Der Kurzfilm fällt oft durchs Raster

Studie zur Lage des Kurzfilms konstatiert Mängel – und einen Boom

Der deutsche Kurzfilm ist lebendig wie nie, trotzdem ist er öffentlich kaum zu sehen und bei der unübersichtlichen Filmförderung in Deutschland fällt er mit seinen spezifischen Anforderungen durch manches Raster. Das hat die AG Kurzfilm, die Interessenvertretung des deutschen Kurzfilms, in einer Studie festgestellt, der ersten ihrer Art. Die AG lud angesichts der Ergebnisse der Untersuchung im Rahmen der Oberhausener Kurzfilmtage Förderer, Filmer/innen und Fachleute zu einem inoffiziellen Hearing über die Frage „Welche Förderung braucht der Kurzfilm?“. Im Herbst nämlich steht die Novellierung des Filmförderungsgesetzes (FFG) an.

Die Kurzfilmtage in Oberhausen sind für Kurzfilmer/innen aus aller Welt im 53. Jahr attraktiv wie nie zuvor: 6.500 Filme wurden aus 93 Ländern zu den vier Wettbewerben eingereicht, 147 Produktionen aus 43 Ländern schafften es in die Bewerbe, neuer Rekord. Das entspricht einem Trend, den für Deutschland die Studie „Kurzfilm in Deutschland/Studie zur Situation des kurzen Films“ der AG Kurzfilm konstatiert. Die Untersuchung wollte, auch angesichts der bevorstehenden Novellierung des FFG, erstmals aussagefähiges statistisches Material liefern und darüber hinaus Argumentationshilfen für Forderungen gegenüber der Filmpolitik liefern. Der Kurzfilm ist ein kurzer Film bis maximal 45 Minuten Länge – das klingt einigermaßen albern, eine andere Definition aber existiert nicht.

Der Kurzfilm wird also nur über seine Kürze definiert und ist ansonsten so vielfältig wie das ganze Kino. Stolz aber konstatiert die Studie: „Es gibt kaum eine filmästhetische Neuerung, die nicht zuerst im Kurzfilm ‚erfunden‘ und erprobt wurde. Dies wird in der Filmgeschichtsschreibung oder von der Filmkritik mangels entsprechender Forschung und Kenntnis meist übersehen. Ob Stopptrick, Großaufnahme, Jump-Cuts, Direct Cinema, non-lineares Erzählen, hybrider Film, die Handkamera und der Dogma-Stil – dies alles hat es zuerst im Kurzfilm gegeben und wurde vom Mainstream zur eigenen Erneuerung osmotisch aufgesogen.“ Spielraum für Experimente und Innovationen ist dort, wo Aufwand und Kosten für die Filmherstellung überschaubar sind. Auch deshalb wächst die Produktion ständig: 2000 neue Kurzfilme pro Jahr sind doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. Den größten Anteil daran haben Spielfilme (40 Prozent), auffallend hoch ist mit 20 Prozent der Anteil der experimentellen, künstlerischen Kurzfilme. In mehr als der Hälfte aller kurzen Filme kommen Buch, Schnitt, Produktion und Kamera aus einer Hand.

Kaum im gewerblichen Kino

Die vielen einschlägigen (und erstklassigen) Ausbildungsinstitutionen befördern natürlich den anhaltenden Produktionsboom mit Übungsfilmen, Diplom- und Abschlussfilmen und übrigens auch die Experimentierfreudigkeit. Allerdings, so die Studie: „Produktionsfirmen und Hochschulen haben strukturelle Vorteile zum Nachteil der Gruppe der Autorenproduzenten, die sich in allen Bereichen der Kurzfilmfinanzierung, -distribution und -präsentation nicht ihrem Produktionsanteil entsprechend durchsetzen können.“ Die Finanzierung von Kurzfilmen verlangt nämlich, wenn man ohne Hochschule da steht, nicht anders als die von Langfilmen ein ausgeklügeltes Suchsystem nach den unterschiedlichsten Geldquellen. Nur sind die Budgets nicht vergleichbar: Beim Kurzfilm ist man schon ab 50 Euro bis über 150.000 Euro dabei. Auf Bundesebene stehen Filmfördermittel von jährlich knapp 1,5 Millionen Euro zur Verfügung, das ist ein Anteil von 2,07 Prozent (2004) an der Gesamtfördersumme – und der ist geringer als noch vor zehn Jahren. Aus den Bundesländern kommen 1,8 Millionen hinzu, ein Anteil von 1,37 Prozent an der gesamten Fördersumme. 1996 waren es noch mehr als 3,5 Prozent. „Angesichts des mehr als verdoppelten Produktionsvolumens besteht bei den Landesförderungen dringender Handlungsbedarf zugunsten der Förderung von Kurzfilmen,“ stellt die Studie fest.

