Angriffe auf den ORF: Ruf nach Konsequenzen

ORF: Offenbar ein längerer Weg zu gesicherter Unabhängigkeit Foto: Danilo Höpfner

Es ist in Österreich ein offenes Geheimnis, dass politische Zugehörigkeiten und Interessen bei der Besetzung von ORF-Chefposten von gehobener Bedeutung sind. Doch für viele Beschäftigte des Österreichischen Rundfunks schlägt eine kürzlich bekannt gewordene Nebenvereinbarung der Regierungsparteien in Wien aus dem Jahr 2017 dem Fass den Boden aus. Sie protestieren und fordern nachhaltige Konsequenzen.

Dieter Bornemann ist in Österreich ein bekanntes Gesicht. Er ist Moderator des ORF-Wirtschaftsmagazins „Eco“, Präsentator der Börse in der Nachrichtensendung „ZIB“, Teil der ORF-„Pressestunde“. Und er ist Vorsitzender des ORF-Redakteursrates, der Vertretung der Journalistinnen und Journalisten im Österreichischen Rundfunk.

In letzter Funktion, die den ORF-Zuschauern weniger bekannt ist, wandte er sich vor wenigen Tagen mit einer Protestnote an die österreichische Öffentlichkeit. „Wir sind empört, mit welcher Dreistigkeit es bei Regierungsverhandlungen zum Thema ORF ausschließlich um die Interessen der politischen Parteien und Postenschacherei geht. Und wie Führungsfunktionen im ORF mit großer Selbstverständlichkeit unter den Regierungsparteien aufgeteilt werden“, so Bornemann in einer Presseaussendung.

Der Anlass: Ende Januar wurde eine Nebenvereinbarung zwischen den Regierungsparteien, der konservativen ÖVP und der rechtspopulistischen FPÖ aus dem Jahre 2017 bekannt. Deren Ziel, so der Redakteursrat, waren offensichtlich die massive Schwächung des ORF, die Gefährdung seiner Unabhängigkeit durch die Abschaffung der Rundfunkgebühren und eine De-facto-Verstaatlichung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das Dokument wurde nie im offiziellen Koalitionsabkommen offengelegt, sondern in jener Nebenvereinbarung versteckt.

Doch dabei blieb es nicht: „Dazu kamen Angriffe aus der Regierung auf einzelne Redakteurinnen und Redakteure, offensichtlich mit der Absicht, sie einzuschüchtern“, so Bornemann gegenüber M. „Der damalige Vizekanzler der Republik Österreich, Heinz-Christian Strache von der FPÖ, hat etwa auf seiner Facebook-Seite dem Fernsehmoderator Armin Wolf das Verbreiten von wörtlich ‚Fake News, Lügen und Propaganda‘ unterstellt. Ein derart systematisches Beschädigen der beruflichen Reputation von Journalisten, das Untergraben der Glaubwürdigkeit, hat dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und der Demokratie in Österreich geschadet.“

Der Ton und das Niveau im Umgang mit dem ORF haben sich unter der jetzigen ÖVP/Grünen-Regierung zwar verbessert. Doch auch die aktuelle türkis-grüne Regierung hält ihre Krallen im ORF. Die Regierung betrachte die öffentliche-rechtliche Radio- und Fernsehanstalt als „Hilfsorgan der Regierung“, sagt der Medienjurist Hans Peter Lehofer der Wiener Tageszeitung „Der Standard“. So solle die kommende Nominierung des Vorsitzenden des Stiftungsrates, des obersten Kontrollorgans des ORF, nun durch die Grünen erfolgen. Auch eine staatliche Impflotterie, die die Regierung in Auftrag gegeben hat, um unentschlossene Österreicher zu einer Corona-Schutzimpfung zu bewegen, soll der ORF im Auftrag der Regierung abwickeln.

Der Redakteursrat unter dem Vorsitz von Dieter Bornemann fordert als Konsequenz den sofortigen Rückzug aller Personen aus dem Stiftungsrat, die ganz offensichtlich im Sinne von Parteien agieren und nicht zum Wohl des Publikums und des ORF. „Wer mit der Politik über Posten verhandelt, hat in einem unabhängigen ORF nichts verloren“, heißt es im Forderungspapier.

