Entschleunigen und Medienkompetenz fördern

Prof. Frank Schwab, Lutz Tillmanns, Frauke Gerlach, Gerd Bauer, Jochen Fasco und Moderator Steffen Grimberg (v.l.n.r.) bei der Podiumsdiskussion „Information und Desinformation im Netz“ in der saarländischen Vertretung in den Berliner Ministergärten Foto:LMS/Steffen Weßler

Wie umgehen mit desorientierenden Inhalten im Netz – eine Debatte in Berlin

Anders als erhofft ist das Internet keineswegs ausschließlich ein Instrument demokratischer Kommunikation. Im Netz konkurrieren seriöse wie desorientierende Quellen um die Aufmerksamkeit der User_innen. Auf der Fachveranstaltung „Information und Desinformation im Netz“ debattierten am 27. Januar in Berlin Medienwissenschaftler und -politiker über den richtigen Umgang mit den Netzinhalten. Eingeladen hatten das Grimme Institut, die Thüringer Landessmedienanstalt (TLM) sowie die Landesmedienanstalt Saarland (LMS).

Welche Motive stecken eigentlich hinter unserer Mediennutzung? Ein wesentlicher Antrieb, so referierte Frank Schwab, Medienpsychologe an der Uni Würzburg den aktuellen Forschungsstand, sei das „Mood Management“, also das Bedürfnis, die eigene Stimmung zu regulieren. Wenn etwa junge Männer gewalthaltige Videos konsumierten, habe das viel mit der Suche nach starken visuellen Reizen zu tun. Solche User zeigten in der Regel wenig Empathie mit den dargestellten Personen. Ein weiterer Aspekt sei das Bedürfnis nach „meaningfulness“, der Wunsch, in den konsumierten Medieninformationen Bedeutung und Orientierungshilfe für das eigene Leben zu finden. Seit langem kennen Medienforscher das Phänomen der „defensiven Medienselektion“, also der Neigung, vor allem solche Inhalte zu präferieren, die der eigenen Meinung entsprechen. Konservative ignorierten in der Regel linke Medien, ebenso umgekehrt. Schließlich die Orientierung an Meinungsführern. Längst existiere dieses Phänomen auch im Internet – inzwischen erklärten digitale Meinungsführer wie etwa Le Floid jungen Menschen, wie die Welt funktioniere.

Negative Voreinstellungen nur schwierig zu ändern

Was passiert, wenn in den Medien Falschinformationen auftauchen? Die Erkenntnisse der Wirkungsforschung stimmen nicht optimistisch, was die Lernfähigkeit des Einzelnen angeht. Der durchschnittliche Nutzer neige dazu, seine vorhandenen Kenntnisse, Auffassungen und Vorurteile mit neu auftauchenden Infos zu verknüpfen. Die Korrektur von Falschinformationen funktioniere dann gut, wenn sie in das ohnehin vorhandene Weltbild passe. Wer zu Verschwörungstheorien neige, lasse sich durch sachliche Gegeninformationen nur schwer überzeugen. Dann der „hostile media effect“. Man nehme ein kontroverses Thema, eine involvierte Anhängerschaft mit jeweils unterschiedlichen Meinungen und eine neutrale Berichterstattung. Egal, wie ausgewogen diese Berichterstattung sei, bewerte jede Seite sie am Ende doch als parteiisch, also gegen sie gerichtet. Dieses Verhalten, neutrale Aussagen als dem eigenen Weltbild zuwider laufend einzuordnen, nannte Schwab „selektive Kategorisierung“. Zugespitzt münde dies in eine massive negative Voreinstellung („prior belief“), in die Unterstellung, dass die Medien generell einseitig und fehlerhaft berichten. Eine Position, die sich die PEGIDA-Anhänger mit ihrem „Lügenpresse“-Schlachtruf zu eigen gemacht haben. Dazu passe das Phänomen der „Selbstkategorisierung“, also der Identifikation mit einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe. Negativer Effekt solcher Erscheinungen sei die Gefahr einer wachsenden Desintegration der Gesellschaft.
In der anschließenden Debatte zeigte sich Presserat-Geschäftsführer Lutz Tillmanns beunruhigt darüber, dass Journalist_innen immer häufiger nur noch mit Polizeischutz ihrer Berufstätigkeit nachgehen könnten. Der Vorwurf mangelnder Glaubwürdigkeit, der zuletzt nach den Kölner Silvester-Ereignissen gegenüber vielen Medien erhoben worden sei, habe eine gefährliche Situation erzeugt, mit der sich die Gesellschaft als Ganze beschäftigen müsse.

Gründliche Recherche kommt zu kurz

Frauke Gerlach, Geschäftsführerin des Grimme-Instituts, plädierte für einen „entschleunigten Umgang“ der Medien mit den aktuell aufgebrochenen gesellschaftlichen Konflikten um Flüchtlingsbewegung, „Ausländerkriminaliät“ etc. Derzeit gebe es sehr schnelle Kommentare, sehr viel Meinung, dagegen komme die ruhige und gründliche Recherche zu kurz. Sie appellierte an die öffentlich-rechtlichen Anstalten, ihren Informations- und Bildungsauftrag noch sorgfältiger zu erfüllen.
Medienforscher Schwab gab sich skeptisch. Heute tobten viele Menschen in den digitalen Medien ihre gesellschaftlichen Ressentiments aus. Was früher der Stammtisch war, finde heute in massenhafter Verbreitung im Internet statt. Das Netz wirke hier „wie ein sich selbst verstärkendes System“. Es sei sehr schwierig, argumentativ immer wieder dagegen zu halten. Es gebe einen harten Kern in den Foren, bei dem es müßig sei, seine Kräfte zu verschwenden. Wo Trolle auf Provokation aus seien, solle man sie nicht füttern. Sinnvoller sei es, zu versuchen, die Gruppe der verunsicherten, desorientierten Mitmenschen zu erreichen.
LMS-Direktor Gerd Bauer sieht die Medienaufsicht im digitalen Zeitalter in der Defensive: „Wir sollten uns die Vorstellung abschminken, mit unseren Möglichkeiten die neuen Programmanbieter wirksam kontrollieren zu können“, klagte er. Die Entwicklungen seien immer schneller als die Aufsicht. Daher plädiere er für vorbeugende Maßnahmen in Form einer verstärkten Förderung von Medienkompetenz.
Jochen Fasco, Direktor der TLM und Mitglied der Kommission Jugendmedienschutz, äußerte sich optimistischer. Die bundesdeutsche Demokratie könne einiges aushalten, selbst die Erzeugnisse von Propagandasendern wie „RT deutsch“. Auch Fasco setzt auf verstärkte Anstrengungen in der Medienbildung und Förderung von Medienkompetenz. Dies gelte nicht nur für ARD und ZDF. Auch die großen Privatsender müssten sich auf diesem Gebiete mehr engagieren. „Wer Geld macht, muss auch seiner gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden.“

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