Sofortige Freilassung von Assange gefordert

Julian Assange Foto: Reuters/Simon Dawson

Gut zehn Monate nach seiner Inhaftierung in London wird die britische Justiz Ende Februar über die Auslieferung des Journalisten und Gründers der Enthüllungsplattform WikiLeaks, Julian Assange, in die USA entscheiden. Die dju in ver.di unterstützt den gemeinsamen Appell von mehr als 100 Mitunterzeichnenden, Julian Assange umgehend freizulassen. Der Appell wurde heute unter anderem von den Initiatoren Günter Wallraff und Gerhart Baum in Berlin bekannt gemacht.

Für den inzwischen 48-jährigen WikiLeaks-Gründer ist die Verhandlung vor dem Woolwich Crown Court entscheidend. Bereits Mitte vergangenen Jahres hatte der damalige britische Innenminister Sajid Javid einem Auslieferungsgesuch der USA stattgegeben. Dort droht Assange ein Verfahren nach dem Antispionagegesetz aus dem Jahr 1917. Der Journalist müsste sich in 18 Anklagepunkten verantworten, ihm drohen 175 Jahre Haft. Assange würde de facto also lebenslänglich hinter Gittern verschwinden. Nachdem die US-Regierung und die Justiz die Öffentlichkeit im Fall Assange mehrfach getäuscht haben, ist selbst die Todesstrafe nicht auszuschließen.

Assange hatte Mitte 2012 in der ecuadorianischen Botschaft in London um Schutz ersucht, um einer Auslieferung an Schweden zu entgehen. Wenige Monate nachdem WikiLeaks Kriegsverbrechen der USA im Irak öffentlich machte, hatte die schwedische Staatsanwaltschaft im August 2010 Anklage wegen Sexualdelikten gegen ihn erhoben. Assange erklärte sich zur Aussage in Schweden bereit, wenn eine Auslieferung an die USA ausgeschlossen werde. Dies verweigerten die schwedischen Behörden; eine Vernehmung in der Botschaft in London fand – offenbar auf Druck der britischen Justizbehörden – erst sechs Jahre nach der Anklageerhebung statt. Nachdem Assage Mitte April vergangenen Jahres nach einem Regierungs- und Politikwechsel in Ecuador an die britischen Behörden ausgeliefert wurde, ließ Schweden die Anschuldigungen dann fallen. Wenige Stunden nach dem Zugriff in London wurde ein Auslieferungsgesuch der USA und die Anklage nach dem Antispionagegesetz bekannt. Beides hatten die USA in den Jahren zuvor mehrfach dementiert.

Für die Menschenrechte und die Pressefreiheit

Je näher der Auslieferungsprozess gegen Assange rückt, desto vehementer warnen Branchenvertreter*innen nun vor den möglichen Folgen für die Arbeit der freien Presse. „Als Journalistinnen und Journalistinnen fordern wir die sofortige Freilassung von Julian Assange“, sagte die Bundesvorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, Tina Groll am 6. Februar. Wer sich für die Menschenrechte und die Pressefreiheit einsetze, der müsse sich auch für Assange einsetzen, so Groll. „Bedenken und Kritik gegenüber der Person Assange dürfen die Anerkennung seiner Verdienste für die Pressefreiheit und damit die Demokratie nicht schmälern“, mahnte Groll. Um ihre öffentlichen Aufgabe der Kontrolle von staatlicher und wirtschaftlicher Macht zu erfüllen, seien Medien auf Whistleblower wie Julian Assange angewiesen. „Schon jetzt dürfte der Umgang mit Julian Assange massiv abschreckend auf Geheimnisträger*innen und potentielle Quellen wirken. Weitere möglicherweise gravierende Konsequenzen für die Arbeit der Medien müssen jetzt verhindert werden“, so die dju-Vorsitzende. Die 200 Teilnehmer*innen des 33. Journalismustags der ver.di am 25. Januar in Berlin haben eine Resolution verabschiedet, in der sie sich ebenfalls klar für die Freilassung Assanges und das Fallenlassen aller extraterritorialen Anklagen gegen ihn aussprechen. Die Bundesregierung, die Europäische Union sowie die britische Regierung wurden aufgefordert, die Pressefreiheit bedingungslos zu verteidigen.

