Gegengift zur Desinformation

Medienpolitischer Dialog der SPD zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Im Fokus: der neue Medienstaatsvertrag.
Fotos: ARD /Grafik: Petra Dreßler

Um „Reformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ sowie dessen „Chancen und Herausforderungen in der digitalen Transformation“ ging es beim zweiten „Medienpolitischen Dialog“, den die SPD-Bundestagsfraktion am 7. Juli im Paul-Löbe-Haus veranstaltete. Eingeladen hatte der Sprecher der AG Kultur und Medien, MdB Helge Lindh. Im Zentrum der Debatte standen die Eckpunkte der unlängst beschlossenen Medienstaatsvertragsnovelle.

ARD-Vorsitzende Patricia Schlesinger, zugleich Intendantin des Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), sieht den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland „auf dem Reformweg“, trotz erschwerter Rahmenbedingungen. Krieg in Europa, eine weltumfassende Pandemie, auch die „Fliehkräfte, die heute an den Grundfesten der Demokratie zerren“, seien vor kurzem noch nicht vorstellbar gewesen. Eine unabhängige Presse werde in der Krise zum Kompass, sei ein „Teil des Rückgrats unserer Demokratie“, gleiches gelte für das duale System. Dies erfordere eine „solide wirtschaftliche Finanzierung von Qualitätsjournalismus“ in allen Bereichen: Print, Hörfunk, Fernsehen und Online.

Schlesinger begrüßte die kürzlich erfolgte Einigung der Ministerpräsident*innen auf Eckpunkte des neuen Medienstaatsvertrags: besonders die Flexibilisierung des Auftrags, die Absicherung von Unterhaltung auf Basis eines öffentlich-rechtlichen Profils sowie die zusätzliche Verantwortung der Rundfunkgremien stärkten die Unabhängigkeit und die Legitimation des öffentlich-rechtlichen Systems.

Die ARD, so Schlesinger, sehe sich in diesem Zusammenhang auch als verantwortungsvolle Arbeitgeberin. Die digitale Transformation bedeute die Veränderung von alten und die Etablierung von neuen Berufsbildern – „umfassend, massiv und unumkehrbar“. Gemeinsam mit dem ZDF habe man ein gemeinsames Streaming-Netzwerk auf den Weg gebracht. Qualitätsmedien seien dabei das „Gegengift zur Desinformation, zur toxischen Fakenews“.

Mit Blick auf die Beitragszahlenden setze die ARD auf einen schnelleren und direkteren Dialog, auf „verstetigte Beteiligung“. Dazu suche sie digital und analog das Gespräch über die relevanten gesellschaftlichen Fragen, aber auch über den Senderverbund selbst. Als Beispiele nannte Schlesinger die Formate „Hart, aber fair“, „Der MDR fragt“, das RBB-Format „Wir müssen reden“ und den Polit-Podcast der „News-WG“ des Bayerischen Rundfunks. „Beitragsfinanziert zu sein“, resümierte die ARD-Vorsitzende, „ist Privileg und Pflicht zugleich“.

Abbildung aller gesellschaftlichen Realitäten

Die digitale Transformation sei kein Selbstzweck, konstatierte Florian Kumb, Leiter der Hauptabteilung Programmplanung des ZDF. Sie sei vielmehr notwendig, um den neuen Anforderungen an die Sender Rechnung zu tragen. Dabei gehe es um die Erreichbarkeit und Aufbereitung der Inhalte, die „Abbildung aller gesellschaftlichen Realitäten“, aber auch um den „Anspruch an den nachhaltigen Umgang mit unseren Ressourcen, finanziell wie ökologisch“. Trotz eines Zwischenhochs während der Pandemie schrumpfe der lineare Markt, Zuwächse seien ausschließlich bei den über 70jährigen erkennbar. Bei den unter 30jährigen liege die lineare Nutzung inzwischen bei knapp unter 50 Prozent. Die weitere Entwicklung sei schwer vorhersehbar.

Kumb hob besonders fünf strategische Aspekte bei der Programmplanung des ZDF hervor. Man sei erstens auf dem Weg zu einem „datengestützten Haus“. Man müsse aber den „Einsatz von Big Data, von KI, von Algorithmik mit einem öffentlich-rechtlichen Impetus versehen“. Daraus seien „Content Communities“ entstanden, Gruppen, die unterschiedliche Bedürfnisse haben und daher unterschiedlich angesprochen werden müssen.

