Gute Recherchen, doch politisch ahnungslos

Sie legen sich ins Zeug für die „Demokratie“ und haben dafür mehrere Millionen Schweizer Franken an Investitionen und Spenden erhalten. Sie wollen Journalismus langfristig absichern, der sich an nichts anderem auszurichten hat, als an den einschlägigen Qualitätsstandards. Sie haben jahrelang am juristischen und wirtschaftlichen Konzept gefeilt. Nun ist das Schweizer Online-Magazin „Republik“ in der Welt. Doch die ersten Artikel geben nicht nur Anlass zu Begeisterung.

Ralf Hutter
Foto: Privat

„Geehrte Dame, geehrter Herr, Sie wissen: Journalismus ist teuer. Dieser Beitrag wurde Ihnen von einem der über 15500 Verlegerinnen oder Verleger geschenkt. Wir hoffen, dass er Ihre Zeit wert ist.“ Das steht jeweils über den ersten Artikeln von „Republik“, dem Online-Magazin aus Zürich, das seit dem 14. Januar seine ersten Arbeitsproben veröffentlicht. Die Ansage ist typisch für dieses Projekt. Sie strahlt Seriosität aus, zeigt Anspruch, redet über Geld: Nix Gratisartikel oder Jagd nach Klicks – wir kosten, wir haben 15500 Leute, die das finanzieren, und die wir deshalb nicht Abonennt_innen nennen, Ihre Zeit ist ebenfalls wertvoll.

Hoher Anspruch, hohes Budget

Schon im vergangenen Frühjahr hauten die Gründer_innen, die nicht nur aus der Medienbranche kommen, auf den Putz: Das Schweizer Mediensystem sei „pervertiert“ und könne nicht mehr wirklich demokratisch wirken, denn es sei von Tempozwang, Stellenstreichungen und Zusammenlegungen geprägt; die Verlage wandelten sich in „Internet-Handelshäuser“. Bei „Republik“ hingegen sollen nur Inhalte zählen. Die gewissenhafte journalistische Arbeit soll sich mittelfristig selbst tragen; zuerst aber wurden zahlungskräftige Investoren gefunden (die formal kaum Macht haben werden) und ein sehr erfolgreiches Crowdfunding gemacht: Schon am ersten Tag zahlten über 3000 Menschen das 240 Franken teure Jahresabo, mittlerweile sind es über 17000. So kamen 3,5 Millionen Franken zusammen.

Damit das seit 2010 unter anderen von den erfahrenen Journalisten Christof Moser und Constantin Seibt vorbereitete Projekt qualitätsorientiertem Journalismus ein aus Freiheit und finanzieller Abgesichertheit bestehendes Fundament geben kann, das langfristig hält, gibt es nun eine Doppelstruktur: Neben der Firma, die den Journalismus besorgt und der dabei nicht reingeredet werden kann, gibt es eine Genossenschaft, die für Ausbildung, Experimente und quelloffene IT-Entwicklung zuständig ist.

Starke Recherchen, aber schwacher Blick auf die Mächtigen

Die eingangs zitierte Formulierung, der Artikel sei „geschenkt“, erklärt sich damit, dass auf der Startseite von „Republik“ kein Artikel frei lesbar ist. Wer kein Abo hat, muss auf einem anderen Weg einen Direktlink zu einem Artikel erhalten – ein eigenwilliges Konzept, das auf der Startseite nicht erklärt ist und wahrscheinlich für Irritationen sorgen wird.

Ein schönes Geschenk ist der Artikel „Zuckerbergs Monster“. Der lange Text (auch das typisch für „Republik“) erzählt spannend, wie Facebook im Lauf der Jahre zur perfekten Desinformationsmaschine geworden ist, die wohl nicht mal mehr ihr Erfinder kontrollieren kann. Da „Republik“ generell kostspielige Recherchen angekündigt hat – sie sind im Budget fest eingeplant –, können wir uns schon mal auf weitere lange Texte freuen.

Keinen guten Start hat das Magazin hingegen in Sachen Politikbetrieb hingelegt. Ein Artikel feiert Angela Merkel als „mächtigste Unterhändlerin der Welt“ (wobei es eher „beste Verhandlerin“ heißen müsste, denn erstens geht es um Merkels Geschick, und nicht um ihre Macht qua Amt, und zweitens verhandelt sie eher nicht für andere). Ob in Berlin, Brüssel oder Minsk – sie sei bei Verhandlungen problemorientiert, auf Ausgleich bedacht, kompromissbereit, super vorbereitet, detailversessen, führe lange Gespräche, komme mit wenig Schlaf aus und wolle die Gegenseite das Gesicht wahren lassen. Kurz: Sie sei „rational“. Der Autor zeigt implizit (und vielleicht unabsichtlich), warum mächtige Kreise es so befürworten, dass Frauen mehr Führungspositionen einnehmen. Vor allem aber hat er offensichtlich so wenig Ahnung von Politik, dass ihm nicht mal die kindgerechte Frage kommt: Wenn jemand etwas Schlechtes (besser gesagt: Schlimmes) gut macht – ist das dann gut oder schlecht? Von der Klimapolitik-Katastrophe, dem Schützen der kriminellen Autoindustrie (auch auf EU-Ebene), dem mit einer Falschbehauptung begründeten Beharren auf dem Steuerprivileg für Diesel-Autos entgegen der Position des Umweltbundesamts, dem krassen Insektensterben, den toten Flüchtlingen im Mittelmeer, dem nicht endenden NSU-Skandal, der stark gestiegenen Zahl der Obdachlosen und anderer über den Wohnungsmarkt Verdrängter undsoweiter undsofort – kein Wort. Dieser Artikel ist Volksverdummung erster Güte und ein Paradebeispiel für Journalismus, der sich in der Nähe zur Macht gefällt.