Eines der größten Probleme aber ist, dass die vielen Kurzfilme kaum einer sehen kann: Im gewerblichen Kino werden sie kaum gezeigt. Gründe sind die Entleihgebühr, die nicht auf den Eintrittspreis umgelegt werden kann, der erhöhte Aufwand für die Filmvorführer und vor allem die Zeitknappheit bei wachsenden Spielfilmlaufzeiten. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten springen nicht in die Bresche: Sie koproduzieren nur etwa 30 Kurzfilme jährlich und kaufen rund 120 an, darunter knapp 40 deutsche Filme. Die Studie vermutet: „Ein Grund für die geringe Präsenz des Kurzfilms im Fernsehen sind fehlende personelle Ressourcen, um sich intensiv mit dem Kurzfilmangebot auseinanderzusetzen. Das riesige Angebot von jährlich allein 2.000 deutschen Filmen, eine unüberschaubare Infrastruktur, die große Fluktuation unter den Produzenten und Filmemachern werden als Hindernis empfunden.“
Des weiteren fand die Studie „enorme Defizite der Filmförderung in den Bereichen Vertrieb und Verleih sowie den neuen Auswertungsmodellen (DVD-Kompilationen, Digitales Kino, Internetportale mit Streaming-Angeboten, Podcast, IP-TV, Blog-Provider). Derzeit bestehen weder Förderrichtlinien noch die Bereitschaft der Filmförderer auf Landes- und Bundesebene, auf die aktuellen technologischen Entwicklungen zu reagieren“. Zweifelsfrei aber hat der Kurzfilm trotz öffentlich-rechtlicher Abstinenz und abwehrender Haltung der Kinos Erfolg: Ein deutscher Kurzfilm nämlich wird auf durchschnittlich 15 nationale und 15 internationale Festivals geschickt – und gewinnt dort regelmäßig Preise. Laut Studie wurden 2004 in Deutschland etwa 700.000 Euro Preisgelder ausgeschüttet.
Auf der sicheren statistischen Grundlage der Studie und der Analyse ihrer Daten lassen sich Forderungen nach differenzierter und konkreter Förderungspolitik herleiten. In Oberhausen diskutierten Fachleute und Macher/innen auf Einladung der AG Kurzfilm mit Blick auf die Novellierung des FFG die Frage „Welche Förderung braucht der Kurzfilm?“ Produzent Frank Becher antwortete: „Einfache, schnelle, viele.“ Becher machte vor allem das Prozedere der Antragstellung dafür verantwortlich, dass viele Autor/innen von vornherein auf sie verzichten: „Um vielleicht 10.000 oder 15.000 Euro zu bekommen, braucht man drei bis vier Tage Arbeitsaufwand plus Steuerberater und dann dauert es noch fünf bis sechs Monate bis zum Bescheid. Unpraktikabel.“ Becher wünschte sich eine „Mikroförderung von 3.000 oder 4.000 Euro beispielsweise für ein Video, ohne große Gremiensitzungen, die darüber entscheiden müssen“. In diesen Gremien sitzen allerdings ohnehin, so der Videofilmmacher Volker Schreiner, „viel zu wenig Künstler“. Schreiner wünschte sich „mehr künstlerbezogene als filmbezogene Förderung“.

Förderung von Kleinstprojekten

Astrid Kühl, Vorstandsvorsitzende der AG Kurzfilm, sah den Schwerpunkt für eine verbesserte Wahrnehmung des Kurzfilms in seiner Kinopräsenz: „Kinos sollten belohnt werden, wenn sie Kurzfilme zeigen.“ Der Zwang für Kinos, die einen von der FFA unterstützten Langfilm zeigen, einen mit Prädikat versehenen Kurzfilm anzukaufen, sei „kontraproduktiv“, denn zeigen müssen die Kinos die Kurzen nur noch in wenigen Bundesländern. Regisseur und Filmverleiher Stephan Winkler wartete dazu mit einem konkreten Vorschlag an die Kinobetreiber auf, nämlich sogenannte „Nights of Shorts“, abendfüllende Kurzfilmprogramme, zu veranstalten, auch dies übrigens ein Fall für Verleih- und Vertriebsförderung. Letztere müßte eingreifen, wenn die Hochschule verlassen wird, so Sandra Thomas, Direktorin der gemeinnützigen imai-Stiftung zur Vertriebsförderung, dann müßte eine „Berufsförderung“ wirken, die auch für „mittelalte“ Menschen gelte. Ein Beispiel dafür, wie Kurzfilmförderung funktioniert, erzählte Klaus W. Becker vom Filmbüro Bremen: Dort wird mit jährlich 150.000 Euro „altersfrei, quotenfrei und barrierefrei“ kulturelle Filmförderung und „Kleinstprojektförderung“ mit 1.000 bis 2.000 Euro betrieben. 60 Prozent der in Bremen geförderten Filme sind kurze, an sie gehen 40 Prozent der Fördermittel, eine unbürokratische und kreative Arbeit, die beispielsweise Kurzfilme zu bestimmten Themen animiert.
Ulrike Schauz, beim Kulturstaatsminister zuständig für die Film- und Videowirtschaft, rückte angesichts der Forderungen an die Geberseite in den Mittelpunkt, dass die Produktionsförderung des Bundes sich von 2004 bis 2006 von 125.000 auf 250.000 Euro verdoppelt habe, in diesem Jahr ist zudem die Höchstsumme pro Film von 12.500 auf 15.000 Euro erhöht worden. Mit der kulturellen Förderung hat die Filmförderungsanstalt (FFA) als reinrassige Wirtschaftsförderungsinstitution nichts zu tun. Peter Dinges vom FFA-Vorstand aber forderte ausdrücklich dazu auf, jetzt vor der FFG-Reform Ansprüche und Forderungen „glasklar“ zu formulieren.
Die AG Kurzfilm will sich nun unter anderem dafür einsetzen, dass Produktionsförderung nicht mehr hauptsächlich an die Parameter „Nachwuchs“ und „Abschlussfilm“ gekoppelt wird, fordert eine Anschubfinanzierung der Kampagne „Kurzfilm als Vorfilm im Kino“, die Förderung von innovativen Distributionswegen, Kurzfilmförderung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten durch gute Programmplätze und faire Einkaufspreise und Festivalförderung unter Beachtung der Leistungen der Akteure für die öffentliche Verbreitung des Kurzfilms, denn „Festivals sind Diskussionsforen, Marktplatz, als Präsentationsort die wichtigste Plattform für die Branche und ein wichtiges Erprobungsfeld für den Nachwuchs“.

