Schattenseiten verschwiegen

„Deutscher Medienpreis“ an Boris Jelzin

Als er ging, hätte er den Preis – eine etwas sperrige rot-weiß-blaue Skulptur – fast stehen lassen. Kurz vorher jedoch hatte sich Rußlands Präsident Boris Jelzin in seiner Dankesrede noch geehrt gezeigt, daß er den „hochangesehenen“ Deutschen Medienpreis erhalten durfte. Reine Höflichkeit, denn die Bedeutung des Preises liegt bestenfalls „knapp über dem Fahrtenschwimmer“ (Friedrich Küppersbusch). Nach welchen Kriterien der Preis vergeben wird, ist unklar und kann auch von seinem Erfinder Karlheinz Kögel nicht beantwortet werden. Zwar schrieb dieser dem diesjährigen Preisträger „Verdienste um die Pressefreiheit“ zu, doch meist wird als einziges oder zumindest wichtigstes Kriterium für die Vergabe die quantitative Medienpräsenz genannt. Was durchaus schlüssig wäre, denn Kögels Unternehmen „Media Control“ wertet für seine Auftraggeber – zum Beispiel das Kanzleramt oder Greenpeace – aus, wann sie wie oft über den Bildschirm flimmern. Der herzkranke Präsident, dessen Operation im vergangenen Jahr so oft verschoben wurde, daß die Tagesschau fast täglich über seinen Gesundheitszustand berichtete, ist somit ein würdiger Preisträger.

Die Wahrheit indes dürfte sein, daß schlicht und einfach derjenige Preisträger wird, der für Kögel und seine Heimatstadt Baden-Baden am meisten Öffentlichkeit abwirft.

Die Kritik jedenfalls an der Preisverleihung für Boris Jelzin ließ nicht lange auf sich warten. Mit dem Slogan „Keinen Medienpreis für Völkermord“ erinnerten Mitglieder der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ an Jelzins Verantwortung für den Tschetschenien-Krieg. Der grüne Europa-Parlamentarier Wilfried Telkämper fragte, ob der Preis für „medienwirksame Menschenrechtsverletzungen“ verliehen worden sei. Die IG Medien nannte die Auszeichnung für Jelzin „geschmacklos und zynisch“ und forderte den russischen Präsidenten auf, sich für die Unabhängigkeit der Medien in seinem Land einzusetzen.

Peter Wittschorek, Rußland-Experte von amnesty international, schilderte vor der Presse detailliert Menschenrechtsverletzungen aus der russischen Föderation. „Präsident Jelzin hätte sich durch seinen persönlichen Einsatz bei der Lösung dieser Menschenrechtsprobleme ein wesentlich besseres Medienecho verschaffen können“, sagte er unter Hinweis auf die Anwendung der Todesstrafe, unmenschliche Haftbedingungen und eingeschränkte Pressefreiheit. ai hat zahlreiche Morde an russischen Journalistinnen und Journalisten dokumentiert und beklagt, daß die Verantwortlichen fast nie zur Rechenschaft gezogen werden. Die 32jährige Zeitungsreporterin Nadjeschda Tschaikowa etwa fiel im März 1996 in Tschetschenien einem politischen Mord zum Opfer, nachdem sie die Veruntreuung von für den Wiederaufbau bestimmten Geldern durch russische Armeeangehörige, Regierungsmitglieder und tschetschenische Rebellen aufgedeckt hatte. Massiv dringt ai auf Aufklärung: „Nur wenn eine Strafverfolgung früherer Fälle garantiert ist, können die Journalisten künftig frei arbeiten.“

Daß sie genau das nicht können, beweist auch der Protest von 13 russischen Chefredakteuren: Wenige Tage nach der Preisverleihung in Deutschland haben sie in einem Offenen Brief an Boris Jelzin den Schutz der Pressefreiheit eingeklagt. Sie kritisierten die Versuche, die Redaktionen der Blätter „Iswestija“ und „Komsomolskaja Prawda“ zu beeinflussen. Nach Kritik an Ministerpräsident Tschernomyrdin habe vor allem ein Erdölkonzern, gleichzeitig größter Aktionär der Zeitung, versucht, die „Istwestja“-Redaktion unter Druck zu setzen.

Auch der renommierte frühere Menschenrechtsbeauftragte von Boris Jelzin, Sergej Kowaljow, kritisiert die „Zunahme von Eingriffen in die Freiheit des Wortes“. Schon 1996 kam eine von ihm geleitete Kommission zu dem Schluß, daß sich „die russische Regierung durch das Behindern des freien Informationsflusses selbst von der Gesellschaft isoliert.“

Von all dem war bei der offiziellen Übergabe des dubiosen Deutschen Medienpreises an Boris Jelzin natürlich nichts zu hören. Nicht nur der Preisstifter Karlheinz Kögel, auch die Juroren – unter ihnen die Chefredakteure von „Bild“, „Spiegel“ und „Focus“ – sollten sich fragen lassen, was sie zu einer solchen „perversen Instinktlosigkeit“ (Franz Alt) bewegt hat.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Altersdiskriminierung beim WDR?

Der WDR serviert freie Mitarbeiter*innen ab, die im Rentenalter für den Sender arbeiten wollen. Damit tut er genau das Gegenteil von dem, was in der öffentlichen Diskussion derzeit geraten wird. Während Angestellte sich also über Jahre hinweg auf einen Termin für ihren Ruhestand vorbereiten konnten, wird langjährigen freien Mitarbeiter*innen nun mit kurzer Frist mitgeteilt, wann für sie angeblich Schluss sein soll. Altersdiskriminierung will man beim WDR aber nicht erkennen – für den Sender gehe es vielmehr darum, jüngeren Mitarbeitenden nicht den Einstieg zu blockieren.
mehr »

Buchtipp: Das Prinzip Trotzdem

Wie könnte ein selbstbewusster Journalismus aussehen, der sich gegen die aktuelle Medienkrise zu behaupten weiß und sich auf seine zentrale Rolle für funktionierende demokratischen Gesellschaften besinnt? Roger de Weck war Zeit-Chefredakteur, Generaldirektor des Schweizer Radios und Fernsehens sowie Mitglied des Zukunftsrats für Reformen des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks in Deutschland. In seinem jüngst erschienenen Essay „Das Prinzip Trotzdem. Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen“ beschäftigt er sich mit genau diesen Fragen.
mehr »

„PR-Puppen“ proben den Aufstand 

Kreative, die der Tech-Konzern OpenAI (ChatGPT, DALL-E) zu einem geschlossenen Produkttest eingeladen hatte, leakten den Testzugang kürzlich und griffen OpenAI in einem Protestschreiben öffentlich an. Sie warfen dem Unternehmen u.a. vor, sie für Marketing und PR zu missbrauchen und Art Washing zu betreiben.Eine teilnehmende Person schildert M , wie es zu dem Leak kam und was Techkonzerne künftig bei der Zusammenarbeit mit Kreativen besser machen können.
mehr »

Studienergebnisse: Worlds of Journalism

Was bedeutet es heute, Journalist*in zu sein? Welche Dynamiken und Entwicklungen lassen sich im Berufsfeld wahrnehmen? Was brauchen wir, um gute und professionelle Arbeit machen zu können? Zu diesen Fragen führt das Langzeitforschungsprojekt „Worlds of Journalism“ seit 2007 weltweit Befragungen durch. Von 2021 bis 2023 ging die Studie in die dritte Runde. Unterstützt von UNESCO und der International Federation of Journalists, fokussiert die aktuelle Umfrage auf den Themenkomplex Risiken und Ungewissheiten. Ein Blick in die Schweiz.
mehr »