Endlich mehr Transparenz wagen

Dr. Manfred Redelfs arbeitet in Hamburg im Investigativ-Team von Greenpeace und engagiert sich im Vorstand der Journalistenorganisation Netzwerk Recherche für die Informationsfreiheit. Foto: Axel Kirchhof

Meinung

Zu den Versprechungen der Bundesregierung im Koalitionsvertrag gehört auch ein Bundestransparenzgesetz. Damit soll der Zugang zu Unterlagen öffentlicher Stellen endlich einfacher werden. Doch weil die Regierung derzeit viele andere Baustellen hat, legt die Zivilgesellschaft schon mal los und präsentiert einen Vorschlag für dieses Reformprojekt.

Es ist ein ständiges Ärgernis im Journalismus: Behörden und andere öffentliche Stellen tun sich schwer, Auskünfte zu erteilen oder gar Einsicht in Originalunterlagen zu gewähren. Eigentlich gibt es schon sei 2006 mit dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes (IFG) eine klare gesetzliche Regelung, wie man Zugang zu den Unterlagen der Ämter erhalten kann. Doch in der Praxis machen Journalistinnen und Journalisten immer wieder die Erfahrung, dass ihnen dies unter Berufung auf Ausnahmegründe verwehrt werden soll – oder dass die Bearbeitung eines Antrags so lange dauert, dass dieses Rechercheinstrument nur für investigative Recherche attraktiv erscheint, nicht jedoch für die Tagesberichterstattung.

Abhilfe kann hier die Fortentwicklung der Informationsfreiheitsgesetze schaffen, das sogenannte Transparenzgesetz. Es ersetzt das Prinzip der Freigabe von Informationen auf Antrag durch die automatische Veröffentlichung im Netz für klar definierte Kategorien von Informationen, z.B. Verträge der öffentlichen Hand oder Gutachten und Studien. Statt sich mit unwilligen und z.T. auch überforderten Behördenmitarbeitern rumschlagen zu müssen, kann dann jeder im Internet nachlesen, was sie oder ihn interessiert.

Hamburg hat eine solche Regelung bereits 2012 eingeführt, mit großem Erfolg: Jedes Jahr werden rund 20.000 Datensätze online gestellt, von der Bauplanung über das Baumkataster bis zum Verkehrsgutachten. Und die Bürgerinnen und Bürger nutzen diese Möglichkeit, hinter die Kulissen der Verwaltung zu schauen, recht intensiv. Auch zehn Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes weist die Abrufstatistik immer noch jeden Monat über eine Million Seitenaufrufe auf. Alle Sorgen, die Verwaltung würde überlastet, während die Menschen sich ja doch nicht für den „drögen Kram“ interessieren würden, wie von Skeptikern immer wieder behauptet, haben sich als falsch erwiesen.

Viele Schwächen im alten Gesetz von 2005

Ein solches Gesetz ist auch auf Bundesebene überfällig. Denn das alte Informationsfreiheitsgesetz weist sehr viele Schwächen auf. Es ist 2005 als letztes Projekt der Regierung Schröder-Fischer verabschiedet worden, mit vielen Zugeständnissen an die Gegner der Informationsfreiheit. Das sieht man besonders deutlich an der langen Liste der Ausnahmegründe vom Grundsatz der Transparenz: Offenbar ist in der Ressortabstimmung jedem Ministerium noch eine Begründung eingefallen, warum das Anliegen womöglich gut ist, aber auf keinen Fall im eigenen Zuständigkeitsbereich umgesetzt werden kann. Das IFG muss deshalb dringend zu einem echten Transparenzgesetz mit automatischer Veröffentlichungspflicht weiterentwickelt werden.

Das Versprechen im Koalitionsvertrag ist gut – aber was folgt daraus, welche Priorität wird ein solches Vorhaben bekommen, angesichts der Vielzahl an Krisen, die derzeit gleichzeitig zu bewältigen sind? Damit das Reformprojekt womöglich nicht hinten runterfällt, hat ein Zusammenschluss von zivilgesellschaftlichen Organisationen jetzt schon mal vorgearbeitet und einen eigenen Entwurf präsentiert. Die Journalistenorganisation Netzwerk Recherche, Mehr Demokratie, FragDenStaat, Transparency International, die Deutsche Gesellschaft für Informationsfreiheit, Lobbycontrol und Abgeordnetenwach haben gemeinsam einen Vorschlag für ein weitreichendes, bürgerfreundliches Transparenzgesetz erarbeitet. Seit Anfang Juni steht es für einen Monat online und kann von allen Bürgerinnen und Bürgern kommentiert werden. Die Initiatoren werden die Kommentare auswerten und anschließend darlegen, welche Vorschläge übernommen werden. Denn die Entstehung eines Transparenzgesetzes, das letztlich der Stärkung der Demokratie dient, sollte auch in sich transparent und unter Berücksichtigung vieler Interessen zustande kommen.

