Telefondienst in Bosnien-Herzegowina hat bereits 250 Fälle bedrohter Journalisten behandelt
Den Kurs eines demokratischen Rechtsstaates zu halten ist für Bosnien-Herzegowina nicht einfach. Was die Freiheit der Medien bedeutet, hat sich noch nicht unbedingt herumgesprochen. Free Media Help Line stellt dieses Thema in den Fokus ihrer Arbeit und ist Ansprechpartner für bedrohte Medienschaffende.
Mit dem Vertrag von Dayton und der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft war 1995 in Bosnien-Herzegowina ein kompliziertes Staatswesen aus der Taufe gehoben worden, das aus zwei Entitäten besteht: aus der Republik Srpska auf der einen Seite und aus der muslimisch-kroatischen Föderation auf der anderen Seite. Schwierig ist es nach wie vor beim Regeln des politischen Zusammenlebens die polarisierten Volksgruppen zufrieden zu stellen – auch wenn das Ganze noch einmal von einem gesamtstaatlichen multiethnischen parlamentarischen System überwölbt wird, angeführt von einem dreiköpfigen Präsidium. Das Ringen um die Durchsetzung politischer Interessen geschieht mit harten Bandagen.
Kreative Vorschläge
Es sei ein positives Zeichen für Bosnien-Herzegowina auf dem Wege nach Europa, dass allmählich eine offene Diskussion über kreative Vorschläge für konstitutionelle und nationale Arrangements in der regionalen Presse aufgelebt sei, wertete der Hohe Repräsentant Wolfgang Petritsch die Situation, bevor er im Juni 2002 sein Amt dem Nachfolger Paddy Ashdown übergab. Trotzdem sind immer noch Journalisten und Medienschaffende im Ringen um einen gangbaren politischen Weg Bedrohungen und Behinderungen bei ihrer Arbeit ausgesetzt.
Persönliche Gespräche
Die Free Media Help Line (M 4/2002) hat es sich zur Aufgabe gemacht, alle auftretenden Fälle zu notieren und zu dokumentieren und betroffenen Journalisten und Bürgern mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Die Hotline war noch im letzten Jahr dem OSCE Media Affairs Department angegliedert – nach einigen Monaten Pause ist sie jetzt Teil des OHR, des ‚Office of the High Representative‘ der internationalen Gemeinschaft, einer Art Hilfsregierung mit diplomatischem Status. Auch wenn diese Einrichtung schon unter OSCE-Ägide seit 1999 ihre Anerkennung als vertrauenswürdige Kontaktstelle für Journalisten und Medienschaffende stark steigern konnte – der Telefondienst hatte bis dato mit über 250 Fällen zu tun – hat sie jetzt mit einer umfassenden PR-Aktion neu durchgestartet. Es wurde Promotionmaterial verteilt an Multiplikatoren und Medieneinrichtungen, Jingles produziert und von verschiedenen Radiostationen im Land ausgestrahlt. Regelmäßig gibt sie eigene Presseerklärungen heraus. Aber auch persönliche Gespräche mit Chefs politischer Parteien stehen auf dem Programm. Im Auftrag der internationalen Gemeinschaft tätig, schreibt die „Free Media Help Line“ Briefe an internationale Menschenrechts- und Medienorganisationen, um über den Stand der Einhaltung der Medienfreiheit und der Rechte von Journalisten, bzw. des Ausmaßes ihrer Verletzung, in Bosnien-Herzegowina zu informieren.
Die Medienprojektspezialistin Aida ist am Telefon, um Anrufe entgegenzunehmen. „Manche kommen lieber zu einem persönlichen Gespräch direkt zu uns ins Büro – ein genauso großer Teil der Anrufer will aber aus Sicherheitsgründen absolut anonym bleiben – manchmal hört man da schon Angst in der Stimme“, meint sie. Sie spricht fließend englisch, so wie die drei anderen Büromitarbeiter auch. Bei Mitarbeitern einer internationalen Einrichtung gehört das zur Mindestqualifikation. Die drei Frauen und ein Mann zwischen 24 und 56 Jahren sind dafür zuständig, dass der Vorfall jeweils in ein Formblatt eingetragen wird. Danach wird beraten, was zu tun ist. Dies hängt von dem Inhalt und der Schwere der Klage ab, ob es sich um Einschüchterung, um bedrohliche Verfolgung, oder um physische Angriffe handelt. Dann wird danach klassifiziert, ob sich der Fall bereits erledigt hat – wenn dem Betroffenen bereits von anderer Seite geholfen werden konnte – oder ob der Ausgang der Dinge noch offen steht, oder ob die Befürchtung letztlich unbegründet ist. Den weiteren Gang der Dinge übernehmen die drei anderen Mitarbeiter. Auch nach Übergabe von Fällen an andere Einrichtungen – zum Beispiel an Gerichte, werden die Fälle weiter beobachtet und dokumentiert.