Bei einer Anhörung der Linksfraktion im Bundestag im Dezember 2019 sprach der NDR-Journalist John Goetz von einem ungewöhnlich radikalen Vorgehen, „wenn die US-Justiz meint, US-Gesetz im Ausland anwenden zu können“. Die Zusammenarbeit von WikiLeaks mit der „New York Times“, dem britischen „Guardian“ und dem „Spiegel“, für den Goetz damals tätig war, sei „ganz wesentlich gewesen“. Ebenso wie Assange könnten daher die damaligen Partnermedien oder ihre Vertreter*innen willkürlich in die Fänge der US-Justiz geraten.

Der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, kritisierte, dass Assange unter anderem wegen „Verschwörung zum Eindringen in Computer“ und der Veröffentlichung geheimer Regierungsdokumente beschuldigt ist. Beide Anklagen nähmen Grundlagen journalistischer Arbeit ins Visier, so Mihr, der konstatierte: „Eine Anklage aufgrund des Anti-Spionage-Gesetzes wäre eine klare Missachtung der Pressefreiheit.“

Folter und Misshandlungen angeprangert

Schon jetzt ist der Fall Assange eine erhebliche Drohkulisse gegen jedwede Versuche, staatliches Fehlverhalten öffentlich zu machen. Die geheime Anklage der USA gegen den australischen Journalisten, die Unterstützung durch die britische und schwedische Justiz und das Schweigen der EU-Regierungen dürfte potentielle Nachahmer*innen abschrecken. Der UN-Sonderberichterstatter für das Thema Folter, Nils Melzer, warnte mehrfach vergebens vor den Folgen psychischer Misshandlungen, denen Assange ausgesetzt gewesen ist. Er habe bei einem Besuch mit Fachärzten Mitte vergangenen Jahres Symptome feststellen können, „die für Folteropfer typisch sind, vor allem nach lange andauernder psychologischer Folter“. Entsprechende Warnungen taten die verantwortlichen Staaten mitunter aggressiv ab. Das Auswärtige Amt in Berlin stellte bei einem Gespräch im November sogar Melzers Mandat in der Sache in Abrede.

Bei der Anhörung im Bundestag kritisierte der „Spiegel“-Autor Michael Sontheimer vor diesem Hintergrund den Umgang der Medienbranche mit Assange. Tatsächlich hatte eine deutsche Wochenzeitung noch auf dem Höhepunkt der Verfolgung Assanges eine Agenturmeldung mit dem distanzierenden Zusatz versehen, Assange „bezeichnet sich als investigativen Journalisten“ – und damit ein zentrales Argument der US-Justiz aufgegriffen. Viele Kollegen hätten Assange zudem als Verrückten und Paranoiker dargestellt, ohne ihn je gesehen zu haben, beklagte Sontheimer. Dabei hätten sich alle Warnungen des WikiLeaks-Gründers vor drohender Verfolgung bewahrheitet. Was mit Julian Assange und WikiLeaks seit Jahren passiere, habe nichts mit Strafverfolgung zu tun, sondern mit dem Krieg einer Supermacht gegen eine kleine Gruppe von unten.

Die Unterstützer des inhaftierten WikiLeaks-Gründers intensivieren nun ihre Solidaritätskampagne. Auch die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) hat die Mitgliedsstaaten dazu aufgefordert, sich für die „unverzügliche Freilassung“ des australischen Journalisten einzusetzen. Der britische Labour-Abgeordnete George Foulkes begrüßte die Annahme eines entsprechenden Antrags. Die Vertreter des PACE-Ausschusses für Kultur, Wissenschaft, Bildung und Medien wendeten sich dagegen, so betonte er, „dass Julian Assange an die Vereinigten Staaten ausgeliefert wird“, um de facto eine lebenslange Haftstrafe zu verbüßen.

Appell für die Freilassung von Julian Assange

Der von der dju in ver.di unterstützte Appell – in der Bundespressekonferenz in Berlin vorgestellt von Günter Wallraff (Investigativjournalist), Sigmar Gabriel (Bundeaußenminister a.D.), Gerhart Baum (Bundesinnenminister a.D.), Herta Däubler-Gmelin (Bundesjustizministerin a.D.), Navid Kermani (Schriftsteller) und Sevim Dagdelen (MdB) – kann hier unterzeichnet werden.

Weitere Petitionen für Julian Assange

https://www.reporter-ohne-grenzen.de/mitmachen/petitionen-protestmails/julian-assange-nicht-an-die-usa-ausliefern/

https://speak-up-for-assange.org/

 

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