Die betriebliche Mitbestimmung durch gewählte Interessenvertretungen ist vielerorts bewährte Praxis und gesetzlich klar geregelt. Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) – so etwas wie das Grundgesetz für die Betriebsräte – gilt seit 1952 und wurde 2001 letztmalig novelliert. Hält es den Erfordernissen einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt noch stand? Ein Blick zurück und nach vorn.
In den revolutionären Massenstreiks von 1917 und 1918 agierten erstmals Arbeiterräte. Sie mit Machtbefugnissen auszustatten, war nach dem Ende des Ersten Weltkrieges eine Forderung der Arbeiterbewegung. Doch das am
4. Februar 1920 erlassene Betriebsrätegesetz enthielt das Wort „Räte“ nur noch als Konzession. Dagegen formierte sich Protest. Zur letzten Lesung im Reichstag kamen über 100.000 Demonstranten, aufgerufen von revolutionärer Betriebsrätezentrale, USPD und KPD. „Her mit dem vollen Mitbestimmungsrecht!“, hieß eine der Losungen. Am Ende gab es 42 Tote und über 100 Verletzte, weil die von der Ebert-Scheidemann-Regierung postierte Sicherheitspolizei in die Menge feuerte.
Schon eine 1926 erschienene Untersuchung über die Betriebsräte der Weimarer Republik kam zu dem Schluss, dass im Betriebsrätegesetz „von dem ursprünglichen Rätegedanken nur ein karger Rest“ verwirklicht worden sei. Freilich regelte es in den Betrieben eine gewählte Interessenvertretung der Arbeitnehmer auf sozialem und personellem Gebiet. Das genügte den braunen Machthabern, das Gesetz im Januar 1934 aufzuheben und eine Betriebsverfassung gemäß „Führerprinzip“ anzuordnen. Das kippten erst die Alliierten. Am 10. April 1946 wurden von den Siegermächten durch das Kontrollratsgesetz Nr. 22 Rahmenbestimmungen über eine neue Betriebsverfassung erlassen, die durch Ländergesetze ausgefüllt und ergänzt wurden.
In der Bundesrepublik Deutschland trat am 14. November 1952 das Betriebsverfassungsgesetz in Kraft. Es regelt in der Tradition des Weimarer Betriebsrätegesetzes Informations-, Konsultations- und Mitbestimmungsrechte und verlangt „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat. 1972 wurde das Gesetz grundlegend modernisiert. Seither ist es mehrfach überarbeitet worden, zuletzt durch eine Novellierung vom 27. Juli 2001 sowie kleinere Anpassungen 2017.
Das Betriebsverfassungsgesetz stellt die Verhältnisse in Unternehmen nicht grundsätzlich in Frage. Gesellschaftliche und übergreifende Tarifkonflikte sollen außerhalb von Werkstoren ausgefochten werden. Betriebsrat und Arbeitgeber müssen sich „einigen“. Betriebsräte vertreten die Interessen der gesamten Belegschaft. Die Mittel, die ihnen dafür zur Verfügung stehen, sind gesetzlich klar begrenzt: Sie dürfen keine Streiks anzetteln, Arbeitsabläufe und den Betriebsfrieden nicht stören.
Mitsprache bei Digitalisierung
Herzstück der Betriebsverfassung sind die Mitbestimmungsrechte. Die wichtigsten stehen in Paragraph 87, Absatz 1. Danach kann der Betriebsrat mitbestimmen über Verhaltensregeln im Betrieb (Compliance), den Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit, über Überstunden und Kurzarbeit. Echte Mitbestimmung gibt es auch bei der Überwachung durch technische Einrichtungen und Software, die das Verhalten der Beschäftigten erfassen. Mitbestimmen dürfen Betriebsräte bei Maßnahmen des Gesundheitsschutzes, bei betrieblichen Sozialleistungen und Weiterbildungsmaßnahmen. Schließlich gilt Mitbestimmung auch beim Abschluss von Sozialplänen, die wirtschaftliche Nachteile bei Betriebsänderungen ausgleichen. Das greift bei Massenentlassungen, aber auch der Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden.
Auch wie Gewerkschaften in Unternehmen hineinwirken dürfen, ist im BetrVG geregelt. Über diese begrenzten Rechte hinaus setzen sich DGB-Gewerkschaften für mehr Arbeitnehmer-Beteiligung ein. Die digitalisierte Wirtschaft verlange „Mitbestimmung 4.0“, fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund. Rechte dürften nicht abgebaut, sondern müssten verbessert werden: „Die Digitalisierung braucht tatsächlich eine moderne Mitbestimmung – also eine, die die Interessen und Daten der Beschäftigten vor Willkür schützt“, so DGB-Chef Reiner Hoffmann. Ganz anders die Vorstellungen der Arbeitgeber: Damit Unternehmen technische Neuerungen schnell umsetzen können, sei etwa ein Mitspracherecht des Betriebsrats bei der Anpassung einer Software nicht mehr zeitgemäß.
Solange keine gesetzlichen oder tarifvertraglichen Regelungen dazu getroffen sind, tragen derlei Konflikte aktuell auch Betriebsräte in den Medienhäusern aus. Da geht es um moderne Technik zur Verhaltenskontrolle oder um Entgrenzung von Arbeitszeit vs. mehr Zeitsouveränität. Um Druck auf Stammbelegschaften und Mitbestimmungsrechte durch den Einsatz von Subunternehmen bis hin zu Clickworkern. Oder um Arbeitnehmerdatenschutz. Zu alledem sagt das geltende Betriebsverfassungsgesetz wenig oder gar nichts.