Alles, was die Zuständigkeit und die Möglichkeiten des OHR überschreitet, wird an entsprechende Einrichtungen weitergeleitet, beispielsweise an die nationale Rechtsberatung. Die Mitarbeiter de FMHL ermutigen grundsätzlich, zur Polizei zu gehen oder sich an zuständige Verantwortliche zu wenden. Wenn nötig, begleiten sie den Gang zur Polizeistation, damit ein Bericht über den Vorfall angefertigt werden kann.
Anonyme Anrufe
Wie die FMHL berichtet, sind überwiegend lokale Journalisten involviert. Letztes Jahr allerdings sei eine belgische TV-Crew bedroht worden. Sie habe eine Story über Karadzic machen wollen. Auf dem Rückweg nach Sarajevo wurde ihr Auto angehalten und die Kamera entwendet. Die Palette der Vorfälle reicht von verdeckten bis offensichtlichen Drohungen, von anonymen Anrufen mit dem Inhalt „Ich werde Dich erledigen“ bis zu Gegenständen mit gehässiger Symbolik an Tür oder auf dem Schreibtisch, das zur Schau stellen von Waffen, wiederholte Besuche mit aggressivem Gebaren, Belästigung von Familienmitgliedern, nationalistischer Graffiti an den Hauswänden von Büro oder Wohnungen, Beschädigung von Eigentum, Diebstahl von Berufsausrüstungen in böswilliger Absicht jenseits des normalen Diebstahls.
In manche Vorfälle sind politisch Verantwortliche, Inhaber hoher Ämter verquickt. Die FMHL zeichnet alle Vorgänge auf – häufig bewahrt sie stillschweigen, Einiges wurde bereits in der Regionalpresse ausgefochten. Der Minister für Verkehr und Kommunikation eines bosnisch-herzegowinischen Kantons, angeprangert wegen Korruptionsverdachts, unterstellte presseöffentlich eine konzertierte Intrige gegen ihn „mit Unterstützung des lokalen Journalisten“ der „publiziert jeden Text, den Sie haben wollen für 50 Mark“.
Investigative Journalisten mundtot machen
Der besagte Minister hatte zuvor – in Anwesenheit von drei Zeugen einem Journalisten gedroht: „Die Texte, die Sie vorbereiten und Ihr investigativer Journalismus könnte Sie Ihren Kopf kosten“. Zu den unmittelbar politisch motivierten Störungen journalistischer Arbeit gehört auch die exzessive Veranlassung gerichtlicher Verfügungen, um Urheber von Pressetexten langfristig mundtot zu machen. Aber auch ein ganz anderer Fall wanderte in die Akten, die Aida zu füllen hatte. Ein Fotograf wurde angeklagt, die Persönlichkeitsrechte von zwei Bürgern beschnitten zu haben. Sie forderten 34.800 Mark Entschädigung für die Verletzung ihrer Integrität. Beide tragen lange Bärte. In einem Artikel einer Tageszeitung wurden sie aufgrund des Fotos von ihnen als ‚kroaten-hassende Mujahedins‘ präsentiert. Sie klagten, in folge dessen seelische Schmerzen und Angstzustände erlitten zu haben. Das Foto selbst war allerdings während einer Protestveranstaltung von Kriegsinvaliden und den Familien gefallener Soldaten aufgenommen worden. Diese Klage war von dem zuständigen Richter fallengelassen worden. Die FMHL riet den beiden, die Angelegenheit in einem zivilen Verfahren weiterzuverfolgen.