Ecuador: Mord an einem Unbequemen

Der ecuadorianische Präsidentschaftskandidat bei seinem letzten Wahlkampfauftritt in einer Schule am 9. August in Quito. Als er sie verließ und in sein Auto stieg, wurde er erschossen. Foto: picture alliance/AP

Korruption, Bandenkriminalität und Auftragsmorde gehören seit wenigen Jahren zum einst so friedlichen Ecuador. Mit dem Präsidentschaftskandidaten Fernando Villavicencio ist ein Mann ermordet worden, der all das unverblümt angeprangert und auch angezeigt hat. Der investigative Journalist hatte mit Recherche zur Korruption im Erdölsektor begonnen, aber wie wenige andere auch vor der Bandenkriminalität gewarnt. Beides wollte er als Präsident rigoros bekämpfen. Er wurde von einem Killerkommando brutal ermordet.

Drei Schüsse in den Kopf beendeten das Leben des 59-jährigen Journalisten Fernando Villavicencio am 9. August  gegen 18:20 im Norden Quitos. Seine letzte Wahlkampfveranstaltung hatte das sechsköpfige Killerkommando abgewartet, um dem Präsidentschaftskandidaten, der den Experten zufolge 25 Kartellen in Ecuador den Kampf erklärt hatte, brutal zu ermorden. Der Journalist mit Schwerpunkt Anti-Korruption war bis zum 17. Mai Mitglied des dann aufgelösten Parlaments. 

Der Mann aus der in den ecuadorianischen Anden liegenden Kleinstadt Alausí war der Kandidat der Bewegung „Construye“ (Baue), und lag je nach Umfrage auf dem zweiten, vierten beziehungsweise fünften Platz unter den acht Präsidentschaftskandidat*innen für die Wahlen am 20. August. Villavicencio galt als ein Mann, der den Eliten des Landes gefährlich hätte werden können – wegen seiner Recherchen vor allem im hochkorrupten Ölsektor des Landes. „15 Milliarden US-Dollar wurden in den letzten zehn Jahren allein an Bestechungsgeldern von Förder- und Logistikunternehmen gezahlt“, so berichtet Esperanza Martínez, Gründungsmitglied der kritischen Umwelt-NGO „Acción Ecológica“.

Sie war beeindruckt von der Konsequenz, mit der Fernando Villavicencio über Jahrzehnte aktiv war und sich nicht scheute, sich auch gegen die Regierung zu stellen: erst gegen die von Rafael Correa (2007-2017), dann gegen jene von Lenín Moreno (2017-2021) und dann gegen die des noch amtierenden Präsidenten Guillermo Lasso (2021-2023).

Villavicencio hatte seinen Job von der Pike auf gelernt: er studierte Journalismus und Kommunikation an der Kooperativen Universität von Kolumbien, machte seine ersten journalistischen Erfahrungen bei „El Universo“ in Guayaquil, der ökonomischen Drehscheibe des Landes, und hatte bereits dort gelernt, mit Angriffen und Diffamierungen zu leben. Seine kritischen Artikel stießen bei der Elite in der konservativen Stadt auf mächtigen Gegenwind. Doch die Beiträge waren gut recherchiert und Villavicencio hatte Rückgrat, ließ sich nicht verbiegen. Ein Grund dafür: seine Herkunft. Er wuchs in ländlichen Verhältnissen auf, mit Kontakt zu indigenen Gemeinden und solidarisierte sich mit ihnen. Er gehörte zu den Gründern der indigenen Partei Pachakutik und  engagierte sich in der Gewerkschaft der Erdölarbeiter (Fetrapec). 1996 war er in die Presseabteilung des staatlichen Erdölunternehmens Petroecuador eingetreten, lernte Förderstrukturen, Auftragsvergabe und Umgang mit der vorwiegend indigenen Bevölkerung in Ecuadors Amazonasregion en Detail kennen.

Fernando Villavicencio war neben dem indigenen Kandidaten Yaku Pérez der einzige Präsidentschaftskandidat, der sich für das Ende der Förderung im Bloque 43 des Yasuní Nationalparks aussprach. Er plädierte für mehr Transparenz und Fairness im Erdölsektor. Das machte ihn zum Feindbild der extrem korrupten Förderunternehmen, von denen etliche aus China kommen. Er trat mit dem Wahlkampfmotto „Zeit der Mutigen“ an. Ein Ziel: in gerade anderthalb Jahren die kriminellen Banden zu besiegen. Und er bewies Mut: „Man hat mir gesagt, ich solle eine kugelsichere Weste tragen. Hier bin ich, mit verschwitztem Hemd, verdammt! Ihr seid meine kugelsichere Weste“, rief er seinen Anhängern*innen noch wenige Wochen vor seinem Tod zu. Er warb für einen Neuanfang in Ecuador mit dem Satz: „Ihr seid ein mutiges Volk, und ich bin so mutig wie ihr.“ 

Ein Neuanfang ist für den Experten Mario Melo, Dekan der juristischen Fakultät der Päpstlichen Katholischen Universität von Quito, überfällig. „Wir drohen in kolumbianische Verhältnisse wie in den 1990er Jahren zu rutschen, wir brauchen eine Wende. Das war für Fernando Villavicencio mehr als klar.“

Genau diese konsequente Haltung des Journalisten machten ihn zu einem Risiko für die organisierte Kriminalität in Staat und Gesellschaft. Darunter leiden auch die Medien, von denen viele von den Werbe-Anzeigen der Regierung abhängen und ihr nach dem Mund schreiben: oficialismo heißt das. Unabhängige, kritische Medien haben es schwer in Ecuador. 

Das spiegelt das Ranking von Reporter ohne Grenzen (RSF) nicht unbedingt wider, die Ecuador auf Position 80 führen. Ein Bericht des „Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ)“ mit dem Titel „Ecuador am Abgrund“ warnt sogar, dass Medienschaffende inmitten einer historisch beispiellosen Sicherheitskrise arbeiten. Im Jahr 2022 hat die ecuadorianische Pressefreiheits-Organisation „Fundamedios“ 356 Angriffe auf die Pressefreiheit registriert – die höchste Zahl seit 2018. Davor warnt auch der indigene Präsidentschaftskandidat Jaku Pérez. Er hat seinen Wahlkampf unterbrochen und wirbt gemeinsam mit anderen Kandidat*innen für einen gemeinsamen Minimalkonsens – im Gedenken an Fernando Villavicencio.

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