Expertendebatte über Medienkompetenz im 21. Jahrhundert in Berlin
Für eine „weltweite Medien-Alphabetisierung“ hat sich Bundeskanzler Gerhard Schröder ausgesprochen. Auf der Konferenz „Medienkompetenz im 21. Jahrhundert“ sagte Schröder Anfang März in Berlin, der „versierte Umgang mit den modernen Medien“ sei die „Eintrittskarte in die Welt von morgen“.
Auf der von der Bertelsmann-Stiftung und der AOL Time Warner Foundation organisierten Konferenz diskutieren europäische und amerikanische Experten und Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft über die „Potenziale von Informationstechnologien und neuen Medien“ in Bildung, Politik und Arbeitswelt.
Den kompetenten Umgang mit den Medien bezeichnete Schröder als „vierte Kulturtechnik“ neben Lesen, Schreiben und Rechnen. Eine möglichst frühe Aneignung dieser Technik sei nötig, „weil sich der Zugang zu den neuen Medien nicht zu einer neuen sozialen Frage entwickeln darf“. Es müsse „bei uns, aber auch international“ verhindert werden, dass die neuen Medien „zu neuen Spaltungen der Gesellschaften und der Welt insgesamt“ führten. Schröder hob die Bedeutung der „Sprache der Bilder“ in der globalen Kommunikation hervor. Die „Macht der Bilder“ habe längst eine „nachdrücklichere emotionale und politische Wirkung als die meisten Leitartikel“. Selbst der internationale Terrorismus habe „seine eigene, grausame Bilderwelt geschaffen“. Die Schulen müssten in die Lage versetzt werden, über Medienbildung den Menschen die Verarbeitung der Bilder und ihrer Botschaften zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang lobte Schröder die D21-Initiative als Beispiel einer „erfolgreichen public-private-partnership“. Im Rahmen der „Schulen ans Netz“-Initiative hätten Bundesregierung und Wirtschaft für den kostenlosen Anschluss aller 35.000 allgemeinbildenden Schulen ans Internet gesorgt. Nach Herstellung der technischen Voraussetzungen gehe es bei der im Frühjahr 2001 angelaufenen Folgeinitiative „Neue Medien in der Bildung“ nunmehr um die Anwendung und Vermittlung von Inhalten. Wer die genannten vier Kulturtechniken nicht beherrsche, werde im internationalen Wettbewerb zurückfallen und in einer sich rasant verändernden Arbeitswelt den Anschluss verlieren. Schröder plädierte für eine „ausgeprägte Kultur des lebenslangen Lernens“. Zur Qualitätssicherung der Bildungsangebote könne es sinnvoll sein, eine „Stiftung Bildungstest“ ins Leben zu rufen.
Für Steve Case, Vorstandschef von AOL Time Warner, ist der Siegeszug des Internet auch nach dem „Platzen der Dot.com-Blase“ nicht zu stoppen. Neue interaktive Anwendungen wie Video-on-demand, interaktives Fernsehen und Internet-Telefonie würden starke Auswirkungen auf die Kommunikation der Menschen vor allem in den USA und Europa haben. „Bildung wird von einer passiv genutzten Einbahnstrasse zum interaktiven Lernerlebnis, das Menschen in aller Welt zusammenführt“, sagte Case. Das Zusammenwachsen von Netzen und Geräten werde auch den Weg zum „digitalen Arbeitsplatz“ beschleunigen.
Die Vision des AOL-Bosses von einer „dramatischen Verbesserung der Lebensqualität“ im Gefolge dieser Konvergenz wurde nicht von allen Konferenzteilnehmern geteilt. Viviane Reding, EU-Kommissarin für Bildung und Kultur, warnte vor dem sich abzeichnenden Gefälle zwischen gut Ausgebildeten und digitalen Habenichtsen, dem „digital divide“. Schon in Europa seien die nördlichen Staaten dem Süden weit voraus. Auch innerhalb der einzelnen Länder werde die Kluft ständig größer. Dies beziehe sich vor allem auf den Gebrauch digitaler Medien. Es reiche nicht aus, die Schulen lediglich mit Computern auszustatten. Vielmehr komme es darauf an, den kritischen Umgang mit dem Internet zu vermitteln.
Ingrid Hamm vom Bereich Medien der Bertelsmann-Stiftung plädierte für einen „ganzheitlichen Ansatz“ bei diesem Vermittlungsprozess. Neben der Technik bedürfe es engagierter Pädagogen und geeigneter Inhalte. Lehrer, Eltern und Wirtschaft müssten an einem Strang ziehen. Wie Schröder unterstrich auch Hamm die „emotionale Kraft“ der Bilder im Netz. Letztere repräsentierten bereits 70 Prozent aller Online-Dokumente. Zwar könnte sie in der Bildung die Abstraktion des sprachlichen Lernens nicht ersetzen. Dennoch sei so etwas wie eine „visual literacy“ nötig, die Fähigkeit mit Bildern angemessen umzugehen. Hamm verwies auf das Beispiel Frankreich. Dort könnten Film und Bild in der Oberstufe ganz selbstverständlich als Schulfach belegt werden.
Unter günstigen Bedingungen kann das Internet auch zu größerer Bürgernähe von Verwaltung und Politik beitragen. Immer mehr Menschen, so berichtete die EU-Parlamentarierin Erika Mann, nutzten die elektronische Post „zur aktiven Beteiligung am demokratischen Prozess“. Ihre These, die Kommunikation im Internet nivelliere tendenziell die gesellschaftlichen Klassenunterschiede, blieb nicht unwidersprochen. Angesichts des erwähnten „digital divide“ könne davon nur bedingt die Rede sein, argumentierte Kommunikationswissenschaftler Peter Glotz (SPD). Schließlich sei der Internetzugang für einen ausgepowerten andalusischen Landarbeiter nicht gerade selbstverständlich. Jenseits der Klassenfrage, darüber immerhin gab es Konsens, entwickle sich im Netz so etwas wie eine internationale Öffentlichkeit. Was in den klassischen Medien nicht funktioniert habe – Glotz erinnerte hier an das Scheitern der paneuropischen Wochenzeitung „The European“ – erlebe im Internet einen neuen Aufschwung. Erika Mann relativierte diese optimistische Vision. Wegen der Sprachbarrieren sei der Teilnehmerkreis an einer solchen Öffentlichkeit „begrenzt“.