Wer darf eigentlich senden? Wie viel Rundfunk steckt im Streaming? Der neue Medienstaatsvertrag soll künftig auch konkrete Vorgaben für reine Internet-TV-Angebote enthalten. Doch wie weit soll reguliert werden? Ein Podium der Medientage Mitteldeutschland in Leipzig suchte nach Antworten.
Allgemein debattiert wird, ob und wann diese Anbieter eine Rundfunklizenz beantragen müssen – und mit welchen Folgen. Warum nicht vollständig auf eine Regulierung verzichten?, wird zudem gefragt.
Um Vielfaltssicherung ging es, als das Bundesverfassungsgericht 1981 die bis heute geltende Bedingung für eine Lizenz aufstellte, um senden zu dürfen. Viel gab es da noch nicht zu lizenzieren und „Internet“ war ein Begriff aus ferner Zukunft. 38 Jahre später: der Strukturwandel der Massenkommunikation könnte kaum größer ausfallen. Jeder kann inzwischen ohne großen technischen Aufwand „auf Sendung“ gehen, ein Smartphone mit WLAN reicht. „Muss vor diesem Hintergrund nicht die gesamte Medienordnung radikal überdacht werden?“, fragt Prof. Dr. Hubertus Gersdorf, Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Medienrecht der Universität Leipzig auf den Mitteldeutschen Medientagen.
Der Gesetzgeber unterscheidet zwar zwischen linearen Fernsehdiensten, den klassischen TV- und Radiosendern also, und Angeboten auf Abruf – nichtlinear. Die meisten Streamingdienste wie Netflix gehören dazu, für letztere gilt die Anmeldefreiheit.
Bei vielen Angeboten ist inzwischen allerdings nicht mehr so ganz klar, wo genau die Grenze verläuft. Gersdorf nennt den Sportstreaming-Dienst DAZN als solchen Fall. Ein Dienst, der live streamt und damit zeitgleichen Empfang ermöglicht. Ob sich die einzelnen Sendungen aber zu einem linearen und damit lizenzgebundenen Programm zusammenfügen lassen, sei fraglich. DAZN war sich da offenbar selbst nicht sicher und besorgte sich eine Lizenz der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB). Vorsichtshalber.
Große rechtliche Unsicherheiten
Redaktionelle Gestaltung gehört zur Lizenzpflicht. Nur wer sich an weniger als 500 User richtet, so der Stand heute, benötigt keine Lizenz. Alles andere bedarf einer klassischen Rundfunklinzenz. Eine archaische Regelung, denn kein Produzent richte sich an eine Nutzerschaft, die sich an einer Grenze von 500 orientiere, so Gersdorf. Besser sei da aktuell der Hörfunk im Netz dran, hier sei lediglich eine Anmeldung nötig.
Vor allem unter den Landesmedienanstalten gibt es daher immer wieder Diskussionen und Unsicherheiten, welche Dienste von einer Lizenzierungspflicht betroffen seien und welche nicht. Vor allem beim Blick auf die linearen Angebote der Bundesligavereine: „Eintracht Frankfurt TV“ habe inzwischen eine Lizenz, ebenso wie die Vereine aus München, Leverkusen, Dortmund oder Bremen. Die senden ganz unterschiedlich, die meisten sind auf den Webseiten der Vereine eingebunden, auch über IPTV zu finden oder hinter einer Bezahlschranke im Netz. Viele der Anbieter lizenzieren sich aktuell freiwillig, um Rechtunsicherheiten zu vermeiden.
Streitpunkte gibt es deshalb auch mit den Verlagshäusern. Die Auseinandersetzung mit Bild.de gilt nur als prominentestes Beispiel. Die MABB hatte die Streaming-Angebote abgemahnt, da sie nicht als Rundfunk zugelassen seien. Der Springer-Verlag wehrte sich mit Erfolg und darf seine Livestream-Formate auch ohne Lizenz fortführen. Vorerst zumindest. Nun steht ein Hauptsacheverfahren an.
Nachweispflicht restlos überholt
Einige Player wehren sich nicht grundsätzlich gegen eine Lizenz. „Das ist alles nicht zum Selbstzeck entstanden, weil irgendwo mal ein Formular herumgelegen hat“, sagt Heiko Zysk von der ProSiebenSat.1 Media AG. Schaue man sich die grundsätzlichen Schutzziele an, so sei man aktuell von der damaligen Zeit gar nicht so weit entfernt.
