Buchtipp: Netzwerk der Neuen Rechten

Im vergangenen Herbst zog die AfD erstmals in den Bundestag an. Mehr als durch konstruktive politische Arbeit ist sie seither durch Finanzskandale aufgefallen.  Den Wahlkampf – so wird jetzt nach und nach aufgedeckt – finanzierte sie nicht zuletzt durch illegale Parteispenden. Dennoch ist kaum damit zu rechnen, dass sie in absehbarer Zeit aus dem parteipolitischen Spektrum verschwindet. Zu stabil rangieren ihre Umfragewerte im zweistelligen Prozentbereich.

Doch der Einfluss der AfD reicht weit über ihre Präsenz im Bundestag und den Länderparlamenten hinaus. Die Partei sei der Nucleus eines neuen rechten Netzwerks, das mehr als 130 Stiftungen, Vereine, Medien und Kampagnen umfasst, so die These der beiden „Zeit“-Autoren Christian Fuchs und Paul Middelhoff. Aufgrund ihrer Wahlerfolge habe sie viel Geld eingesammelt und funktioniere längst als eine Art Sprachrohr der Bewegung.

Einer Bewegung, die von ihren Vorgängern gelernt habe. Anders als die Neonazis vergangener Jahrzehnte werde das NS-Regime nicht mehr romantisiert, sondern eher relativiert – erinnert sei an den unsäglichen Spruch Alexander Gaulands vom „Vogelschiss der Geschichte“. Kleinster gemeinsamer Nenner der beteiligten Gruppen sei die Ablehnung des Islam, die Einwanderung von Muslimen und die von Thilo Sarrazin salonfähig gemachte These vom „Großen Austausch“ der Bevölkerung.

Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit sei hierzulande in jüngerer Zeit eine „patriotische Parallelgesellschaft“ entstanden. Eine Deutschlandkarte weist die diversen Akteure auf, unterschieden nach den Kategorien Partei, Verlag, Medium, Finanzier, Think Tank und Kampagne. Aufschlussreich sind dabei weniger konkrete Porträts von Hauptprotagonisten wie dem „Populisten“ Jürgen Elsässer, dem „Strategen“ Götz Kubitschek oder dem „Ideologen“ Björn Höcke, die so ähnlich auch schon anderswo zu lesen waren.

Interessanter und aktueller erscheint eher die Analyse der diversen Internet-Aktivitäten der Neuen Rechten. Dabei wird unterschieden zwischen öffentlich zugänglichen Medien wie etwa Journalistenwatch („Jouwatch“), Compact, Sezession, PI-News etc. und verborgenen Kanälen. Gemeint sind geschlossene Gruppen auf Gaming-Plattformen, zum Beispiel die „Reconquista Germanica“ ein privater Kanal im Forum der Plattform Discord: „Sie organisieren Shitstorms gegen ihre Gegner, fluten die sozialen Netzwerke mit beleidigenden Bildern oder Hashtags und sammeln privateste Informationen über ihre Gegner in geheimen Internet-Kollektiven.“  Eine nationale Trollarmee, die nach Recherchen der Autoren bis zu 8.000 Mitglieder umfassen soll.

Nicht allen gefällt das verdienstvolle Stochern der Autoren im Sumpf der Neuen Rechten. Seit Erscheinen ihres Buches erhalten sie nach Verlagsangaben „Drohungen via Mail und werden in den sozialen Medien diffamiert“. Der rechtskonservative Publizist Henryk M. Broder bezichtigte die Autoren in seinem Blog „Die Achse des Guten“ allen Ernstes der Denunziation politisch Andersdenkender. Zitat: „Beim RSHA (=Reichssicherheitshauptamt, d. A.) wäret ihr nicht mal als Pförtner angenommen worden.“ Aus dem Munde eines Mannes, der unlängst nach einem Vortrag bei der AfD in inniger Umarmung mit Alice Weidel abgelichtet wurde, eigentlich ein schönes Kompliment.

Christian Fuchs/Paul Middelhoff: Das Netzwerk der Neuen Rechten. Wer sie lenkt, wer sie finanziert und wie sie die Gesellschaft verändern. Hamburg (Rowohlt) 2019, 284 Seiten, 16,99 Euro.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Buchtipp: Brüssel sehen und sterben

Ein Satiriker, der in das EU-Parlament einzieht, war der Hamburger Nico Semsrott, als er vor fünf Jahren gemeinsam mit dem ehemaligen Chefredakteur der Satire-Zeitschrift „Titanic“, Martin Sonneborn, für DIE PARTEI bei der Europawahl 2,4 Prozent der Stimmen erhält – und damit immerhin von 900.000 Menschen einen politischen Auftrag, wie Semsrott es versteht. DIE PARTEI hat neben Witzen nämlich auch den Kampf gegen Lobbyismus, Autokraten und gegen Rechts im Programm. Eine Legislatur später ist Semsrott desillusioniert und erleichtert, dass er schon während seiner Amtsausübung die feste Entscheidung gefällt hat, nicht wieder zur Wahl anzutreten.
mehr »

Buchtipp: Internet als Energiefresser

Jörg Schieb, Autor und Fachjournalist für Digitalthemen, nimmt in seinem jüngsten Buch die größten Energiefesser im Netz unter die Lupe. Neben Kryptowährungen und Künstlicher Intelligenz  gehört dazu auch das Video- und Audiostreaming, das lineare Medienprogramme zunehmend verdrängt. Anhand zahlreicher Beispiele erläutert Schieb Energieverbrauch und CO-2-Fußabdruck von Smartphone bis Netzinfrastruktur und zeigt auf, wie Digitalisierung mit Umwelt- und Klimaschutz Hand in Hand gehen kann.
mehr »

Buchtipp: Sprache des Kapitalismus

Über gendersensible Sprache läuft schon seit Jahren eine hochemotionale Debatte. In Bayerns Schulen, Hochschulen und Behörden gilt seit dem 1. April sogar ein Genderverbot. Über Begrifflichkeiten wie „steigende Preise“ oder Finanzkrisen, die wie ein „Tsunami“ über uns kommen, wird dagegen weniger gestritten. Sie beherrschen längst unser Denken und Sprechen, sind in unseren Alltag eingedrungen. Wer in diesem Wirtschaftssystem sozialisiert wurde, nutzt sie automatisch, ohne weiter darüber nachzudenken.
mehr »

Buchtipp: Irgendwas mit Film

„Irgendwas mit Film“ ist längst nicht mehr der Traumberuf früherer Jahre, weil sich rumgesprochen hat, wie unattraktiv die Arbeitsbedingungen sind. Die Produktionsunternehmen wollen das Nachwuchsproblem mit verschiedenen Initiativen lösen, die sich nicht nur an junge Leute, sondern auch an Ältere richten. Gerade Mitglieder der Altersgruppe 50plus werden zum Quereinstieg animiert. Mit ihren an die fünfhundert verschiedenen Tätigkeiten hat die Branche eine enorme Vielfalt zu bieten. In dem Interviewbuch berichten 45 Filmschaffende von ihren Erfahrungen.
mehr »