Hirnforschung statt historisch-politischer Analyse

Zu kritisieren wäre auch ein Beitrag von Mitgründer Constantin Seibt selbst, der zwar scheinbar ein angemessenes intellektuelles Niveau hat, aber dann doch auf den Holzweg führt. Seibts Thema ist die Irrationalität des Menschen in politischen Dingen. Sigmund Freud postulierte: „Das Ich ist nicht Herr im eigenen Haus“, und die Hirnforschung sowie psychologische Experimente liefern dafür ständig Belege. Die neueren haben es nun leider Seibt angetan. Abgesehen davon, dass sein Artikel mit rund 55 000 Zeichen viel zu lang und überdies überladen und unübersichtlich ist, zeigt er sich inhaltlich inkonsistent: Dass irgendwelche psychologischen Experimente politisches Wahlverhalten in 70 Prozent der Fälle aus irgendetwas Biologischem ableiten können, ist keine belastbare Erklärung. Einmal macht Seibt die Belanglosigkeit des von ihm Dargelegten sogar selbst offenbar: „Der Mensch ist zwar ein flexibles Wesen“, aber nicht „ein völlig flexibles Wesen“. Dass der Autor politische Zusammenhänge vorrangig mit Ergebnissen der Hirnforschung zu erklären versucht, ist schlichtweg fatal.

Seibt entblödet sich nicht, ständig die „Linken“, „Linksliberalen“, „Progressiven“ („mit ihrem vergrösserten Präfrontallappen für Neugier und Planung“) den Rechten und Konservativen gegenüberzustellen. Letztere sind „die Besitzer eines vergrösserten rechten Mandelkerns – reizbar durch alles, deshalb dankbar für Klarheit, Loyalität, Festigkeit, einen Platz im Leben“. Selten verirrt sich ein Journalist mit politischem Anspruch so in vermeintlich naturwissenschaftlichen Erklärungen für Sozialverhalten.

Ein weiteres Problem dabei: Die „Erkenntnisse“ kommen nur aus den USA. Immer wieder zitiert Seibt Studien, laut denen die Wählerschaft von Demokratischer und Republikanischer Partei bei Experimenten tendenziell (!) unterschiedliche Hirnströme aufweist. Der Gegensatz zwischen diesen Parteien ist ihm aber gleichzeitig der zwischen Links und Rechts. Dabei stammt vom Schriftsteller Gore Vidal der Satz: „Amerika hat ein Ein-Parteien-System mit zwei rechten Flügeln“. Bekanntlich war Hillary Clinton 2016 selbst für viele Menschen mit wenig Geld und dunklerer Hautfarbe nicht wählbar. Seibt aber denkt den Gegensatz nur kulturell. Er zitiert sogar Hypothesen einer Freundin, die Linken und Rechten verschiedene Charaktereigenschaften zuschreibt. Das ist schlicht unpolitisch. In den USA beteiligt sich seit rund 50 Jahren nur etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung an den Präsidentschaftswahlen. Vielleicht unterscheidet sich das Klientel der beiden großen Parteien tatsächlich eher kulturell als sozial. Doch so wird Forschung schnell tautologisch: Die Liberalen sind halt offen für Neues und wählen deshalb die Demokratische Partei (auch wenn die kaum Neues bringt), die Verstockten/Ängstlichen/Sicherheitsorientierten wählen hingegen diejenigen, die Traditionen hochhalten und vermeintliche Normalitäten beschwören. Mit solchen ahistorischen, fast schon anti-politischen Hinweisen auf vermeintliche biologische Ursachen „greift die Hirnforschung nun die Tradition der Aufklärung an“, schreibt Seibt selbst.

Manifest schon jetzt Makulatur?

Im kleinen „Manifest“ von „Republik“ steht dagegen: „Journalismus ist ein Kind der Aufklärung.“ Mitgründer Seibt hält sich nicht daran. Ihm zufolge sind Linke wie Rechte von irrationalen, oft unbewussten Motiven gesteuert und glauben eher das, was in ihre Weltsicht passt. Wahrheitsstreben interessiert Seibt in diesem Artikel nicht. Wer sicher ist, dass es einen Klimawandel gibt, und dass der vor allem menschengemacht ist, ist für Seibt eventuell genauso von Gefühlen und unbewussten Prägungen geleitet, wie derjenige, der den Klimawandel leugnet. Wie sinnvoll ist Journalismus auf dieser Basis? Dass „Republik“ sich gleich zu Beginn nicht an den selbstgesteckten aufklärerischen Auftrag hält, sondern positivistisch Pseudo-Erkenntnisse aus Laboruntersuchungen an die Stelle von historisch-politischer Analyse setzt, ist ein schlechtes Vorzeichen.

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