Brüssel re(di)giert mit

19. dju-Journalistentag forschte nach Ariadne-Faden für das Labyrinth der EU-Medienpolitik

Aktivität wurde angemahnt: Wenn es darum geht, gewachsene deutsche Vorstellungen von redaktioneller Unabhängigkeit und Qualität im europäischen Umfeld zu verteidigen und zu verbreiten, könnten die Journalisten hierzulande und ihre Interessenvertretungen viel Gutes tun. Sie sollten sich nicht scheuen, „auf Parlamentarier zuzugehen“, mitzuhelfen, „die EU-Kommission vom hohen Ross zu holen“, und überhaupt die wichtigen Ideen der Pressefreiheit auf europäischer Ebene voranzubringen.

Mit diesem Appell von Prof. Dr. Dieter Dörr, Medienrechtler aus Mainz und Vorsitzender der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK), sind Gesamttenor und Stoßrichtung des 19. Journalistinnen- und Journalistentages der dju in ver.di knapp beschrieben. Die Veranstaltung am 26. November 2005 in Berlin widmete sich dem sperrigen Thema Journalismus und Europa. Die EU – so zeigen Umfragen – wird trotz wachsenden Einflusses auf die Gesetzgebung der Teilnehmerstaaten – in der Berichterstattung immer weniger beachtet. Wie folgenreich das sein kann, erfuhren die 150 Teilnehmer, die sich unter dem Motto „Eurovision Content. Brüssel re(di)giert mit“ in der ver.di-Bundesverwaltung versammelten, Referat und Fachvorträge hörten, die Podiumsdiskussion verfolgten und mitdebattierten.
In seinem Grußwort hatte der stellv. ver.di-Vorsitzende Frank Werneke kritisiert, dass – trotz zunehmender Auswirkungen auf die nationale Politik – „nur noch eine höchst mangelhafte demokratische Teilhabe und Kontrolle beim Zustandekommen der europäischen Gesetz­gebung“ gesichert sei. Die derzeitige EU-Kommission vereine eine Machtfülle auf sich, „die so nicht akzeptabel“ sei. Sie versuche, die sozialstaatlichen Traditionen Europas abzuwerfen und „immer mehr ­Lebensbereiche nach ökonomischen Gesichtspunkten zu organisieren“. Im Bereich der Medienwirtschaft und Kulturpolitik zeige sich das aktuell an den Beratungen um die Richtlinie für Fernsehen und audiovisuelle Medien. Es werde noch ein hartes Stück Arbeit bedeuten, die Trennung zwischen Programminhalten und Werbung zu sichern. Die europäische Wettbewerbsbehörde versuche Deregulierung selbst dort durchzusetzen, wo nationale Regierungen aus Verbraucherschutzgründen oder zur Erhaltung von kultureller und Medienvielfalt eine sinnvolle Regulierungspolitik betreiben. Falls die europäische Dienstleistungsrichtlinie nach dem bisherigen Entwurf der EU-Kommission umgesetzt würde, bewirke das eine „drastische Verschlechterung von Umwelt- und Verbraucherschutzstandards sowie von Arbeitnehmer- und Entlohnungsrechten“, kritisierte Werneke. Auch im Medienbereich seien die europäischen Standards für Leiharbeit von Bedeutung, da Leiharbeit „dazu genutzt wird, Tarifstandards“ bei Journalistinnen und Journalisten „zu unterlaufen“. Diese Beispiele, so der ver.di-Vize-Vorsitzende, bekräftigten die Notwendigkeit, „dass wir als Gewerkschaften versuchen, auf europäische Entscheidungsprozesse Einfluss zu nehmen“.
In seinem Einführungsreferat wies Martin Dieckmann, medienpolitischer Sprecher von ver.di, „Wege durch das Labyrinth“ des EU-Rechts im journalistischen Alltag. Dabei gehe der „Dschungel der Regeln und Regulierungen“ von keinem leicht durchschaubaren Institutionengefüge aus, sondern sei selbst „in der dritten Dimension grundlegend labyrinthisiert“. Im Bild des „Europäischen Hauses“ ausgedrückt, bedeute das: „Je höher die Stockwerke, desto unübersichtlicher wird die gesamte Innenausstattung.“
Journalistinnen und Journalisten, so der Referent, seien von indirekt oder mittelbar wirkenden Regelungen oft am meisten betroffen – „im Guten wie im Schlechten“. Ganz oben stehe der Grundsatz der Freizügigkeit als Jedermanns Recht im bürgerlichen Sinne. Ebenso wie die Informationsfreiheit bewirke er „in der Praxis einen Zugewinn“. Das am 1. Januar 2006 in Deutschland in Kraft gesetzte Informationsfreiheitsgesetz sei ein positives Ergebnis EU-weiter Harmonisierung. Diese verursache jedoch zugleich zunehmende „Verzwicktheit“. In Ländern wie in Schweden habe der ebenfalls von der EU normierte Datenschutz eher eine Einschränkung früher weiter gehender Informationsrechte bewirkt. Ein neuerlicher bedrohlicher Fall von Rechteharmonisierung scheine auch dank hartnäckiger Intervention der Europäischen Journalisten-Föderation akut abgewendet: das so genannte Rom-II-Abkommen, das den Ort der Gerichtsbarkeit in Zivilstreitigkeiten bestimmen sollte. Es hätte eine „brandgefähr­liche Entwicklung für die Medienbericht­erstattung“ heraufbeschworen. Journa­listische Meinungsäußerungen, die in Deutschland durch die Pressefreiheit gedeckt sind, hätten nach Rom-II in Ländern, wo sie nach nationalem Presserecht nicht zulässig sind, dort auch strafrechtlich verfolgt werden können. Ähnliche Gefahren lauerten noch auf dem gesamten Gebiet der Inhaltskontrolle von Medienberichterstattung, abgeleitet aus Grundsätzen des Verbraucher-, Gesundheits- oder Jugendschutzes. „Schon lange“, so warnte Dieckmann, „gibt es auf EU-Ebene Akteure, die eben nicht mehr nur Werbeinhalte, sondern Inhalte überhaupt normieren wollen“.