Kurzfilm-Studie

„Kurzfilm in Deutschland – Studie zur Situation des kurzen Films“, herausgegeben von der AG Kurzfilm e.V./ Bundesverband Deutscher Kurzfilm, online verfügbar unter www.ag-kurzfilm.de. Infos: presse@ag-kurzfilm.de.

Arbeitsgemeinschaft Kurzfilm

Die AG Kurzfilm ist die bundesweite Interessenvertretung für den deutschen Kurzfilm. Mitglieder sind Film- und Kunsthochschulen, Filmfestivals, Kurzfilmverleih und -Vertriebsunternehmen sowie sonstige öffentlich geförderte und private Institutionen der Film- und Kinobranche. Die AG ist Ansprechpartnerin für Politik, Filmwirtschaft, Filmtheater, Festivals und Servicestelle für Kurzfilmmacher, -produzenten und -institutionen. Seit 2004 hat sie einen Sitz im Verwaltungsrat der FFA.
AG Kurzfilm e.V.
Bundesverband deutscher Kurzfilm Kamenzer Str. 60 in D-01099 Dresden Tel. O351/404 55 75; www.ag-kurzfilm.de.

Kurzfilmtage Oberhausen

Eine Auswahl der Preisträger:Internationaler Wettbewerb – Großer Preis der Stadt Oberhausen (7.500 €): „On the Third Planet from the Sun“ von Pavel Medvedev (Russland); zwei Hauptpreise (je 3.500 €): „Metamorphosis“ von Clare Langan (Irland) und „San thu’o’ong“ von Phong Nguyen (Vietnam); ARTE-Preis für einen europäischen Kurzfilm (2.500 €): „Dad“ von Daniel Mulloy (Großbritannien); Preis der Jury des Ministerpräsidenten des Landes NRW (5.000 €): „Capitalism: Slavery“ von Ken Jacobs (USA); Preis der Ökumenischen Jury (1.500 €): „Tolya“ von Rodeon Brodsky (Israel); Preise der Kinojury: „Dad“ von Daniel Mulloy (Großbritannien) und „The Girl Who Swallowed Bees“ von Paul McDermott (Australien); Preis der Internationalen Kurzfilmtage (500 €): „Ägtux“ von Tania Anaya (Brasilien). Deutscher Wettbewerb – Hauptpreise (insgesamt 5.000 €): „Vali Asr – Juli 2006“ von Norman Richter (Deutschland/Iran), „Mammal“ von Astrid Rieger und „Three Notes“ von Jeannette Gaussi; 3sat-Förderpreis (2.500 €): „Hit the Floor“ von Kays Khalil. Kinder- und Jugendfilmwettbewerb – Kinderjury (1.000 €): „Under There“ von Jeremy Lanni (USA); Jugendjury (1.000 €): „Schnäbi“ von Luzius Wespe (Schweiz). MuVi-Preis – 1. Preis (2.500 €): Oliver Pietsch für „The Space Lady“; 2. Preis (1.500 €): „I Have Seen You Dancing Better Than This“ von Luigi Archetti und Bo Widget; 3. Preis (1.000 €): „H.O.N.D. Aerobic“ von Mariola Brillowska; Publikumspreis (500 €): „1., 2., 3.“ von Norbert Heitker.

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