Der Wahlkampf: Was macht Sinn? Was kommt an? Wissenschaftler der Uni Hohenheim beobachten das Zusammenspiel von Parteien, Kandidaten und Wählern. Frank Brettschneider beleuchtet für M bis zum Wahltag am 24. September fünf Themen. Heute: die Bedeutung von Wahlumfragen.
Medien berichten immer häufiger über Wahlumfragen. Parteien instrumentalisieren deren Ergebnisse. Gelegentlich fordern Politiker ein Veröffentlichungsverbot. Aber der Großteil der Wähler lässt sich von Umfragen nicht beeinflussen. Taktische Wähler hingegen nutzen Wahlumfragen.
In den letzten Wochen vor Bundestagswahlen vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue Umfrageergebnisse über den Stand der Parteien in der Wählergunst präsentiert werden. Wer liegt vorne, wer holt auf, wer fällt zurück? Vor allem aber die Sonntagsfrage: Welche Partei würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären?
Um diese Fragen zu beantworten, blicken die Umfrageinstitute nicht in eine Glaskugel, obwohl Kritiker sie gelegentlich als „Datenhexer“, „moderne Orakel“ oder „Auguren der Neuzeit“ bezeichnen. Hinter den Analysen stehen vielmehr langjährige Erfahrung, wissenschaftliche Erkenntnisse und das Beherrschen des methodischen Handwerks. Das gilt zumindest für etablierte Institute wie etwa die Forschungsgruppe Wahlen (ZDF Politbarometer) oder Infratest dimap (ARD Deutschlandtrend). Die Qualität steht und fällt vor allem mit neutralen Frageformulierungen, einer guten Stichprobenziehung und einer ausreichenden Zahl von Befragten (ca. 1.500 bundesweit). In diesem Jahr erschwert der wahrscheinliche Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag die Arbeit, denn für diese Partei liegen keine gesicherten Erfahrungswerte aus der letzten Bundestagswahl vor. Und die Anhänger der AfD geben ihre Wahlabsicht in Umfragen oft nicht an. Daher unterscheiden sich die Umfrageinstitute auch in ihrer Einschätzung, mit welchem Stimmenanteil der AfD zu rechnen ist.
Übrigens: Umfragen sind nicht mit Prognosen gleichzusetzen, die am Wahltag unmittelbar nach Schließung der Wahllokale um 18 Uhr bekanntgegeben werden. Diese beruhen auf „Exit Polls“, also auf der Befragung von ca. 100.000 Wählerinnen und Wählern, nachdem sie das Wahllokal verlassen haben. Und dann gibt es noch die Hochrechnungen am Wahlabend. Sie werden meist 15 bis 20 Minuten nach Schließung der Wahllokale veröffentlicht. Dabei handelt es sich nicht um Umfragen, sondern um die Ergebnisse tatsächlich abgegebener Stimmen in typischen Stimmbezirken.
Seit 1980 hat sich die Berichterstattung über Wahlumfragen verfünffacht. Umfrageergebnisse haben einen hohen Nachrichtenwert – nämlich bereits vor der Wahl abschätzen zu können, wer die Wahl gewinnen wird. Auch Politiker äußern sich in den Medien über Umfrageergebnisse. Sie zitieren Umfragen, wenn sie für sie günstig erscheinen. Sie verdammen Umfragen, wenn sie für sie ungünstig erscheinen. Gelegentlich fordern einige von ihnen sogar, die Veröffentlichung von Umfrageergebnissen vor Wahlen zu verbieten.
Verbotsforderungen beruhen auf Annahmen über die Wirkung von Umfragen. Dabei sind Auswirkungen auf die Wahlbeteiligung bislang nicht nachgewiesen. Das Gleiche gilt für den „Bandwagon“- und den „Underdog-Effekt“. Laut „Bandwagon-Effekt“ wollen Wähler auf der Siegerseite stehen und entscheiden sich daher für die in Umfragen führende Partei. Laut „Underdog-Effekt“ schlagen sich Wähler aus Mitleid auf die Seite der in Umfragen zurückliegenden Partei. Für beide Effekte gibt es in Deutschland keine empirischen Belege.
Nachgewiesen ist hingegen, dass etwa drei Viertel der Bevölkerung die Berichterstattung über Umfrageergebnisse wahrnehmen. Besonders stark interessieren sich „Campaign-Junkies“ für Umfragen. Diese Menschen nehmen alle Informationen über den Wahlkampf auf, die ihnen zur Verfügung stehen. Sie sind politisch sehr interessiert und formal besser gebildet. Sie sind daher kaum für Manipulationen anfällig. Allerdings verwenden einige dieser Wähler Umfragen, um sich taktisch zu verhalten. Sie schätzen Koalitions-Möglichkeiten ein. Um eine gewünschte Koalition zu ermöglichen – oder eine ungewünschte Koalition zu verhindern –, wählen sie auch mal eine andere Partei, als die eigentlich von ihnen präferierte. Bei dieser Wahl werden wahrscheinlich viele Wählerinnen und Wähler vom taktischen Wählen Gebrauch machen – vor allem jene, die Erst- und Zweitstimme splitten sowie die Wechselwähler.
Prof. Dr. Frank Brettschneider ist Leiter des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim
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