ARD in der Krise vor „hartem Stück Arbeit“

Der SWR-Rundfunkrat tagte öffentlich und konnte per Livestream verfolgt werden. Foto: SWR

Die ARD will nach den Skandalen im RBB, im NDR und anderen Anstalten verlorengegangenes Vertrauen zurückgewinnen. Nach dem Rücktritt der früheren RBB-Intendantin Patricia Schlesinger vom ARD-Vorsitz übernimmt 2023 Kai Gniffke, Intendant des Südwestrundfunks, die Leitung des Senderverbunds von WDR-Intendant Tom Buhrow. Auf der Sitzung des SWR-Rundfunkrats am 23. September kündigte Gniffke Programmatisches an: Transparenz, Compliance, Wirtschaftlichkeit.

„Die ARD befindet sich in einer schweren Krise“, bekannte SWR-Intendant Kai Gniffke zu Beginn seines Berichts in der öffentlichen Sitzung des Rundfunkrats. Vorgänge in einigen Häusern hätten Anlass vor allem zu zwei Vorwürfen gegeben: „Zweifel an unserer Wirtschaftlichkeit beim Umgang mit dem uns anvertrauten Beitragsgeld“ sowie „Zweifel an der Unabhängigkeit unserer Berichterstattung“. Beide Vorwürfe wögen schwer, denn „das, was da passiert ist, diskreditiert den gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland“. Es werde ein „hartes Stück Arbeit“ kosten, die Glaubwürdigkeit wiederherzustellen und Vertrauen zurückzugewinnen. Bei der Berichterstattung sei ihm allerdings aufgefallen, dass „der Wutbürger nicht immer der beste Journalist ist“.  Gniffke mahnte an, streng bei den Fakten zu bleiben und journalistische Standards nicht über Bord zu werden. Bei unbelegten Vorwürfen etwa solle man „beim Konjunktiv bleiben“.

Dämme gegen Fehlentwicklungen bauen

Spielen die beim RBB und NDR aufgegriffenen Themen auch beim SWR eine Rolle? Wenn der SWR bislang noch nicht im Fokus der Berichterstattung stehe, liege das nicht unbedingt daran, „dass wir die besseren Menschen sind“, sagte Gniffke. Das, so fürchte er manchmal, habe „eher dramaturgische Gründe“. Er könne nicht ausschließen, dass es auch beim SWR Fehlentwicklungen gegeben habe, denn „überall, wo Menschen arbeiten, gibt es auch Fehlverhalten“.

Der SWR versuche, mit größtmöglicher Transparenz „Dämme gegen Fehlentwicklungen zu bauen“. Er selbst habe auf einer Sondersitzung des Verwaltungsrats über alle seine wirtschaftlichen Verhältnisse Auskunft gegeben. Seine Reisekostenabrechnungen, sein „Dinnerbook“ mit allen Einladungen (aktiven und passiven), seine Einkünfte und Nebeneinkünfte wie auch Informationen über seine Alterssicherung seien allen Mitgliedern des Rundfunkrats offengelegt worden. Man sei dabei, im SWR die Compliance-Regeln noch einmal zu verschärfen. Auch werde versucht, die Forderung der Rundfunkkommission der Länder zu erfüllen, in der ARD diese Regeln auf einen einheitlichen Stand zu bringen.

Was plant der SWR, wenn er am 1. Januar 2023 den ARD-Vorsitz übernimmt? Laut Griffke besteht die vorrangige Aufgabe der vorsitzenden Anstalt darin, „Impulse zu geben, Diskussionen zu moderieren und einer Entscheidung zuzuführen“. Es werde für ihn darum gehen, die „richtige Balance zwischen Demut und Selbstbewusstsein“ zu finden: der Demut, als beitragsfinanziertes Medienhaus unabhängig arbeiten zu können, zugleich mit dem Selbstbewusstsein für die erbrachten Leistungen im Hörfunk, Fernsehen, online und im Umgang mit Social Media. Er strebe an, zunächst die selbstverständlichen Dinge zu tun: „Transparenz stärken, Compliance nachschärfen, Wirtschaftlichkeit sicherstellen, einen engen Austausch mit den Kontrollgremien zu pflegen“.

