Wo sind die Frauen über 50 im Film?

Let’s Change The Picture, Quelle: Palais fluxx

Ab fünfzig nimmt die Präsenz von Frauen in Filmen und Serien kontinuierlich ab. Bis Mitte dreißig sind Frauen noch genauso häufig im Kinofilm vertreten wie Männer. In der Altersgruppe 50 plus ändert sich das rapide: Auf ein Drittel Frauen kommen zwei Drittel Männer. Die Journalistin Silke Burmester hat nun gemeinsam mit der Schauspielerin Gesine Cukrowski unter dem Motto „Let’s Change The Picture!“ eine Initiative ins Leben gerufen, die sich für ein neues Altersbild von Frauen in Film und Fernsehen stark macht.

Es klingt wie die Story eines Science-Fiction-Films: Plötzlich verschwindet ein Viertel der Bevölkerung, als habe es nie existiert. Das Phänomen bezieht sich auf das Bild, das sich die Gesellschaft von Frauen ab Ende vierzig macht. In der Bühnensprache würde man sagen: Sie wechseln das Fach; allerdings nicht freiwillig. Um die fünfzig stellen viele Frauen fest, dass sie öffentlich nicht mehr wahrgenommen zu werden. In Filmen und Serien gilt das buchstäblich, wie eine Untersuchung des Instituts für Medienforschung an der Universität Rostock belegt hat. Auf sieben Männer ab fünfzig, sagt Silke Burmester, „kommen nur drei Frauen, und die kümmern sich: um Männer, Enkel, Blumen. Sind betrogen, verlassen, asexuell. Sie haben keine Wünsche, außer nach Harmonie.“ Das Bild der reifen Frau im Film sei in der Zeitkapsel der Neunzigerjahre irgendwo „zwischen ‚Derrick’ und ‚Die Camper’ hängengeblieben.“ Die Realität schreibe längst neue Geschichten, aber für die Filmschaffenden sei diese Altersgruppe schlicht uninteressant. „Wir werden nicht mal ermordet“, stellt die Journalistin sarkastisch fest: „Wie oft war der Fund der Leiche einer ermordeten älteren Frau Ausgangspunkt für einen Tatort oder Polizeiruf?“

Das Frauenbild verändern

Burmester (Jahrgang 1966), Betreiberin des Online-Magazins „Palais F*luxx“ (Motto: „für Rausch, Revolte, Wechseljahre“), hat daher gemeinsam mit der Schauspielerin Gesine Cukrowski (1968) eine Initiative ins Leben gerufen, die sich für ein neues Altersbild von Frauen in Film und Fernsehen stark macht. Es sei überfällig, die Geschichten der 21 Millionen deutschen Frauen über 47 zu erzählen und sie so zu zeigen, wie sie sind: „unabhängig, eigenwillig, im Aufbruch, verwirrt, wild und schön.“ Das Motto der Kampagne lautet „Let’s Change The Picture!“ (Lasst uns das Bild ändern!).

Initiativen für mehr Diversität in Film und Fernsehen gibt es einige, und sie haben in den letzten Jahren eine Menge bewirkt. Menschen mit Migrationsgeschichte, früher auf typische Klischeefiguren reduziert – Türken sind entweder kriminell oder haben einen Döner-Imbiss –  sind in unterschiedlichsten Rollen zu sehen, oft ganz bewusst in akademischen Berufen. Auch Menschen mit Behinderung oder geschlechtlichen Identitäten, die von der Norm abweichen, werden vor der Kamera nicht länger ausgegrenzt. Burmester beklagt jedoch, dass das Thema Alter und insbesondere die geringe Präsenz älterer Frauen bei den Diskussionen um Diversität regelmäßig ignoriert würden.

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Zu den Unterstützerinnen der Initiative zählen unter anderem Andrea Sawatzki, Birge Schade und Jasmin Tabatabai. Gerade Sawatzki (1963) hat nicht zuletzt dank der Verfilmungen ihrer eigenen Romane über die turbulenten Abenteuer der Familie Bundschuh vermutlich keinen Grund, über mangelnde Engagements zu klagen; in der vergnüglichen ARD-Komödie „Sterben ist auch keine Lösung“ hat sie kürzlich eine lebenslustige mehrfache Witwe verkörpert. Trotzdem stellt sie fest: „Eine Mediengesellschaft, die gezielt Altersdiskriminierung betreibt, verspielt ihre Glaubwürdigkeit.“

Für mehr realistische Frauenfiguren

Burmester betont, es gehe nicht um die einzelne Schauspielerin, „die statt der heißen Geliebten heute die sanfte Oma spielt. Es geht darum, auf den Missstand aufmerksam zu machen, dass Frauen ab 47 nicht adäquat abgebildet werden.“ So ist auch die Aussage von Birge Schade (1965) zu verstehen: Sie habe die Nase voll und wolle endlich „mehr komplexe und realistische Frauenfiguren über fünfzig sehen und spielen.“ Tabatabai (1967) ergänzt, einige der aufregendsten und interessantesten Frauen aus ihrem Bekanntenkreis seien 47 und älter: „Sie stehen mitten im Leben, sind auf der Höhe ihres Schaffens und haben der Welt viel mitzuteilen. Es wird höchste Zeit, dass diese Lebensrealität in unseren Filmen widergespiegelt wird.“

Ausgerechnet ARD und ZDF, deren Publikum im Schnitt um die sechzig ist, investieren derzeit nicht zuletzt aus Gründen der eigenen Existenzsicherung mehr Geld in Produktionen für eine jüngere Zielgruppe; diese Serien erzählen naturgemäß keine Geschichten über ältere Menschen. Burmester kann das nachvollziehen, schließlich hätten die öffentlich-rechtlichen Sender die Jungen viel zu lange sträflich vernachlässigt. Die unvermeidliche Umschichtung von Produktionsmitteln eröffne jedoch „einen Kampf zwischen Jung und Alt, den wir uns als Gesellschaft nicht leisten können. Es muss um das Miteinander gehen, nicht um die Frage ‚Die oder wir?’“. In diesem Sinn fordert auch Eleonore Weisgerber, dass sich das Bild, das Film und Fernsehen von älteren Frauen vermittelten, an der Realität orientiere: „weil sie der nächsten Generation als Vorbild dienen können.“

Die Liste der Schauspielerinnen, die die Initiative solidarisch begleiten, ist gespickt mit Prominenz; zu den ersten Unterzeichnerinnen des Aufrufs gehören unter anderem Barbara Auer, Maria Furtwängler, Nina Kunzendorf, Jutta Speidel, Gisela Schneeberger, Esther Schweins, Valerie Niehaus und Stefanie Stappenbeck. Burmesters Online-Magazin weist bereits seit 2021 unter dem Motto „#Sichtbarkeit47+“ auf die weibliche Altersdiskriminierung hin. „Fröhlich vor sich hin alternde Schauspieler“ wie August Zirner oder Axel Milberg (beide Jahrgang 1956) oder Heino Ferch (1963), heißt es dort, dürften fröhlich vor sich hin alternde Ehemänner spielen, aber die Frauen an ihrer Seite seien regelmäßig zwanzig Jahre jünger.

 

 

 

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