Richtlinienwirrwarr und Wettbewerbslogik

Der Referent kennzeichnete weitere rechtspolitische EU-„Baustellen“, die für den Journalismus relevant werden könnten: So die Dienstleistungsrichtlinie mit dem verhängnisvollen „Herkunftslands­prinzip“ oder den Streit um das deutsche Gebührensystem für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und dessen „Einpassung“ ins Beihilferegime der EU. Richt­linienwirrwarr und Kompetenzüberschneidungen bewirkten, dass über „die Entwicklungsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland und Europa maßgeblich von der Generaldirektion Wettbewerb entschieden“ werde „und nicht im Kommissariat für Informationsgesellschaft und Medien“. Generell wirke sich die Vorherrschaft der Wettbewerbslogik im Gemeinsamen Markt auf die Dauer „verhängnisvoll“ aus. Wichtige Grundrechte drohten „zu nicht mehr als reinen Ausnahmebestimmungen des allgemeinen, EU-weiten Wettbewerbsrechts“ degradiert zu werden.
Trotz aller Kritik an den „Webfehlern“ des EU-Richtliniensystems, so der Referent, gehe es der dju nicht um einen Auszug oder eine Verweigerung gegenüber dem „Europäischen Haus“, sondern um dessen sinnvolle und praktikable Innenausstattung. Dafür trügen die Journalisten hierzulande Mitverantwortung. Nötig sei, so Dieckmann, ein „systematisches Entkernen“ des bislang durchwucherten Gebäudes, quasi seine „Instandbesetzung“.
Auf die Gefahren, die der Pressefreiheit, dem Recht auf Information und dem Recht auf möglichst umfassende Realitätsvermittlung durch die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte schon heute drohen, machte Prof. Robert Schweizer als nächster Redner aufmerksam. Der Anwalt, Rechtssoziologe und ass. Vorstandsmitglied Hubert Burda Media deckte Widersprüche zwischen der bislang geltenden Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts und der des Europäischen Gerichtshofs zum Persönlichkeitsrecht und dem Recht am eigenen Bild auf. Bislang habe die deutsche Presse stolz darauf sein können, dass das Bundesverfassungsgericht erkannte und anerkannte: Jede und jeder sei auf Bezugspersonen angewiesen. Es müsse der Presse deshalb grundsätzlich möglich sein, „über diese Bezugspersonen die Realität zu vermitteln“, so Schweizer. Dieses Herangehen habe es möglich gemacht, Personen von zeitgeschichtlicher Bedeutung nicht lediglich auf ihre Funktion begrenzt abzulichten und entsprechende Bilder zu ver­öffentlichen. Mit dem so genannten Caroline-Urteil aus Straßburg werde diese Praxis jedoch für rechtswidrig erklärt: „Jede Tätigkeit, die nicht Funktionsausübung ist, gilt als privat, selbst wenn sie sich an einem jedermann zugänglichen öffentlichen Platz abspielt“, hieß es dort. Nach Auffassung Schweizers werde sich das Urteil „noch negativer auf die Pressefreiheit auswirken, als die meisten annehmen“. Bekäme es Rechtskraft, würden die bislang „ausdifferenzierte“ deutsche Rechtssprechung und die Regelungen in den anderen europäischen Ländern auf den jeweils kleinsten Nenner geschrumpft.

