Urteil: Türkei muss Yücel Schmerzensgeld zahlen

Deniz Yücel (Archivbild) Foto: imago/Müller-Stauffenberg

Die Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel in der Türkei wegen angeblicher „Terrorpropaganda“ war nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) menschenrechtswidrig. Yücel sei vor allem wegen seiner kritischen Berichterstattung ein Jahr lang in Untersuchungshaft genommen und damit in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung und seinem Freiheitsrecht verletzt worden, entschied der Gerichtshof am Dienstag in Straßburg. Die Türkei müsse dem Journalisten eine Entschädigung von 13.300 Euro zahlen (AZ: 27684/17). Politiker und Organisationen begrüßten das Urteil.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte der „Welt“ (online), das Urteil spreche deutliche Worte: „Es ist mit unseren europäischen Werten nicht vereinbar, wenn missliebige Journalistinnen und Journalisten wegsperrt werden, um sie mundtot zu machen.“ Wie die Türkei auf das Urteil reagiere, bleibe abzuwarten. Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) erklärte, der EGMR stärke mit seiner Entscheidung den Schutz von Journalistinnen und Journalisten vor staatlicher Einschüchterung und Inhaftierung in den Mitgliedsstaaten des Europarates.

Das deutsche PEN-Zentrum, dessen Präsident Yücel ist, erklärte, Yücel sei nur aufgrund seiner journalistischen Arbeit verfolgt worden. Das Urteil komme fünf Jahre nach Yücels Haftbeschwerde jedoch viel zu spät, kritisierte die Schriftstellervereinigung. Die dju in ver.di begrüßte das UrteiL

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Standard. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Hintergrund des Verfahrens war ein Hacker-Angriff auf den früheren türkischen Energieminister Berat Albayrak im Jahr 2016, kurz nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei. Yücel hatte als Korrespondent der Tageszeitung „Die Welt“ über den Hacker-Angriff und über die dabei verbreiteten angeblichen E-Mails des Ministers berichtet.

Als der Journalist erfuhr, dass gegen ihn ermittelt wurde, meldete er sich als Zeuge bei der Polizei. Daraufhin wurde er am 14. Februar 2017 festgenommen. Die Staatsanwaltschaft warf ihm die Verbreitung von Terrorpropaganda und die Aufstachelung zu Hass und Feindseligkeit vor. Yücel kam ein Jahr in Untersuchungshaft, davon überwiegend in Einzelhaft. Das türkische Verfassungsgericht entschied im Nachgang, dass er mit der U-Haft in seinem Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit verletzt wurde. Es sprach ihm eine Entschädigung von rund 3.700 Euro zu. Yücel kam frei und konnte nach Deutschland zurückkehren.

Die Anklage der „Terrorpropaganda“ blieb aber weiter bestehen. Im Juli 2020 verurteilte ihn ein Istanbuler Schwurgericht wegen „Terrorpropaganda“ zugunsten der Vereinigung PKK zu einer Haftstrafe von zwei Jahren, neun Monaten und 22 Tagen. Yücel zog wegen seiner rechtswidrigen Inhaftierung vor den EGMR. Es liege eine Verletzung seiner Meinungs- und Freiheitsrechte vor. Die vom türkischen Verfassungsgericht zugesprochene Entschädigung sei zudem viel zu gering.

Dem folgten nun auch die Straßburger Richter. Yücel sei wegen seiner kritischen Berichterstattung inhaftiert worden. Dies habe eine „abschreckende Wirkung auf die freie Meinungsäußerung“ zur Folge. So werde die Zivilgesellschaft eingeschüchtert und die Stimmen Andersdenkender zum Schweigen gebracht.

Es habe keine plausiblen Hinweise auf eine Straftat gegeben, so der EGMR. Auch sei die vom türkischen Verfassungsgericht zugesprochene Entschädigung von 3.700 Euro für ein Jahr Haft „offensichtlich unzureichend“. Wegen der erlittenen Menschenrechtsverletzung stünden Yücel ein Schmerzensgeld in Höhe von 12.300 Euro sowie weitere 1.000 Euro für angefallene Verfahrenskosten zu.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Freie unter Honorar-Druck

Die prekären Arbeitsverhältnisse im Journalismus sind schon lange bekannt. Besonders trifft es aber freie Journalist*innen, deren Honorare sogar noch weiter sinken. Das hat auch Auswirkungen auf die Art des journalistischen Arbeitens.
mehr »

Anti-SLAPP-Gesetz ungenügend

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di kritisiert das von der Bundesregierung beschlossene Anti-SLAPP-Gesetz. Es beschränke den Schutz vor Einschüchterungsklagen nur auf grenzüberschreitende Fälle. Damit bleibe ein Großteil der realen Bedrohungslagen für Journalist*innen in Deutschland unberücksichtigt.
mehr »

Die Newsfluencer kommen

In Deutschland vertraut eine Mehrheit der Menschen beim Nachrichtenkonsum in der digitalen Welt noch immer mehrheitlich auf klassische Medien. Das ist eine Erkenntnis aus einer im Oktober 2025 veröffentlichten Studie des Reuters Institute. Die britische Denkfabrik wollte herausbekommen, wie Menschen sich im Netz informieren. Dafür sind Personen in 24 Ländern befragt worden.
mehr »

Trumps digitaler Medienpranger

Donald Trump verfolgt mit seinen Attacken auf Medien und Journalist*innen drei Hauptziele: Ablenkung von eigenen Verfehlungen, Bindung seiner rechten Unterstützer*innen und Selbstbereicherung. Große Medienkonzerne unterstützen ihn, um eigene Profitinteressen zu fördern. Das Resultat ist eine Bedrohung von Pressefreiheit und Demokratie.
mehr »