Anfangsverdacht: Jugend gefährdet

Bild: Pixabay

Es ist still geworden um den Jugendmedienschutz. Selbst die Verabschiedung eines neuen Staatsvertrags im vergangenen Herbst hat keine größeren medialen Wellen geschlagen. Allein die Landesmedienanstalten melden sich hin und wieder zu Wort. Jüngster Stein des Anstoßes sind die im Tagesprogramm der privaten Fernsehsender ausgestrahlten Hinweise auf Sendungen nach 22 Uhr, die angeblich nicht für Kinder und Jugendliche geeignet seien.

Diese Trailer sind laut Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) teilweise „grenzwertig gestaltet“; das sei zumindest das Ergebnis einer Untersuchung, bei der die Jugendschützer 3.250 Trailer von 14 Sendern gesichtet hätten. Bei vielen sei ein „Anfangsverdacht auf eine Entwicklungsbeeinträchtigung“ festgestellt worden, teilt eine KJM-Sprecherin mit. Details will sie jedoch nicht verraten, weder hinsichtlich konkreter Beispiele noch der genauen Anzahl der Verdachtsmomente.

Ins gleiche Horn stößt der Medienrat der Stuttgarter Landesanstalt für Kommunikation (LFK). Das Gremium findet es bedenklich, gibt es in einer Pressemitteilung bekannt, dass überhaupt tagsüber mit bewegten Bildern auf Sendungen hingewiesen werden darf, „die aus Sicht des Jugendschutzes problematische Inhalte aufweisen“. Als theoretisches Beispiel wird auf Nachfrage die bei RTL2 gezeigte Zombie-Serie „The Walking Dead“ genannt. Die entsprechenden Trailer entpuppen sich zwar als denkbar harmlos, zumal sie gar keine bewegten Bilder enthalten, aber es geht den Jugendschützern ohnehin ums Prinzip: Ein Trailer wecke bei jungen Zuschauern womöglich ein Bedürfnis, das vorher gar nicht da gewesen sei. Da Programmangebote mit einer Sendezeitbeschränkung ab 16 oder 18 Jahren rund um die Uhr in der Mediathek der Privatsender zur Verfügung stünden, könnten die Kinder oder Jugendlichen sie dort jederzeit aufrufen.

Hintergrund der Diskussion sind zwei Änderungen im Jugendmedienschutzstaatsvertrag. Die eine betrifft die Programmtrailer. Die Landesmedienanstalten haben den entsprechenden Paragraphen früher so ausgelegt, als dürften Filme mit Sendezeitbeschränkung ab 22 Uhr auch generell erst ab 22 Uhr beworben werden. Im neuen Staatsvertrag hat man sich dann mit den Sendern auf den Kompromiss geeinigt, dass die tagsüber ausgestrahlten Trailer für solche Sendungen keine bewegten Bilder enthalten dürfen. Im Kino wird das allerdings anders gehandhabt, hier dürfen selbst Filme mit einer Freigabe ab 18 Jahren theoretisch im Vorprogramm eines Kinderfilms beworben werden; allerdings werden die Trailer von der Freiwilligen Selbstkontrolle Filmwirtschaft (FSK) geprüft. Die Sender forderten im Vorfeld der Verabschiedung des neuen Staatsvertrags die gleichen Bedingungen fürs Fernsehen, zumal jeder Trailer im Internet zur Verfügung stehe. Daniela Hansjosten, Leiterin Standards & Practices bei der Mediengruppe RTL, versichert, man sei sich der besonderen jugendschützerischen Verantwortung in diesem Bereich bewusst. Die Mediengruppe RTL habe schon seit einigen Jahren ein funktionierendes internes System der Trailerabnahme etabliert: „Alle Trailer durchlaufen einen engmaschigen Abnahmeprozess, in dessen Verlauf jeder jugendschutzrelevante Trailer vom Jugendschutzbeauftragten gesichtet, eingestuft und für die jeweilige Sendezeit freigegeben wird.“ Joachim von Gottberg, Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), räumt allerdings ein, die Sender müssten noch lernen, mit diesem Instrument umzugehen. Sinnvoller als eine Pressemitteilung der LFK hätte er es jedoch gefunden, eine gemeinsame Tagung mit der FSF, den Jugendschutzbeauftragten der Sender und Vertretern der Programmdirektion zu veranstalten und in diesem Rahmen über exemplarische Fälle zu diskutieren.

