Die Integration hat noch nicht stattgefunden

Zwei Tagungen thematisierten die Medienentwicklung in Deutschland Ost und stellten die Frage nach der medialen Einheit 10 Jahre nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik

Wenn der Schweriner Kommissar Hinrichs im ,Polizeiruf 110′ witzig, schlau und zuweilen gekonnt täppisch seine Fälle löst, dann amüsiert sich das Publikum in Ost und West gleichermaßen. Die heutige ARD-Krimi-Reihe steht als Beispiel für den gelungenen Wandel eines einst populären DDR-Mediums zum anerkannten bundesdeutschen Medienprodukt. Hatten zu DDR-Zeiten Ermittler als Vorbild- und Respektpersonen – oft mit „moralischem Zeigefinger“ – dafür zu sorgen, dass die gesellschaftliche Ordnung wieder hergestellt wird, so haben sich heute ganz individuelle, gar nicht perfekte und oft frustrierte Kommissarsfiguren, die durchaus nicht jeden Fall befriedigend zu lösen in der Lage sind, zu Markenzeichen gesamtdeutschen Krimischaffens etabliert.

Aber die TV-Einigkeit täuscht. Erfolgsgeschichten wie diese sind selten. Der Wandel in den ostdeutschen Medien ist zehn Jahre nach der Wende gekennzeichnet von Umbrüchen, die, obwohl den Akteuren und Akteurinnen „enorme Anpassungsleistungen“ abverlangt wurden, ein Medienland geschaffen haben, das eher von Differenz als von Integration geprägt ist.

Zwei Tagungen über die Auswirkungen des Beitritts der früheren DDR zur Bundesrepublik auf den Medienbereich in Ostdeutschland legten diese Feststellung nahe. Während in Leipzig die „Umbrüche“, die den „Medienwandel in Ostdeutschland“ kennzeichnen, im Vordergrund standen, ging es in Tutzing um die Frage „Deutschland einig Medienland?“ Das Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft stellte im Rahmen der X. Leipziger Hochschultage aktuelle Forschungsergebnisse vor, die Politische Akademie in Tutzing setzte in Zusammenarbeit mit dem Münchner Arbeitskreis Öffentlicher Rundfunk (MAR) auch auf die Erfahrungen von PraktikerInnen.

Eine von ihnen, Sandra Dassler, bis Juni noch Chefreporterin der ,Lausitzer Rundschau‘ in Cottbus, inzwischen gekündigt, weil sie nach Auffassung der Geschäftsführung den Betriebsfrieden störte (siehe M 11/00), kann in den Medien bisher noch keine Integration feststellen. „Wenn die Medien die Aufgabe hatten, zum besseren Wissen voneinander beizutragen, dann ist das nicht erreicht worden“. Sie sei immer wieder „erstaunt, wie viele gegenseitige Klischees es noch gibt“. Im Grunde sei die Situation heute „nicht besser als vor zehn Jahren“.

„Lizenz zum Gelddrucken“ – Westdeutsche Großverlage auf Ostkurs

Geändert hat sich dennoch vieles. Pressekonzentration und Monopolisierung sind in Ostdeutschland inzwischen stärker ausgeprägt als in den alten Ländern, betonte Walter Hömberg, Medienwissenschaftler aus Eichstätt und MAR-Organisator. Nur noch ein Drittel der ostdeutschen Bevölkerung kann sich zu lokalen Problemen aus zwei Zeitungen informieren. Auch der einst vielfältige Zeitschriftenmarkt des „Leselandes DDR“ schrumpfte auf ganz wenige Publikationen. Erstaunlicherweise waren es gerade die früheren SED-Bezirkszeitungen, die dank Treuhand-Politik und westdeutscher Großverlage, die in ihnen eine „Lizenz zum Gelddrucken“ witterten, die Wende gut überlebten und heute über einen Marktanteil von etwa 95% verfügen. Zeitungsneugründungen hatten dagegen kaum Chancen. Nur wenige überlebten „in kleinen Nischen“ (siehe auch M 11/00: Tageszeitungen im Osten). Die Treuhand, so Sandra Dassler, war an „sinnvollen Alternativen“ nicht interessiert. Auch überregionale Zeitungen aus dem Westen, wie ,Spiegel‘ oder ,Zeit‘, fanden im Osten keine nennenswerte Verbreitung.