Strukturprobleme lösen

Die politische Einflussnahme auf den ORF ist in Österreich eine Art Strukturproblem, das die Redakteursvertretung schon seit vielen Jahren kritisiert. „Die Einflussnahme geschieht über unser Aufsichtsorgan, den Stiftungsrat, das laut Gesetz unabhängig zu sein hat. Aber von 35 Mitgliedern sind 30 direkt oder indirekt einer politischen Partei zugeordnet“, erklärt Bornemann gegenüber M. Der jetzige Vorsitzende des Stiftungsrates ist ehemaliger Parteichef der FPÖ. Wenn ganze „Personalpakete“ in Parteizentralen vereinbart und sich der Stiftungsrats-Vorsitzende auf angebliche Absprachen mit dem ORF-Generaldirektor beruft, dann führe das die gesetzlich und im Redakteursstatut vorgesehenen Ausschreibungen, Hearings und Bewerbungsprozesse ad absurdum, so Bornemann. Wie viele weitere Mitarbeiter im ORF wünscht er sich nun einen transparenten Prozess bei der Besetzung des Stiftungsrates – mit anerkannten Expertinnen und Experten statt parteinahen Aufpassern.

Zudem solle ein neues ORF-Gesetz her, das sicherstellt, dass ausgewiesene Fachleute in den Aufsichtsgremien sitzen und der Einfluss der Parteien zurückgedrängt wird. Dabei soll auch ein neues Redaktionsstatut helfen, das echte Mitsprache und Mitbestimmung bei der Besetzung von journalistischen Führungsfunktionen sicherstellt – so wie es in zahlreichen Qualitätsmedien in Österreich und im Ausland auch üblich ist. Da ein durchsetzungsstarkes Redaktionsstatut, in dem die Mitsprachemöglichkeiten der Redaktion besser verankert ist, bisher fehlt, setzen die ORF-Mitarbeiter auf den öffentlichen Protest, der nach Angaben Bornmanns von weiten Teilen der österreichischen Zivilgesellschaft unterstützt wird.

ORF-Stiftungsratsvorsitzender Norbert Steger (FPÖ) sah im Gespräch mit der österreichischen Nachrichtenagentur APA bislang allerdings „keine Rechtswidrigkeit“ vorliegen. Es sei durchaus üblich, dass sich Stiftungsräte – wie Aufsichtsräte –austauschen, bevor gewählt werde und eine Entscheidung zustande komme.

Seit zwei Wochen nun diskutiert das Land über die öffentlich gewordenen Nebenvereinbarungen, kurz „Sideletter“ genannt. Sie haben die Diskussionen rund um geheime politische Absprachen und mögliche Postenschacher im ORF und darüber hinaus angeheizt. Auch wenn sowohl ÖVP als auch die Grünen als Folge dieser Affäre kundtun, auf solche Übereinkünfte künftig verzichten zu wollen, beobachten die dortigen Tageszeitungen einen weiteren Vertrauenseinbruch der Bevölkerung in die Politik.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Spanien: Als Terrorist beschuldigt

Der katalanische Investigativjournalist Jesús Rodríguez hat Spanien verlassen, um ins Exil in die Schweiz zu gehen. Ihm wird von Ermittlungsrichter Manuel García-Castellón die Unterstützung terroristischer Akte vorgeworfen. Die Schweiz sieht im Vorgehen der spanischen Justiz gegen den Katalanen einen „politischen Charakter“.
mehr »

Quartalsbericht zur Branche liegt vor

Einen detaillierten Blick auf das Geschehen in der Medienbranche wirft der jetzt wieder vorliegende Quartalsbericht. Er speist sich aus den Auswertung von Internetseiten, Zeitungen, Fachzeitschriften, Informationsdiensten, Verbands- und Unternehmenspublikationen. Ein Merkmal des ersten Monate dieses Jahres: Viele Übernahmen und eine Werbekonjunktur. 
mehr »

Buchtipp: Sprache des Kapitalismus

Über gendersensible Sprache läuft schon seit Jahren eine hochemotionale Debatte. In Bayerns Schulen, Hochschulen und Behörden gilt seit dem 1. April sogar ein Genderverbot. Über Begrifflichkeiten wie „steigende Preise“ oder Finanzkrisen, die wie ein „Tsunami“ über uns kommen, wird dagegen weniger gestritten. Sie beherrschen längst unser Denken und Sprechen, sind in unseren Alltag eingedrungen. Wer in diesem Wirtschaftssystem sozialisiert wurde, nutzt sie automatisch, ohne weiter darüber nachzudenken.
mehr »

Von Erbsensuppe und neuen Geschichten

„Vielfalt schützen, Freiheit sichern – 40 Jahre duale Medienordnung im föderalen Deutschland“. Dies war das Thema des Symposiums, das am 23.  April in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stattfand. Ausrichter war die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM).  Teilnehmer waren Verantwortliche aus Medienpolitik und -wissenschaft, Rundfunkregulierung und Medienunternehmen.
mehr »