Serbien: Bizarre Ausstellung gegen Zensurvorwurf

In den meisten westeuropäischen Staaten schauen die Medien der Politik auf die Finger. Beim EU-Anwärter Serbien behält die Regierung die Medien im Auge: Mit der bizarren Ausstellung „Unzensierte Lügen“ will die regierende SNS den Nachweis erbringen, dass der Vorwurf der Medienzensur unbegründet sei. Mancher Autor fühlt sich an die Nazi-Ausstellung „Entartete Kunst“ erinnert. Serbiens mächtigsten Mann ist damit nun auch der Sprung in die Welt der Kunsthallen geglückt. In der Ende Juli in Belgrad eröffneten Wanderausstellung prangt das Antlitz des nationalpopulistischen Premiers Aleksander Vucic auf hunderten von Titelblättern, Fotos und Karikaturen.

Obwohl die Ausstellungsmacher von Vucics Fortschrittspartei SNS die 2532 akribisch zu Collagen montierten Exponate als Teil einer „sorgfältig geplanten und brutalen Kampagne zur Diskreditierung der Regierung“ bezeichnen, dient ihnen der von ihnen beklagte „unverantwortliche Missbrauch“ der Pressefreiheit als Beweis für deren Existenz. Von Zensur könne in Serbien keine Rede sein, „der Pluralismus ist mit bloßem Auge zu erkennen“, versicherte der von der SNS als Gastredner angeheuerte Analyst Dejan Vuk Stankovic.

Kritik kann der frühere Informationsminister Vucic nur schlecht vertragen. Nicht nur durch seine Rügen missliebiger Artikel oder seine Verschwörungstheorien über vom Ausland gesponserte Medien-Attacken zu seinem Sturz werden in Serbien der Pressefreiheit enge Grenzen gesetzt. Ob mit der Absetzung missliebiger Sendungen, den Schmäh-Attacken der regierungsnahen Boulevardblätter gegen kritische Journalisten, die als vom Ausland bezahlte Söldner verunglimpft werden, oder der indirekten Einflussnahme durch staatliche Anzeigen- oder Marketing-Aufträge oder infolge von Medien-Übernahmen durch parteinahe Unternehmer: Die großen TV-Sender segeln mittlerweile fast alle auf Regierungslinie. Kritische Stimmen sind im Rundfunk nahezu gänzlich verstummt – und auch in der Printpresse eher die Ausnahme als die Regel. Ob die rührige Zeitung „Danas“ oder die Wochenblätter „NIN“ und „Vreme“: Die Reichweite der meisten in der Ausstellung präsentierten Medien ist eher begrenzt.

In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen ist der EU-Anwärter im letzten Jahr um 13 Plätze auf den 67. Rang gepurzelt – noch vor dem Senegal, aber hinter Staaten wie Madagaskar oder das seine Medien auch an der kurzen Leine haltende Ungarn. Dass nun ausgerechnet die Medien-Gängler der SNS die Gralshüter der Pressefreiheit mimen, empfindet der Journalistenverband NUNS als „Gipfel des Zynismus“: Dieser kritisiert die Ausstellung als „kollektives Verzeichnis“ der Staatsfeinde.

Ähnliches habe Josef Göbbels einst auch in Deutschland gemacht, fühlt sich der legendäre, 82jährige „Danas“-Karikaturist Predrag Koraksic gar an die 1937 organisierte NS-Ausstellung „Entartete Kunst“ erinnert. Er sei „sehr zufrieden“ über die Präsenz seiner Zeitschrift, ätzt derweil NIN-Chefredakteur Milan Culibrk: „Das ist der Beweis, das wir unsere Arbeit so machen, wie es sein sollte.“ Er frage sich nur, ob die SNS die Folgen ihrer Ausstellung genau durchdacht hätten: Wenn diese „so wie jeder Zirkus“ über das Land ziehe, könnten dort Menschen erstmals bemerken, dass es in Serbien auch Medien gebe, die kritisch über die Regierung berichteten: „Was passiert, wenn manche daran Gefallen finden – und die Zeitungen zu kaufen beginnen?“

Die teilweise auch Englisch beschriftete Ausstellung „Unzensierte Lügen“ ist in der Belgrader Galerie Progress noch bis zum 15. August zu sehen. Dienstag bis Sonntag von 11.00 bis 23.00 geöffnet. Eintritt frei.

 

 

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