Gesetze und Bekanntmachungen automatisch veröffentlichen

Kernpunkt des Gesetzesvorschlags ist zunächst die automatische Veröffentlichung von Gesetzen, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften wie Richtlinien, Erlassen, Anordnungen, Rundschreiben und Bekanntmachungen. Erfasst werden auch Gesellschaftsverträge, Gutachten, Geo- und Mobilitätsdaten oder Karten. Besonders relevant dürfte die Vorschrift werden, auch Verträge informationspflichtiger Stellen ins Netz zu stellen, sofern zwischen den Vertragspartnern im Laufe der vergangenen zwölf Monate ein addierter Gegenstandswert von mindestens 100.000 Euro zustande gekommen ist.

Für den angestrebten Kulturwandel steht zudem die Bestimmung, die wesentlichen Daten von Unternehmen oder sonstigen Organisationen offen zu legen, an denen der Bund oder informationspflichtige Stellen beteiligt sind. Das schließt die Darstellung der jährlichen Vergütungen einschließlich aller Zusatzleistungen wie Boni oder geldwerten Sach- und Versorgungsleistungen für die Mitglieder der Leitungsebene ein.

Zu den informationspflichtigen Stellen werden in dem Entwurf die Bundesregierung, die Bundesbehörden und nachgelagerten Stellen gezählt. Aber auch private Firmen können dazu gehören, soweit sie öffentliche Aufgaben übernehmen und dabei der Kontrolle von Bundesbehörden unterliegen. Diese Regelung greift vor allem in Bereichen der sogenannten Daseinsvorsorge, wie Wasserversorgung oder Müllentsorgung. So soll verhindert werden, dass die Privatisierung öffentlicher Aufgaben zu einer Informationsabschottung führt.

Anders als das jetzige Informationsfreiheitsgesetz führt der Reformvorschlag bei allen notwendigen Ausnahmen vom Grundsatz der Transparenz eine Abwägung mit dem öffentlichen Interesse ein. Es ist also nicht mehr möglich, eine Auskunft oder Akteneinsicht unter Berufung auf das Vorliegen von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen zu verweigern, ohne die Relevanz der Information für die öffentliche Debatte in die Waagschale zu werfen.

Dass die Initiative für eine solche Reform aus der Zivilgesellschaft kommt, ist kein Zufall: Normalerweise erarbeitet die Ministerialbürokratie die Gesetzentwürfe. Aber das ist genau die Klientel, die in der Vergangenheit mit dem Prinzip der „Amtsverschwiegenheit“ gut gelebt und sich daran gewöhnt hat. Von dieser Gruppe einen besonders weitreichenden Vorschlag zu erwarten wäre so, als würde man die Tabakhersteller mit einer Kampagne für das Nichtrauchen beauftragen. Auch eine Partei, die aus der Opposition in die Regierung gelangt ist, hat plötzlich weniger Interesse an Transparenz – denn nun hat sie ja den Zugriff auf den Verwaltungsapparat samt aller Informationen.

In diesem Sinne ist es ein überfälliger Vorstoß, wenn nun Gruppen aus der Zivilgesellschaft zur treibenden Kraft werden und den Transparenzbefürwortern im Parlament den Rücken stärken. Der Einwand, die Folgen des Ukraine-Kriegs, der Umbau der Wirtschaft, die Maßnahmen zur Bewältigung der Klimakrise müssten Vorrang haben und alles andere zurückstehen, greift dabei zu kurz: Gerade wenn große Veränderungen vorbereitet werden, ist es umso wichtiger, dass dies in transparenter Form geschieht, im Lichte einer breiten öffentlichen Debatte. Das Transparenzgesetz ist somit keineswegs bürgerrechtlicher Luxus, es ist überfällig.

Kommentare zum Gesetzesvorschlag der Zivilgesellschaft sind noch bis zum 8. Juli möglich unter https://consul.mehr-demokratie.info/transparenzgesetz

 

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