Editorial: Divers denken und arbeiten

Karin Wenk, verantwortliche Redakteurin von "M Menschen Machen Medien"
Foto: Kay Herschelmann

Der Hype um das Gendersternchen, auch als Sorge um die deutsche Sprache und die Kultur deklariert, hat in den letzten Wochen Fahrt aufgenommen. Im aktuellen Fokus von „M Menschen Machen Medien 1/2021“ zum für uns wichtigen Thema „Diversität im Journalismus“ spielt er keine Rolle. Bevor ich sage warum, dennoch ein kurzes Wort dazu. ver.di hat sich vor einiger Zeit für eine gendergerechte Sprache mit dem Sternchen entschieden. So findet es sich auch in M, mitunter gepaart mit der Ausschreibung weiblicher und männlicher Formen. Auch M erhält dazu Post von Leser*innen. Dabei geht es bis zur Weigerung, unsere Sternchen-Texte zu lesen. Nicht der Inhalt des Beitrages interessiert, sondern das missfallende Erscheinungsbild!

Und damit bin ich schon beim „Warum“. Unser Magazin setzt andere Prioritäten, wenn wir Diversität und Gleichberechtigung im Journalismus – für eine demokratische Gesellschaft – in den Fokus stellen. Frauen und andere „Minderheiten“ bilden die Mehrheit in der deutschen Gesellschaft, aber nicht im Journalismus, heißt es in M. Aber das Bewusstsein dessen wächst. Die Debatte nimmt zu, wozu durchaus der schwierige und notwendige Diskurs um eine bis dato allein männlich geprägte Sprache gehört. Veränderungen sind sichtbar. Dennoch zeigen aktuelle Studien und unzählige Beispiele aus der Praxis (S.6) auch, wie groß die Defizite sind. Viele Medien sind weit entfernt von gleich vielen Frauen in den Chefetagen, von mehr Menschen mit Einwanderungsgeschichte im Redaktionspersonal (S.7). Und auch die Benachteiligung etwa von Bewerber*innen aufgrund ihrer „sozialen Herkunft“ lohnt nähere Betrachtung (S.10). Die Sensibilität gegenüber anders Denkenden und anders als nach der vermeintlichen Norm Lebenden ist in deutschen Redaktionen ausbaufähig. Diskriminierende Bilder, häufig mit Hilfe von Klischees etwa bei Menschen mit Handicap oder Falschdarstellungen über Transgender prägen viele Medienbeiträge (S.9). Leider zeigt Corona einmal mehr, dass bestehende Unterschiede in Krisen wachsen. Sie treffen arme Menschen mehr als reiche und Frauen weltweit mehr als Männer. Das gilt auch für die Frauen in Medienberufen hierzulande (S.14).

Für die dju gehört das Thema Diversität seit Gründung zum demokratischen Selbstverständnis, betont dju-Bundesvorstandsvorsitzende Tina Groll im M-Interview (S.16/17) und plädiert für mehr Vielfalt in der Gewerkschaft und in den Redaktionen. Wenn die dju in wenigen Tagen ihren 70. Geburtstag feiert, ist sie nach wie vor „ein Angebot zur Mitgestaltung“, wenn es um guten Journalismus und um einen starken Tarifkampf geht (S. 22–25).

 

Karin Wenk, verantwortliche Redakteurin

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »

Klimaleugnung in den Medien

Rechtspopulistische Bewegungen machen weltweit mobil gegen den Klimaschutz. Sie zeigen sich „skeptisch“ gegenüber dem Klimawandel und lehnen klima- und energiepolitische Maßnahmen ab. Ein Widerspruch: Obgleich „Klimaskepsis“ und die Leugnung des menschengemachten Klimawandels vielfach zentrale Positionen der politischen Rechten markieren, existieren auch gegenläufige Tendenzen in Bezug auf Umwelt- und Naturschutz. Denn auch Rechte waren stets in Umweltbewegungen zugegen. Das hat Tradition.
mehr »

Schwierige Neuanfänge für Exiljournalisten

Für Journalist*innen im Exil ist es schwer, in ihrem Beruf zu arbeiten. Gerade wenn sie aus Ländern kommen, die wenig im Fokus des öffentlichen Interesses stehen. „Ich gehöre zu den Privilegierten“, sagt Omid Rezaee im Gespräch mit M. Der heute 34-jährige ist 2012 aus dem Iran geflohen, weil er dort wegen seiner Berichterstattung verfolgt wurde.Um einer Gefängnisstrafe zu entgehen, floh er zuerst in den Irak und dann nach Deutschland. Hier lebt er seit neun Jahren und arbeitet als Journalist.
mehr »

Spaniens Justiz kämpft gegen Hetze im Netz

Spanischen Staatsanwälte verstärken ihre Ermittlungen zu Hassverbrechen in sozialen Medien. Denn Rechtsextreme und Rechtspopulisten hetzen zunehmend im Internet. Sie machen Stimmung gegen Zuwanderung, Pressevertreter*innen und einzelne Politiker*innen. Auch das Strafrecht soll daher verschärft werden. Doch das könnte gerade für Medienschaffende zum Problem werden.
mehr »