Verbürgte Plattform für gesellschaftliche Debatten

Gniffke rechnet mit „schweren Monaten und Jahren“: Die Energieversorgung stehe auf der Kippe, das Thema Atomkraft werde wieder neu diskutiert, der demografische Wandel und ein Mangel an Fachkräften belasteten die Wirtschaft, auch die Pandemie sei noch nicht zu Ende. Angesichts dieser Problemfülle brauche es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als „Plattform, auf der der gesellschaftliche Diskurs respektvoll stattfinden kann“. Eine Plattform, die für „recherchierte, verifizierte und unabhängig zustande gekommene Informationen“ bürge. Um die Gesellschaft zusammenzuhalten, brauche es den Dialog zwischen der ARD und dem Publikum, aber auch des Publikums untereinander.

Man werde Anstrengungen unternehmen, mit den Angeboten von Mediathek und Audiothek „noch viel mehr als bisher Publikum aller Altersgruppen anzusprechen“. Im Interesse einer nationalen Plattform müsse mit dem ZDF über ein gemeinsames Streaming-Netzwerk gesprochen werden, „das  nicht chinesischen oder amerikanischen Algorithmen unterworfen ist“. Der SWR werde in der ARD „für mehr Arbeitsteilung und mehr Kooperation“ eintreten. Dazu gehöre auch die bereits ventilierte Idee eines gemeinsamen Mantels für die Dritten ARD-Programme.

Es werde auch nötig sein, „dass wir Dinge weglassen“, konstatierte Gniffke. Es werde „schmerzhafte Wurzelbehandlungen“ geben müssen, die den Sendern einiges abverlangen. „Harte Entscheidungen, die nicht in allen Teilen des Publikums auf Zustimmung stoßen werden.“

Angebotsstrategie und Programmstrukturen prüfen

Bei all den Zusatzaufgaben, die der ARD-Vorsitz mit sich bringe, dürfe aber auch der Reformprozess im SWR nicht leiden. Dazu gehörten Überlegungen, was der Sender in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten „möglicherweise ab 2025 auch lassen“ könne. Gniffke kündigte einen „intensiven Austausch über unsere Angebotsstrategie“ an. Bis Jahresende solle klar sein, wie eine Hörfunkflotte im Jahr 2025 aussehen könnte. Gleiches gelte für ein Konzept der überarbeiteten Seite swr.de.

Dieser Prozess bedürfe zusätzlicher Kräfte, die „in verantwortbarem Umfang“ angeworben werden sollen. Es werde „ein schwäbischer Vorsitz“ sein. Bei aller Bescheidenheit wolle man sich aber in der ARD auch „nicht blamieren“. Er wünsche sich eine „konstruktiv-kritische Begleitung“ durch die Gremien, erklärte Gniffke.

Zu Beginn der Sitzung hatte der SWR-Rundfunkratsvorsitzende Adolf Weiland eine Reform der ARD-Programmstrukturen angemahnt. Diese Strukturreform sei der “wichtigste Baustein“ für den ARD-Vorsitz des SWR in den Jahren 2023/24. Wer glaube, „das lineare Programmangebot der ARD könne noch über Jahre hinweg einfach unverändert fortbestehen, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt“. Es gehe dabei nicht einfach um Umschichtungen vom Linearen ins Digitale. „Sollte es nicht möglich sein, auf ein lineares Angebot einfach mal ersatzlos zu verzichten?“  Er sehe es auch als Aufgabe der Gremien an, „die Interessen der Beitragszahlenden nicht aus dem Blick zu verlieren“.

Weiland forderte in diesem Zusammenhang auch, die Gremien künftig an der Entscheidung über die Bedarfsanmeldung bei der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) zu beteiligen. Die nächste Anmeldung von ARD, ZDF und Deutschlandradio ist im April 2023 vorgesehen. Sie gilt als Ausgangspunkt der KEF-Beratungen über eine Empfehlung für die ab 2025 geltende Höhe des Rundfunkbeitrags.

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