Katalanischer Rundfunk unter Madrider Kuratel

Im Streit zwischen Spanien und Katalonien um die Unabhängigkeit rückt nun auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk ins Blickfeld. Die spanische Regierung hat den Verfassungsparagraphen 155 aktiviert und diverse Maßnahmen angekündigt, die auch die Medien betreffen. Am 27. Oktober soll der Senado, das Oberhaus des spanischen Parlamentes, die von Regierungschef Mariano Rajoy angekündigten Maßnahmen bestätigen.

Danach sollen der katalanische Regierungschef und sämtliche Minister entmachtet und ihre Ministerien denen in Madrid unterstellt werden. Auch die katalanische Polizei und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk will Madrid künftig kontrollieren.

Als „skandalös“, wertet das nicht nur nicht nur der Sprecher des Kontrollrats von TV3. Es werde eine „rote Linie“ überschritten, meint Lluís Caelles. Er steht dem gewählten neunköpfigen Gremium vor, das über die Einhaltung der journalistischen Grundsätze des Senders TV3 in Katalonien wacht. Neben den Beschäftigten von Ràdio Catalunya sollen auch die etwa 1900 Mitarbeiter_innen von TV3 unter Madrider Kontrolle gestellt werden, wenn der spanische Senat am Freitag zustimmt. Das wollen die Journalisten beider Sender nicht hinnehmen.

Caelles weist im Gespräch mit M Online die Vorwürfe zurück, dass TV3 „unausgewogen und parteiisch“ berichte und dafür verantwortlich sei, dass viele Katalanen Spanien verlassen wollen. Allein der Hinweis auf die erreichte Quote von 11 Prozent – gegen die 80 Prozent der vier großen spanischen Sender– führe diese Behauptung ad absurdum. Man mache sicher „nicht alles gut und richtig“, stehe aber im Vergleich zu anderen Sendern in Spanien gut da. Man wisse allerdings nicht, ob im Zuge der angekündigten Maßnahmen „eine Granate oder eine Atombombe“ gezündet werde, nur die Führung des Senders ausgetauscht und Finanzen kontrolliert werden sollen oder sogar das Signal gekappt wird.

Der Paragraph 155 kollidiere mit dem Grundsatz, dass die Verfassung die Presse- und Meinungsfreiheit schützen soll. Caelles verweist darauf, dass im Baskenland bereits diverse Medien auch ohne Rückgriff auf den § 155 geschlossen wurden, der nun erstmals seit dem Ende der Diktatur angewendet wird. „Auch wenn man nach Jahren vor Gerichten Recht bekommen sollte, ist das Medium längst ruiniert“, warnt er: „Spanien geht wie die Türkei Erdogans vor.“ Für Caelles ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Spanien schon jetzt „sicher kein Modell für Pluralität, Professionalität und Demokratie“. In Madrid beschweren sich seit Jahren Journalisten und der Kontrollrat der spanischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt Radiotelevisión Española (RTVE) über massive Einflussnahme. Allein 23 Beispiele von Zensur, Manipulation und fehlender Pluralität hat der Kontrollrat in einer 72-seitigen Studie zur Katalonien-Berichterstattung in RTVE in den letzten Wochen aufgelistet.

Alle Gewerkschaften in RTVE verurteilen die jetzige „Intervention“ und sprechen den katalanischen Kolleg_innen ihre „Unterstützung und Solidarität“ aus. Die Regierung Rajoy habe „keinerlei Glaubwürdigkeit“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der beiden großen Gewerkschaften CCOO und UGT. Rajoy und seine Volkspartei (PP) verhinderten, dass „wahrheitsgemäß, objektiv und ausgeglichen“ berichtet werden kann. Die kleinere CGT spricht vom „Sarkasmus, dass die Regierung, die in RTVE manipuliert und zensiert“ nun in anderen Medien eingreifen will.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Wie weiter mit der Finanzierung für Funk?

Die Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK) der ARD hält das Online-Jugendangebot Funk von ARD und ZDF für eine wichtige Plattform. Mit Blick auf Akzeptanz und Innovation der Rundfunkanstalten sei der Stellenwert von Funk hoch, erklärte die GVK auf Nachfrage. „Die Erreichung der jüngeren Bevölkerungsteile ist für die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags wesentlich.“ Das bedeute aber, Funk über einen Teuerungsausgleich auch angemessen zu finanzieren und „eine bedarfsgerechte Mittelsteigerung“ vorzusehen.
mehr »

Riesa: Einschränkung der Pressefreiheit

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen beobachtete am vergangenen Samstag die Demonstrationen in Riesa rund um den AfD-Parteitag. Ziel der Beobachtung war der Schutz der Presse- und Berichterstattungsfreiheit sowie der Aufdeckung potenzieller Gefährdungen für Journalist*innen. Insgesamt mehr als sieben Stunden war die dju während der zahlreichen Demonstrationen vor Ort. Die Gewerkschaft übt nun insbesondere gegenüber der Polizei Kritik am Umgang mit Journalist*innen und an der Einschränkungen der Pressefreiheit während des Einsatzes.
mehr »

Ampelbilanz: Von wegen Fortschritt

"Mehr Fortschritt wagen" wollte die Ampel-Regierung laut Koalitionsvereinbarung von 2021 – auch in der Medienpolitik. Nach der desaströsen medienpolitischen Bilanz der vorausgegangenen Großen Koalition, so die Hoffnung, konnte es nun eigentlich nur besser werden. Von wegen. Die meisten der ohnehin wenig ambitionierten Vorhaben der Ampel blieben im Parteiengezänk auf der Strecke. Für den gefährdeten Lokal- und Auslandsjournalismus bleibt weiterhin vieles im Unklaren.
mehr »

Österreichs Rechte greift den ORF an

Eines muss man Herbert Kickl lassen – einen Hang zu griffigen Formulierungen hat er: „Die Systemparteien und die Systemmedien gehören zusammen, das ist wie bei siamesischen Zwillingen,“ sagte der FPÖ-Spitzenkandidat auf einer Wahlkampfveranstaltung im September. „Die einen, die Politiker, lügen wie gedruckt, und die anderen drucken die Lügen. Das ist die Arbeitsteilung in diesem System“. Seinen Zuhörenden legte Kickl mit seinen Worten vor allem eins nahe: Die rechte FPÖ könne dieses dubiose System zu Fall bringen oder zumindest von schädlichen Einflüssen befreien.
mehr »