischen PR und Redaktion. Sascha Lobo fragt zu Recht, „ob traditionelle Medien ihre Macht, ihre Deutungshoheit bloß verloren haben – oder sie gar ins Gegenteil verkehrt worden ist“. Das pure Bemühen um mehr Qualität bleibt offenbar bei großen Teilen der Klientel wirkungslos. Investigative Recherche? Enthüllung finsterer Machenschaften? Na und? Der Trump-GAU zeigt: Auch mit Skandal, Lüge, Pöbeleien, Rassismus und Sexismus lassen sich Wahlen gewinnen. Auch die öffentlich-rechtlichen Medien tappen regelmäßig in die Falle. Medienforscher Bernhard Pörksen beobachtet eine „verstörende Komplizenschaft zwischen dem Fernsehen und Populisten“. Denn: „Man feiert den Pöbler durch Dauersendungen, belohnt seine Aggression mit Aufmerksamkeit, schenkt ihm dadurch Werbezeit, um seine Ansichten zu propagieren.“ Trump musste keine Werbezeiten kaufen, alle Sender geilten sich an seiner kruden Performance auf. Krawall schafft Quote. Die Anne Wills und Maischbergers hierzulande sind da keinen Deut besser. Eine Nikab-Trägerin (deren Organisation 0,5 Prozent der Schweizer Moslems repräsentiert), die zur besten Sendezeit Sympathiewerbung für den Dschihad betreiben darf? So fördert man keine Erkenntnisse. Höchstens noch mehr dumpfe Moslemfeindlichkeit. Das spielt den Populisten in die Karten.
Die sozialen Medien können auch unsozial.
„Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln.“ Brecht träumte davon, die Schranken zwischen Medienproduzent und -konsument_innen niederzureißen. Jeder ein Sender, jeder ein Empfänger. Mit Facebook, Twitter, Whatsapp, Snapchat und Co. ist dieser Traum Wirklichkeit geworden. Bei der jungen Generation haben sie den Traditionsmedien längst den Rang abgelaufen. Für viele Youngster, aber auch für die Spezies der „Lügenpresse“-Apologeten, ist der Newsstream der sozialen Medien häufig die einzige Informationsquelle. Das eröffnet reaktionären Politstrategen ungeahnte Möglichkeiten. Mit Fake-News und Social Bots lassen sich leicht künstliche Öffentlichkeiten herstellen. Medienforscher Stephan Weichert: Social Bots „unterminieren die politische Diskursrationalität, sie sind in letzter Konsequenz ein perfider Demokratiekiller, weil sie eine potenzielle Gefahr für unser gesamtes Wahlsystem darstellen, das auf politischer Interaktion und sozialer Partizipation beruht“. Clinton gewann zwar alle TV-Debatten. Aber Trump parierte die öffentliche Wirkung erfolgreich mit Fake-Accounts, die ihn als Sieger sahen. Im „arabischen Frühling“ wurde den sozialen Medien demokratiestiftende Wirkung attestiert. Inzwischen kontrollieren die Diktatoren fast überall das Netz, per Überwachungssoftware. Und der IS rekrutiert auf digitalem Wege erfolgreich Nachwuchs für seinen blutigen Krieg. Von diesen Risiken und Nebenwirkungen konnte Brecht noch nichts ahnen.
Postfaktisches Zeitalter?
Leben wir also im postfaktischen Zeitalter, gar in der Ära des Postjournalismus? Einer Epoche, in der Tatsachen und Recherche bedeutungslos werden, Gefühle und Stimmungen dagegen umso relevanter. Das wäre allerdings eine fatale Zeitenwende. Doch gar so schnell sollte der Abgesang auf die Aufklärung nicht verkündet werden. Vielleicht hilft schon die Orientierung an ein paar Regeln, um den derzeit sich auftuenden Graben zwischen traditionellen Medien und einer wachsenden skeptischen bis feindseligen Öffentlichkeit zumindest partiell zuzuschütten. Das gilt vor allem für den klassischen Politjournalismus mit seinen Hintergrundzirkeln und seiner Hybris gegenüber dem gemeinen Volk. Er wird längst als Teil einer mehr oder weniger korrupten Elite angesehen, die mit der Lebenssituation der Unterprivilegierten nichts zu schaffen haben will. Was in den USA von Soziologen und Medien oft ohne Anführungsstriche als „white trash“ diffamiert wird, der jetzt mit fliegenden Fahnen zu Trump desertiert ist, sind bei uns die Langzeitarbeitslosen, viele prekär Beschäftigte, Menschen, die trotz harter Arbeit im permanenten Existenzkampf stecken. Ihrer Lage sollte mit mehr Interesse und Empathie begegnet werden. Geschichten über die skandalös ungleiche Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums und deren Ursachen sind da allemal wichtiger als eine fragwürdige kollektive Journalistenhatz auf einen schwachen Ex-Präsidenten. Also: Raus aus der Blase – rein ins wirkliche Leben! Statt routinierter Wiedergabe geschönter Arbeitslosen-Statistiken und entschärfter Armutsberichte – Sozialreportage! An die Stelle von Hetze gegen vermeintliche Sozialschmarotzer – Enthüllungsstories über die sozialschädlichen Machenschaften von Konzernmanagern, Bänkern und Lobbyisten!
Ohne Fakten wird der Kampf gegen den demagogischen Populismus auch weiterhin nicht auskommen. Aber vielleicht lässt sich sogar von der AfD-Strategie der vorgeblich einfachen Lösungen lernen. Heribert Prantl plädiert für eine „demokratische Mobilisierung“: Man nutzt „die Mittel (nicht die Ziele) des Populismus, also etwa die Mittel der Komplexitätsreduktion, um für rechtsstaatliche Grundrechte und Grundwerte glühend zu werben und so die Gesellschaft zu immunisieren gegen den nationalistisch-rassistischen Brand.“ Der Wahlkampf 2017 hat längst begonnen.