TV-Product Placement erhöht Druck auf die Presse

Auch die Novelle der EU-Fernsehrichtlinie bilde ein beredtes Beispiel dafür, dass inzwischen Gefahren bestünden, „über die EU Interessen durchzusetzen, die sich national nicht realisieren ließen“. Auch auf die Presse dürfte es gravierende Auswirkungen haben, wenn etwa Product Placement im Fernsehen grundsätzlich zulässig sei. Dann gehe das Verständnis für die Trennung von Werbung und Redaktion zurück, der Druck auf die Presse, ebenso zu verfahren, wüchse, Presseredaktionen verlören Glaubwürdigkeit und Werbegelder flössen an das Fernsehen ab. Trotz aller Proteste sei bislang kein Umdenken in Brüssel erkennbar.
Ähnlich schwerwiegende Auswirkungen seien von den EU-Werbeverboten zu befürchten. Inzwischen dürften in einigen Ländern Fotos von Sportereignissen nicht mehr gezeigt werden, wenn Tabakwerbung an Kleidung oder Fahrzeugen von Protagonisten platziert ist. Es stehe zu befürchten, dass solche Werbeverbote sogar auf den redaktionellen Teil der Berichterstattung ausgedehnt werden könnten. Insgesamt, so Schweizer zum Schluss, werde in anderen Ländern der Wert der Pressefreiheit oft geringer gesehen. Es scheine, dass die „Rechtsgefühle in Gesamteuropa“ in der Summe „gegen die Pressefreiheit und das Recht der Bürger auf Information“ tendierten. Deshalb sei „Gefahr im Verzug“.
Die Europäische Union sei nicht nur eine Wirtschafts-, sondern auch eine Wertegemeinschaft, stellte Europaabgeordnete Ruth Hieronymi klar. Wenn man sich allerdings „nicht genügend um die Werte kümmert“, nicht ausreichend Öffentlichkeit und Diskurs herstelle, gewinne die Ökonomie Dominanz. Obwohl das Regelungslabyrinth in den vergangenen Jahren eher noch komplizierter geworden sei, sei ein Ausgang relativ einfach zu finden, erklärte sie den Teilnehmern des Journalis­tentages: „Übernehmen Sie politische Verantwortung und Sie können Einfluss nehmen!“, forderte die im Kulturausschuss des EU-Parlaments tätige Abgeordnete: „Wer nicht handelt, wird behandelt!“ Presse und Radio seien bis heute Medien, die ausschließlich in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten fallen. Erst mit der Entstehung des grenzüberschreitenden kommerziellen Fernsehens Mitte der 1980er Jahre habe sich europäisches Recht im Medienbereich entwickelt. Die erste Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ enthielt wesentliche Prinzipien und Standards, die sich sehr bewährt hätten. Allerdings veränderte sich die Technologie zur Verbreitung seither dramatisch. Die europäische Fernsehrichtlinie gelte nur für das traditionelle analoge Fernsehen, nicht für die digitale Übertragungsart. Video-on-demand falle nach EU-Logik unter die Richtlinie für den elektronischen Handel, für Mobiltelefonie und Internet gelte die Telekommunikationsrichtlinie. Die grundsätzliche Frage, wie audiovisuelle Güter, die gleichermaßen Wirtschafts- und Kulturgut darstellen, künftig rechtlich auf europäischer Ebene behandelt werden sollten, sei „bisher nicht geklärt“.