Wie der Hannoveraner Medienwissenschaftler Stürzebecher, der 1993 den Printbereich untersucht hat, in Tutzing ausführte, wurden von den neuen westdeutschen Verlegern „die alten DDR-Bezirke als Kommunikationsräume konserviert“ und die bisherigen Redaktionen weitgehend – ganz ohne Stasi-Überprüfung – übernommen. Ein „grundlegender personeller Wechsel blieb aus“. Während die Zeitungsneugründungen sich an die Aufarbeitung der Vergangenheit machten – und wohl gerade deshalb nicht überleben konnten -, sei es den Traditionsblättern gelungen, mit Problemen des wirtschaftlichen Umbruchs die Gemütslage der Menschen in Ostdeutschland eher anzusprechen. Verantwortlich dafür gemacht worden seien aber allein Staat und Politik. Obrigkeitsdenken aus SED-Zeiten sei so reaktiviert worden, nicht aber basisdemokratisches Engagement. Ein Nährboden möglicherweise auch für „diffusen Rechtsextremismus“.

Die Leipziger Forscher betonen dagegen, dass es heute „immer noch kein exaktes Wissen über die Umstände und die Folgen der Transformation der DDR-Medien“ gibt. Seit 1995 werden deshalb am Lehrstuhl Journalistik im Rahmen eines Forschungsprogramms zahlreiche Untersuchungen zum „Medienwandel in Ostdeutschland“ durchgeführt und einige von ihnen jetzt in einer von Michael Haller herausgegebenen gleichnamigen Buchreihe der Öffentlichkeit präsentiert.

Zwei der Autoren stellten ihre Forschungsergebnisse in Leipzig vor. Steffen Reichert hat am Beispiel der traditionsreichen ,Leipziger Volkszeitung‘ die Transformation der Presse – von der SED-Herrschaft bis zum heutigen redaktionellen Konzept – detailreich analysiert. Hans Langguth hat Rolle und Einflussnahme des MfS auf den Redaktionsbetrieb am Beispiel der Zeitung ,Freies Wort‘, wo er selbst Chefredakteur war, untersucht.

„Gewagtes wird banal“ – DEFA-Filme vor und nach der Wende

„Tabus brechen, oder offene Türen einrennen?“ Unter diesem Titel umriss Rüdiger Steinmetz in Leipzig die ambivalente Situation, in der sich die Filmemacher der Vorwendezeit befanden. Sie wollten zur Veränderung gesellschaftlicher Zustände beitragen, konnten aber die Entwicklung, so wie sie sich dann vollzog, nicht vorausahnen. Themen wie intensiv gelebte Individualität, Homosexualität oder Reisen waren zu DDR-Zeiten tabuisiert und deren filmische Umsetzung bedurfte langwieriger Bemühungen und komplizierter künstlerisch-ideologischer Begründungen. Drei Jahre konnte es dauern von der Bestätigung des Stoffes bis zur Abnahme. Dann kam die Wende und mit ihr ein „fundamentaler Paradigmenwechsel“, dem sich die Filme stellen mussten. „Was zuvor gewagt war, wurde plötzlich banal“. Erregte Heiner Carows ,Coming out‘ bei der Uraufführung am 9. November noch großes Interesse, so konnten andere Filme wie „Der Magnolienbaum“, „Rückkehr aus der Wüste“ oder „Die Architekten“ nicht mehr die Resonanz finden, die ihnen gebührt hätte. Das letzte DDR-Filmfestival im Mai 1991 zeigte ein noch nie da gewesenes Spektrum an Beiträgen, bei „einem nicht gerade überschwänglichen Publikumsinteresse“.