Dies erfordere zweitens eine höhere „Komplexität in der Distribution“. Will sagen: Man brauche mehr und neue Kontaktpunkte für die jeweiligen Inhalte. Der Medienstaatsvertrag liefere dafür die geeignete Grundlage: durch die vorgesehene Flexibilisierung sei es möglich, schneller auf die Veränderungen im Mediennutzungsverhalten zu reagieren. Die Kooperation mit der ARD im Streamingbereich sei ein „Meilenstein, um in der on-Demand-Nutzung eine größere Relevanz zu erreichen“.

Drittens sei mehr Innovationskraft in allen Bereichen nötig, von der Nachrichtenwelt bis zur Unterhaltung. Dabei gehe es darum, mehr Jüngere zu erreichen, aber auch Menschen unterschiedlicher Milieus. Dies geschehe gelegentlich auch mit Hilfe einer Einbindung des Publikums in Entwicklungsprozesse. Als Beispiel nannte Kumb die Konzeption einer im Osten (Halle) angesiedelten Serie, die die Probleme und Interessen von Menschen zwischen 30 und 40 in teilweise ländlich geprägten Regionen aufgreifen soll.

Viertens bedürfe es einer „aktiven, ganzheitlichen Diversitätssteuerung“, um substantielle Verbesserungen in diesem Bereich zu erzielen. Seit 2019 verfüge das ZDF über eine eigene Unternehmenscharta, seit 2021 habe der Sender in der Selbstverpflichtung gegenüber der Öffentlichkeit einzelne Ziele festgeschrieben. Trotz mancher Fortschritte gebe es noch Nachholbedarf: Zum Beispiel seien in der Branche gewohnheitsmäßig die meisten Off-Sprecher männlich, obwohl es dafür keinen logischen Grund gebe.  Im Bereich Regie habe man dagegen inzwischen fast schon eine Parität der Geschlechter erreicht.  Die erste Trans-Serie „Becoming Charlie“ sei zumindest digital recht erfolgreich.

Fünftens setze der Sender auf Nachhaltigkeit, also auf die spürbare Reduzierung des CO2-Fußabdrucks als integralen Bestandteil der Unternehmensstrategie. Der technologische Wandel biete Chancen für eine ressourcenschonende, effizientere Produktion. Dies erhöhe auch die eigene Glaubwürdigkeit und die Attraktivität als Arbeitgeber. Als Mitglied des 2017 gegründeten Arbeitskreises „Green Shooting“ strebe das ZDF an, bald 50 Prozent der eigenen Produktion grün zu gestalten.

Mehr Bürgerbeteiligung in öffentlich-rechtlichen Medien

Christine Horz-Ishak, Professorin für „Transkulturelle Medienkommunikation“ an der TU Köln lotete die Chancen für mehr Bürgerbeteiligung in den öffentlich-rechtlichen Medien aus. Diese sei schon deshalb sinnvoll, um dem von Teilen der konservativen und rechten Medien betriebenen „Bashing“ gegenüber den Öffentlich-Rechtlichen zu begegnen und die Akzeptanz zu erhöhen. Schon die Beteiligung der Zivilgesellschaft am öffentlichen Konsultationsverfahren beim Medienstaatsvertrag sei „wunderbar“ gewesen. Wichtig sei die Rolle der Rundfunkgremien: Sie spielten eine „Schlüsselrolle, weil sie eine Vermittlerfunktion einnehmen können zwischen den öffentlich-rechtlichen Medien und der Bevölkerung“.

Diese Funktion sei aber in der Vergangenheit nicht ausreichend genutzt worden. Medienpolitik und -regulierung, die so genannte Media Governance, solle sich möglichst nicht nur auf partikulare Gruppen beziehen, sondern die Bürger*innen als Individuen ansprechen. Wünschenswert sei eine „Verantwortungskultur“, die sich zwischen Medienpolitik, Anstalten und ihrem Publikum entfalte.

Staatssekretärin Heike Raab, Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und für Europa und Medien, skizzierte die sechsjährige Beratung der Rundfunkkommission bis zur Einigung auf den Entwurf eines neuen Medienstaatsvertrags. Jetzt starte das mehrstufige Ratifizierungsverfahren in den Länderparlamenten und die Beschlussfassung durch die Ministerpräsident*innen. Bis März 2023 hoffe man, „durch zu sein“. Auf Basis dieses Staatsvertrags könnten dann die öffentlich-rechtlichen Anstalten für die nächste Beitragsperiode ihren Finanzbedarf bei der KEF anmelden.

 

 

 

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