In einem Offenen Brief wenden sich deutsche Verlage, Redaktionen, Sender und Medienhäuser an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesaußenminister Heiko Maaß. Sie fordern, ein Visa-Notprogramm für afghanische Mitarbeiter*innen deutscher Medienhäuser. Nach dem Rückzug der internationalen Truppen werden „Racheakte der Taliban“ befürchtet.
„Wir sind der Überzeugung: Es gilt jetzt, keine Zeit mehr zu verlieren. Unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die das Land verlassen wollen, drohen Verfolgung, Verhaftung, Folter und der Tod“, heißt es in der Petition.
Und weiter: „Unsere Berichterstattung, die die deutsche Öffentlichkeit und Politik mit Analysen, Erkenntnissen und Eindrücken aus dem Land versorgt hat, war nicht denkbar ohne den Einsatz und den Mut der afghanischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die uns vor Ort unterstützt haben: den lokalen Journalistinnen und Journalisten, Stringern, Übersetzerinnen und Übersetzern.“ Ein außerordentliches Visa-Programm, wie die Bundesregierung es für die afghanischen Bundeswehr-Übersetzer geschaffen habe, werde auch für Mitarbeiter*innen deutscher Medienhäuser dringend benötigt.
Vergangene Woche erkannte die Biden-Administration nach ähnlichen Appellen der US-Medien die dramatisch gestiegene Gefahr an, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausländischer Medien ausgesetzt sind, und nahm sie in ihr Flüchtlings-Programm für Afghanistan auf. Die britische Regierung hat angedeutet, dass auch sie eine ähnliche Entscheidung vorbereitet.
Der Offene Brief ist eine gemeinsame Initiative von Arte, Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), „Der Spiegel“, Deutsche Welle, Deutschlandradio, „Die Zeit“, dpa, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, n-tv, Reporter ohne Grenzen, RTL, „Stern“, „Süddeutsche Zeitung“ und „taz“.
Fotograf Danish Siddiqui in Kandahar erschossen
„Allein in den vergangenen Wochen wurde der weltbekannte Fotograf Danish Siddiqui in Kandahar erschossen, starb eine Fernsehjournalistin in Kabul bei einem Bombenanschlag. Amdadullah Hamdard, der häufig für „Die Zeit“ gearbeitet hat, wurde vor seinem Haus in Dschalalabad erschossen. Dutzende Journalistinnen und Journalisten wurden in den vergangenen Jahren ermordet, von den Taliban, vom „Islamischen Staat“, von Unbekannten. Und fast nie hat die Regierung die Täter ermittelt. Es steht zu befürchten, dass solche Morde jetzt dramatisch zunehmen werden – und viele unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bedroht.
Internationalen Menschenrechtsorganisationen zufolge gibt es weltweit kaum ein Land, in dem Journalistinnen und Journalisten mittlerweile so gefährdet sind wie in Afghanistan“, berichtet Zeit Online.
Medien geschlossen – Journalisten auf der Flucht
Reporter ohne Grenzen (RSF) war Ende Juli noch für zehn Tage nach Afghanistan gereist, um Solidarität mit den Betroffenen auszudrücken und Vertreterinnen und Vertreter aus Medien und Politik ein Konzept für den Schutz von Medienschaffenden vorzustellen. Denn: „Die Taliban haben in den vergangenen Jahren immer wieder Anschläge verübt, bei denen Medienschaffende getötet wurden. Mit dem weiteren Vorrücken der Extremistengruppe drohen weitere Morde an Journalistinnen und Journalisten und gleichzeitig eine Unterversorgung der Bevölkerung mit Informationen“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr.
„Inzwischen mussten bereits mehr als 50 Medien – hauptsächlich lokale Radio- und Fernsehsender – in den von den Taliban kontrollierten Gebieten ihren Betrieb einstellen“, berichtete RSF am 14. August. Medien, die noch nicht schließen mussten, würden nur noch religiöse und von der Extremistengruppe vorgegebene Inhalte senden. Rund 100 Journalistinnen und Journalisten hätten ihren Arbeitsplatz verloren, da sie aus den von den Taliban besetzten Gebieten fliehen und in den großen Städten, insbesondere in der Hauptstadt Kabul, Zuflucht suchen mussten.
In Kabul hätten afghanische Journalistinnen und Journalisten, die ein Visum beantragen wollen, mehrere Botschaften aufgesucht. Viele Medienschaffende befürchteten, dass diejenigen, die für ausländische Medien gearbeitet haben, bevorzugt behandelt werden könnten. Schleusergruppen hätten inzwischen begonnen, ihre Preise zu erhöhen, so RSF.