Dualismus erfordert lex specialis

Wenn audiovisuelle Inhalte zur Sicherung einer kulturellen Vielfalt – und unabhängig von der Art ihres Transports – dem EU-Wettbewerbsrecht auch künftig nicht unterliegen sollen, bedürfe es einer schnellen Überarbeitung der Fernsehrichtlinie. Dieses Vorgehen sei nicht unumstritten, gehe aber davon aus, dass künftig alle audiovisuellen Inhalte unter den gleichen Rechtsrahmen fallen sollen. Unterschieden werde lediglich noch nach linearen und nicht-linearen Diensten. Grundregeln wie Herkunftslandprinzip und das Setzen von Mindeststandards sollen beibehalten werden. Wichtige Meilensteine auf diesem Weg seien gesetzt, indem der Binnenmarktausschuss des EU-Parlaments Ende November mit breiter Mehrheit ­beschloss, dass für audiovisuelle Dienst­leistungen nicht die Dienstleistungsrichtlinie, sondern weiterhin eine lex specialis gelten solle. Die kürzlich verabschiedete UNESCO-Konvention zur Erhaltung der kulturellen Vielfalt dürfe als Bestätigung dafür gewertet werden, audiovisuelle Dienstleistungen auch international nicht dem Handelsrecht zu unterwerfen. Dringend bleibe die Revision der Fernsehrichtlinie mit dem grundlegenden Problem einer Gefährdung des Trennungsgebotes durch Product Placement. Anzunehmen sei, dass die europäischen Verleger dazu keine einheitliche Position einnehmen werden. Trotz dieses „trojanischen Pferdes“ dürfe der notwendige einheitliche Rechtsrahmen nicht torpediert werden.
„Wenn es in der Europäischen Gemeinschaft um Medienfreiheit geht, stehen wirtschaftliche Gesichtspunkte im Vordergrund“, leitete Prof. Dieter Dörr seinen Vortag unter dem Motto „Freiheit? Gleichheit? Wettbewerb!“ ein. Da sich die Medien – ganz gleich, ob elektronisch oder klassisch – sowohl als Dienstleistung als auch Ware verstehen lassen, fielen sie unter die vereinbarten Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes. „Die wirtschaftlich verstandene Medienfreiheit berührt mehrere dieser Grundfreiheiten, die man nicht mit den Grundrechten verwechseln darf“, führte Dörr aus und kam zu dem Schluss, dass nach diesem Verständnis „in Zweifelsfällen die wirtschaftliche Freiheit den Vorrang vor den Interessen hat, die dieser Freiheit entgegen gestellt werden“.
Zugleich habe sich die EU aber zur Erhaltung der kulturellen Vielfalt bekannt und sehe speziell länderübergreifendes Fernsehen und den Rundfunk als Be­standteile der Kultur. In diesem Bereich sei eine Harmonisierung ausdrücklich ausgeschlossen. Mögliche Kompetenzen der EU hingen vielmehr mit dem Binnenmarkt und dessen Grundfreiheiten wie Warenverkehrs-, Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit, Arbeitnehmerfreizügigkeit sowie Freiheit des Kapitals und des Zahlungsverkehrs zusammen.