Es sei doch ganz in Ordnung, wenn jemand, der einen Fernsehsender gründen wolle und damit hunderttausende Menschen erreiche, auch hinterlege, wer sie oder er sei, woher jemand komme, so Zysk. Nur bei den zu erbringenden Details werde es schwer. Die Art der Nachweise, zum Beispiel welches Programmformat man anbieten wolle, sei restlos überholt. „Heute so, morgen so“, sagt Zysk. Auch auf den Nachweis von entsprechenden Finanzmitteln sollte besser verzichtet werden. Sinn der Gesetzgebung aus den 80er Jahren sei ein Beleg gewesen, die hohen Kosten einer terrestrischen Verbreitung über die Deutsche Post auch tatsächlich tragen zu können. Das alles sei heute passé.
Vielfaltssicherung aufgrund der digitalen Verbreitung
Auf die Probleme, die die Lizenz heute verursache, verweist der Vorstandsvorsitzende René Falkner vom Bundesverband Lokalfernsehen (BLTV). „Der Plan, Meinungsmacht durch Lizenzauflagen zu reduzieren, ist gescheitert“, so Falkner. Es gäbe in der digitalen Verbreitung keine Knappheit mehr, das Argument der Vielfaltssicherung sei damit nicht mehr gegeben. Falkner kritisierte die willkürliche Abgrenzung zwischen lizenzpflichtigen Live- und lizenzfreien Non-live-Angeboten. „Sende ich live, brauche ich eine Lizenz. Sende ich das Angebot 20 Minuten zeitversetzt, benötige ich keine“. Zeitversetzte Angebote funktionierten aber mindestens genauso gut und hätten eine hohe Reichweite, so Falkner. Das münde in einer stetig wachsenden Benachteiligung der lokalen und regionalen Fernsehsender Deutschlands. Lokale Blogger oder regionale Webseiten könnten die Lizensierung ihrer Multimedia-Angebote oft umgehen. Lokale Fernsehsender dagegen benötigten eine Lizenz und seien damit einer Reihe von Auflagen ausgesetzt, die ihr Geschäftsmodell beeinträchtigten. Als Beispiel nannte er politische Werbung. Regionale Politiker könnten Werbung für Parteien nur sehr eingeschränkt im lokalen Fernsehen platzieren. In Folge dessen platzierten die Parteien diese Werbung auf Facebook. „Der Lokaljournalismus verliert das Geld an die globalen Player. Die Lizenz verhindert Einnahmen“, so Falkner in Leipzig.
Neufassung hält an Lizenzpflicht fest
Der aktuelle Entwurf für den neuen Rundfunkstaatsvertrag, der künftig „Medienstaatsvertrag“ heißen soll, sieht bereits Änderungen vor. Vor allem Anbieter mit geringer redaktioneller, journalistischer Gestaltung, wie zum Beispiel Gamer, die „Zuschauer*innen“ an ihrem Spielverlauf live teilhaben lassen, sollen künftig nicht mehr lizensiert werden müssen.
Die Zahl von 500 gleichzeitigen Nutzern, um Lizenzpflichtig zu werden, wird auf 5.000 Nutzer gesteigert. Zugleich müssen künftig aber auch erst einmal 20.000 Zuschauer pro Monat erreicht werden, um dann, gegebenenfalls nachträglich, eine Lizenz beantragen zu müssen.
„Herumdoktern“ am alten Staatsvertrag
Die Änderungen reichen vielen in der Branche nicht. Das gilt auch für Carine Chardon vom Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie: „Es wäre an der Zeit, das Blatt völlig neu zu schreiben, stattdessen machen wir es immer komplizierter.” Die aktuellen Versuche, am Lizenzierungsmodell etwas zu ändern, seien ein „Herumdoktern“ am alten Staatsvertrag, in dem man hier und da etwas streiche, um ihn in die „Zeitgemäßheit“ zu übertragen. Das funktioniere aber nicht, sagt Chardon. Man sei bei der Neugestaltung des Vertrages ursprünglich einmal angetreten, um die Dinge zu vereinfachen und Deregulierung zu schaffen. Auch sie bemängelt die hohen Hürden für Neueinsteiger am Markt.
Auch die Landesmedienanstalten seien vom aktuellen Entwurf des neuen Medienstaatsvertrages enttäuscht, so Joachim Becker von der Landemedienanstalt LPR Hessen. Die Medienanstalten hätten schon 2016 den Vorschlag unterbreitet, für alle Bewegtbild-Angebote anstelle einer Lizenz eine qualifizierte Anzeigenpflicht einzuführen. In einem weiteren Schritt sei man zur Erkenntnis gekommen, dass das auch für alle Rundfunkangebote gelten könne. Lizenzen brauche man da eigentlich nicht mehr.
Anmerkung der Redaktion:
Der neue Medienstaatsvertrag soll bis Ende des Jahres beschlossen werden. Noch bis zum 9. August können Bürgerinnen und Bürger sowie Institutionen und Organisationen Eingaben und Stellungnahmen dazu an die Rundfunkkommission der Länder schicken.