Die für diese Debatte maßgebliche zweite Änderung im neuen Staatsvertrag betrifft den technischen Jugendschutz: Während in den Bereichen Kino und DVD sämtliche Filme der FSK vorgelegt müssen, damit sie eine Jugendfreigabe erhalten, können Internet-Anbieter die entsprechende Kennzeichnung selbst vornehmen. Der Gesetzgeber erwartet von den Eltern, dass sie auf ihren Computern Jugendschutzprogramme wie etwa Jusprog installieren, die automatisch alles herausfiltern, was nicht den elterlichen Parametern entspricht. In der Theorie klingt das gut. In der Praxis, glaubt von Gottberg, kenne kaum jemand diese Programme; er schätzt, dass allenfalls ein bis zwei Prozent der Eltern Jusprog tatsächlich installiert hätten. Davon abgesehen kritisiert der FSF-Chef das „etwas veraltete Bild von Kindern und Jugendlichen“, das man bei den Landesmediananstalten habe: „Dort geht man offenbar davon aus, dass ein Kind im Fernsehen den Trailer zu einer Serie wie ‚Walking Dead’ sieht und umgehend zum Tablet greift, um die Mediathek von RTL2 aufzurufen. In Wirklichkeit brauchen die Kinder keinen Trailer, um auf solche Angebote aufmerksam zu werden, so etwas erledigen ihre sozialen Netzwerke viel reibungsloser. Mit der gleichen Argumentation könnte man auch Hinweise in den Programmzeitschriften verbieten.“

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Wie ähnlich ist presseähnlich?

Der Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR), Ralf Ludwig, erwartet, dass es für die öffentlich-rechtlichen Sender künftig schwerer werde, insbesondere jüngere Zielgruppen online zu erreichen. Grund dafür sei die „Schärfung des sogenannten Verbots der Presseähnlichkeit“, sagte Ludwig Ende Mai im Medienausschuss des sächsischen Landtags.
mehr »

ARD-Nachrichtentag: Mehr Transparenz

Nachrichten sind das Herz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Sie sollen gut recherchiert und aufbereitet sein, sollen verständlich Ereignisse vermitteln und einordnen. Beim ARD-Nachrichtentag am 5. Juni gab es einen offenen Einblick, wie das eigentlich geschieht. Teilnehmende bekommen Einblicke in den journalistischen Alltag und erfahren den Wert unabhängiger Nachrichten in Hörfunk, Fernsehen und Social Media.
mehr »

Was tun gegen defekte Debatten

Das Land steckt in der Krise und mit ihm die Diskussionskultur. Themen wie Krieg und Pandemie, Migration und Rechtsextremismus polarisieren die politische Öffentlichkeit. In ihrem Buch „Defekte Debatten: Warum wir als Gesellschaft besser streiten müssen“ suchen Julia Reuschenbach, Politikwissenschaftlerin an der FU Berlin und Korbinian Frenzel, Journalist und Redaktionsleiter Prime Time bei Deutschlandfunk Kultur, nach Auswegen aus der diskursiven Sackgasse.
mehr »

Breiter Protest gegen Radiokürzungen

Als die Bundesländer im vergangenen September Reformvorschläge für ARD, ZDF und Deutschlandfunk vorgelegt haben, war klar: Diese beinhalten starke Kürzungen. Die ARD-Häuser müssen im Auftrag der Politik über die Verringerung von Radiowellen entscheiden. Die Anzahl der regionalen Hörfunkprogramme in der ARD soll demnach von rund 70 Wellen auf 53 sinken. Dagegen regt sich breiter Protest.
mehr »