Kompetenzstreitigkeiten um kulturelle Vielfalt

Für den Medienbereich am bedeutsamsten sei die Dienstleistungsfreiheit. In deren Beurteilung habe sich über die letzten Jahrzehnte eine beträchtliche Entwicklung vollzogen. Konsens bestehe heute darin, dass Rundfunksendungen „kulturelle Leistungen“ seien, „die sich gleichzeitig als Dienstleistungen einordnen“ ließen. Das bedeute deshalb in der Konsequenz nicht, dass „die Gemeinschaft jede Frage regeln darf, die den Rundfunk betrifft“. Wie weit die Kompetenzen allerdings tatsächlich gehen, sei bisher nicht eindeutig bestimmt. Mittlerweile habe selbst der Europäische Gerichtshof den „Pluralismus im Rundfunkwesen als zwingendes Erfordernis des Allgemeininteresses anerkannt“. Ähnliche Tendenzen seien auch hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit erkennbar. Das lege den Schluss nahe, dass das euro­päische Gemeinschaftsrecht seinen Geltungsanspruch dort zurücknimmt, „wo zwingende Allgemeininteressen der Mitgliedsstaaten in Rede stehen“.
Anders beim Wettbewerbsrecht. In der Auseinandersetzung um die bundesdeutsche Gebührenfinanzierung des Rund­funks sei die Europäische Kommission vorläufig zu der Auffassung gelangt, dass „es sich bei den deutschen Rundfunk­gebühren um staatliche Beihilfen handelt, die nicht in jeder Hinsicht mit dem gemeinsamen Markt vereinbar seien“. Die weitere Entwicklung sei spannend, auch in der Frage, ob die Rundfunkgebühr künftig womöglich der steten Beihilfekontrolle der Union unterzogen werden soll.
Zur Revision der Fernsehrichtlinie erläuterte Dörr, dass nichts dagegen spreche, quantitative Werberegelungen in der künf­tigen Richtlinie zu streichen. „Dagegen sollten die qualitativen Werbebeschränkungen beibehalten und verdeutlicht werden.“ Jede Vermischung von Werbung und Programm „gefährdet die journalis­tische Unabhängigkeit und damit die Presse- und Rundfunkfreiheit“, meinte er.
Die Harmonisierung der Verwaltungs- und Rechtsvorschriften der EU im Medienbereich sei noch nicht abgeschlossen und deshalb „mit weiteren Regelungen zu rechnen“, so sein Fazit. Dörr zeigte sich skeptisch, ob die EU ihre Kompetenzen dabei eher eng auslegen und in welchem Umfang auf nationale Besonderheiten Rücksicht genommen werde. Zu befürchten sei, dass den Mitgliedsstaaten „durch detaillierte Regelungen zu wenig Raum gelassen wird“. Doch erstarkten gleichzeitig auch föderalistische Tendenzen im europäischen Medienbereich, die nationale und regionale Besonderheiten als Chance sähen. Die EU täte gut daran, sich damit zu bescheiden, „unerlässlich notwendige Rahmenregelungen zu schaffen“ und der Entwicklung von Vielfalt möglichst wenig Grenzen zu setzen.