,Elf99′: Ein „Symbol der Wendeberichterstattung wird abgewickelt

Uta Corsa beschrieb in Leipzig den „Wandel des letzten DDR-Jugendmagazins ,Elf 99′ zum Vox-Magazin ,Saturday'“. Nachdem die DDR-Jugend auf West-Medien weit mehr abfuhr als auf ihre heimischen TV-Produkte und, wie eine Umfrage ergeben hatte, nur noch 10% unter ihnen an Weltrevolution und Sieg des Sozialismus glaubten, hatte das ZK der SED im Januar 1989 eine 120-köpfige Redaktion mit der Realisation einer Sendung beauftragt, die Jugendliche ansprechen, sie zugleich aber wieder einer kommunistischen Erziehung zuführen sollte. Der ,Elf 99- Jugendnachmittag‘ startete am 1. September 89 und war vor allem wegen seines hohen Anteils an Westvideos erfolgreich. Während der friedlichen Revolution gehörte die Sendung zu den ersten Medien, die über die Massendemonstrationen berichteten. Mit Reportagen über Tabu-Themen wie ,Wandlitz‘ oder Stasi-Praktiken entwickelte sich das „journalistisch einmalige“ Magazin zu einem „Symbol der Wendeberichterstattung“ und schaffte es, seinem Publikum „Politik als wichtigen Teil jugendlichen Lebens“ zu vermitteln. Das hatte mit der Abwicklung des DFF Ende Dezember 1991 ein jähes Ende. „Befreit von jeglichem gesellschaftspolitischem Engagement“ existierte das Magazin danach noch eine Weile im kommerziellen Fernsehen, wo es – „am Ende nur noch Bravo-light“ – verschied. ARD und ZDF hatten eine Übernahme in ihre Programmen abgelehnt.

„Warum sind ostdeutsche Fernsehzuschauer anders?“

In den neuen Bundesländern werden Medien anders genutzt als im Westen. Deutlich zeigt sich das v.a. beim Fernsehen. Die Ostdeutschen sitzen länger vor dem TV-Gerät, sind unterhaltungsorientierter, bevorzugen kommerzielle Sender und nutzen stärker regionale TV-Programme. Erklärungsansätze, warum das so ist, versuchte Hans-Jörg Stiehler, Universität Leipzig, auf beiden Tagungen. Er sei „Sammler möglicher Gründe“ für das unterschiedliche Fernsehnutzungsverhalten, das durch andere kulturelle Traditionen, Lebensstile und aktuelle Lebenslagen beeinflusst werden könne. Ostdeutsche gehörten eher zur Mittel- und Unterschicht und verfügten über weniger Kaufkraft und Lebensqualität. Längere Arbeitszeiten und weniger Freizeit begünstigten eine „häusliche Lebensweise“, die mit mehr Mediennutzung „organisch verbunden“ sei. Hinzu komme so etwas wie eine „ostdeutsche Identität“, die neben der Identität, sich als Deutsche zu fühlen, „ein ostdeutsches Separat-Empfinden“ pflege. Das Gefühl, „Bürger 2. Klasse zu sein“, verbunden mit „ostdeutschem Eigensinn“ fördere möglicherweise eine Distanz zu den „West-Programmen“, in denen Ostdeutschland überwiegend als „Problemzone dargestellt“ werde und wichtige Bereiche ostdeutschen Lebens „total ausgeblendet“ seien. Viel Fernsehen und viel – vor allem kommerzielle – TV-Unterhaltung, das könne auch eine der Formen privater Bewältigung ostspezifischer Probleme sein.

Die beiden Tagungen repräsentierten – weit mehr noch als hier skizziert werden konnte – einen beachtlichen Umfang wissenschaftlichen Forschens und praktischer Erfahrung zum Medienwandel. Schade, dass die Zeit des Umbruchs zwischen Oktober 1989 bis zum Beitritt der DDR zur Bundesrepublik nicht ausführlicher in den Blick genommen wurde. Sie war nicht nur eine „wilde schöne Chaos-Zeit“, wie Haller sie nannte, sondern auch eine Zeit des Aufeinandertreffens unterschiedlicher medienpolitischer Konzepte, von denen eines siegreich war und die Richtung des künftigen Wandels bestimmt hat. „Die alte Bundesregierung“, meinte Karl-Friedrich Reimers in Tutzing. „hat es verstanden, alles in ihrem Sinne voll durchzuziehen“. Vielleicht war es ja gerade diese Strategie und die Erwartungshaltung, endlich im Westen anzukommen, die Integration so schwer macht.

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