Selbstregulierung versus Aufsichtsbehörde

Die abschließende Podiumsdiskussion „Zwischen Lobby und Widerstand“ befass­te sich mit Chancen und Herausforderungen journalistischer Interessenvertretung, mit Erfahrungen und Perspektiven europäischer Initiativen für Journalisten und Medien, kurz mit Transparenz und Lobbyarbeit. Frank Werneke sah Einflussmöglichkeiten für die Gewerkschaft im „gezielten Dialog mit Entscheiderkräften“, in der Herausbildung europäischer Interessenvertretungsstrukturen, etwa der Bildung europäischer Betriebsräte in kontinental agierenden Großunternehmen, aber auch in länderübergreifender Vernetzung, etwa im Rahmen des „Europäischen sozialen Dialogs“. Dabei sei es nötig, Europapolitik „über Spezialistenthemen hinaus zu einer politischen Vision zu entwickeln“, die sozialstaatliche Traditionen wahre und öffentliche Daseinsvorsorge auf höherer Ebene sichere. ver.di müsse „als Multibranchen- und Multiberufs-Gewerkschaft versuchen, die Grundausrichtung europä­ischer Politik zu beeinflussen. Wir dürfen nicht dabei stehen bleiben, einzelne Entscheidungen zu kritisieren, sondern sollten auf solche Entscheidungen aktiv Einfluss nehmen. Das unterscheidet uns – und wie ich meine positiv – von Berufsverbänden und -organisationen, wie wir sie gerade im Medienbereich als Konkurrenten haben. Unser Ziel ist, auf allen Handlungsfeldern für ein soziales und demokratisches Europa zu streiten“, sagte Werneke.
Dr. Wolfgang Mayer, von der dju entsandtes Mitglied des Steering Committees der Europäischen Journalisten-Föderation (EJF), berichtete, dass sich die Interessenvertretung bemühe, über Expertengruppen, Gespräche und Öffentlichkeitsarbeit auf Entscheidungsvorlagen möglichst schon Einfluss zu nehmen, bevor sie die Europäische Kommission erreichen. Die Funktion der europäischen Interessenvertretung sah er darin, „Marder an den Schläuchen der Autos zu sein, die in die falsche Richtung fahren“. Das sei im Falle von Rom-II so gewesen. Bei der europä­ischen Richtlinie zum Anlegerschutz sei es gelungen, die geplante Installation einer staatlichen Medienaufsichtbehörde zugunsten von Selbstregulierungsmechanismen zu verhindern. Ähnliche Erfordernisse bestünden hinsichtlich der Verwertungsgesellschaften.

Grundfreiheiten und Qualitätsstandards

Heinrich Bleicher-Nagelsmann, ver.di-Fachbereichsleiter Kunst und Vizepräsident von UNI-MEI, nannte die Vertei­digung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die Novellierung der Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“, gemeinsame Bemühungen gegen die zunehmende Medienkonzentration und für Beschäftigungssicherung als aktuell wichtigste Handlungsfelder journalistischer Interessenvertretung in Europa. Marc Gruber vom EJF-Sekretariat in Brüssel, der diese Aktivitäten mit Kontaktpflege und Lobbying unterstützt, beschrieb Mühen und Chancen der täglichen Kleinarbeit. Björn Richter, bis vor kurzem Vorstandssprecher des Jugendpresse Deutschland e.V. und Mitbegründer der European Youth Press, die fast 50.000 junge Berufskollegen vereint, berichtete von der erst kurzen, aber erfolgreichen Arbeit der Organisation. Dem gegenseitigen Kennenlernen und detaillierter Information dienten neben Websites und der Verbandszeitschrift Recherchereisen und Kooperationen zwischen verschiedenen, aktuell auch osteuropäischen EU-Mitgliedsländern. Ein Ziel sei, Standards in der Journalistenausbildung durchzusetzen.
Mit dem Publikum ergab sich eine Debatte um potenzielle Bündnispartner im gemeinsamen Ringen um Grundfreiheiten und Qualitätsstandards im Medienbereich und um Regelungs-Transparenz. Wo ist der gemeinsame Nenner bei Presse- und Medienfreiheit, wurde gefragt und darauf verwiesen, dass der „Europäische Soziale Dialog“ die Presse bisher nicht einschließe. Werneke sah das als verpasste Chance. Prof. Schweizer leitet zunächst einen nationalen Handlungsbedarf ab: „Warum soll es die Pressefreiheit nicht wert sein, sich zu ihrer Verteidigung zusammenzutun?“, fragte er mit Blick auf ein möglichst breites Interessenbündnis hierzulande.
Für die „erquickende Hausbesichtigung und die lichtvoll-erhellende Gefahrstellenbeschreibung“ bedankte sich dju-Sprecher Manfred Protze bei allen Akteuren und Teilnehmern des Journalisten­tages. „Die Sicherung kultureller und sozialer Standards ist alles andere als ein Selbstläufer. Wir müssen das selber in die Hand nehmen und Mittel und Bündnispartner auf dem Weg nach Europa finden“, gab er ihnen mit auf den Weg.

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