Wie demokratisch gestaltet sich die Digitalisierung der Verbreitungswege?
Technische Innovationen hätten immer soziale Veränderungen nach sich gezogen, meinte ausgerechnet Informatikprofessor Herbert Kubicek. Streit darüber, wie sich die gesellschaftlichen Veränderungen im Fall der Digitalisierung der Rundfunkverbreitungswege vollziehen würden, hatte Moderatorin Sissy Pitzer versprochen. Und tatsächlich trug das kompetent, aber durchaus gemischt zusammengesetzte Podium kontroverse Positionen vor. Es vermittelte aber auch Gemeinsamkeiten.
Mit der landläufigen Vorstellung, dass besonders die privaten Anbieter die Digitalisierung der Verbreitungswege vorantrieben, räumte Ursula K. Adelt, Geschäftsführerin der Verbandes Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT), bereits in der Eröffnungsrunde auf. Sie verwies auf Aktivitäten der Bundesregierung vor dem Hintergrund der Frequenzökonomie. Kommerzielle Anbieter verbänden mit der Digitalisierung vor allem eine Reduzierung der Übertragungskosten und Ressourcen zur Schaffung von „Interaktivität als Mehrwert für den Konsumenten“. „Geringere Verbreitungskosten und mehr Programm“, bezeichnete auch Fritz Raff, Intendant des Saarländischen Rundfunks, als Chance der technischen Innovation. Während für einen analogen Satellitenkanal 6 Mio. Euro zu zahlen seien, koste ein digitaler nur 700.000. Zwar empfingen bisher national mehr als 90 Prozent der Zuschauer über Kabel und Satellit, doch, so Raff, die Kabelzukunft sei mehr als unsicher, weil der Deutschen Telekom einfach die Konzepte fehlten. Daraus könnten sich Chancen für das digitale terrestrische System ableiten, in dem kein Dritter zwischen Programmgestalter und Netzbetreiber den direkten Zugang behindert. Eine flächendeckende Nutzung könne daraus jedoch nicht abgeleitet werden. Vielmehr, so Prof. Dr. Herbert Kubicek (Uni Bremen), sei künftig von einer „Multi-Channel-Verbreitung“ auszugehen, für die technisch offene, einheitliche Standards geschaffen werden müssten. Auf ihrer Basis würden dann auch „Experimente mit Inhalten möglich“. Solche einheitlichen Plattformen müssten alle Programmformate, einschließlich Internet, abbilden. Kubicek prophezeite das Entstehen vielfältiger Nutzungsformen und gleichberechtigter Finanzierungswege, etwa durch Gebühren, Werbeeinnahmen, Abonnement oder Einzelentgelte für bestimmte Programme oder Sendungen.
Das spätestens hier in die Debatte geworfene Verschlüsselungsproblem griff zuerst Prof. Dr. Albrecht Ziemer, Technischer Direktor des ZDF, auf. Zwar verfolge man bei den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten einen „stringenten Weg“ und lehne die Verschlüsselung von Hauptprogrammen ab. Aber bei Programmteilen, wo Rechte erworben werden – wie bei der Sportberichterstattung – könne das „auch anders aussehen“. Den „Königsweg“ für den freien Zugang sah er in käuflichen Steckmodulen, mit denen sich der Konsument solche Programmteile frei schalten könne. Raff benannte den explodierenden Markt an Billig-Boxen ausschließlich für den Fernsehempfang als „besten Schutzwall gegen Verschlüsslung“. Niemals würden alle, die bereits eine solche Schmalspur-Box nutzten, eine hochwertige nachkaufen. Allerdings, widersprach Kubicek, sei die MHP-Qualitäts-Box Voraussetzung für interaktive und Multimediaanwendungen.
Digital gleich global?
Den ungehinderten Zugang zu den Massenmedien bezeichnete ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske als Grundrecht. Für Gewerkschaften gelte es im digitalen Zeitalter als besonders schützenswert. Schließlich ginge es um einen Bereich, der nicht in erster Linie als Wirtschaftsgut gesehen werden könne.
Neben den Chancen der neuen Verbreitungswege müssten deshalb auch Risiken gesehen und minimiert werden. Er nannte die Herausbildung vertikaler Machtstrukturen zwischen Hersteller, Veranstalter und Netzbetreiber, wie sie in Großbritannien und Italien bereits entstanden seien. Auch die Globalisierung, etwa die GATS-Verhandlungen der Welthandelsorganisation, stellten die Frage nach Regulierungsbedarf neu. Wie muss der Ordnungsrahmen gestaltet werden, welche gesellschaftlichen Kräfte könne man für die Probleme sensibilisieren, fragte der Gewerkschaftschef. Die Globalisierung mache keinen Halt vor dem Rundfunk, hielt ihm die VPRT-Geschäftsführerin entgegen. Selbst im Hörfunk, wo die Digitalisierung langsamer verlaufe, entstünden durch Konzentrationsdruck größere Einheiten. Ein jeder „Anbieter will seine eigene Welt aufmachen“, warnte Ziemer mit Blick auf die Kabelnetze. Um so dringender sei die Einhaltung von „must-carry-Regelungen“ für die öffentlich-rechtlichen Anstalten.
Einen nichtkommerziellen, quasi „öffentlich-rechtlichen Bereich“ wollte Kubicek nach der dualen Informationsordnung künftig im Internet vertreten sehen. Auch Ziemer leitete aus der Tatsache, dass heute bereits 40 Prozent aller bundesdeutschen Haushalte täglich im Schnitt 45 Minuten online sind, die „Legitimation für einen nichtkommerziellen Bereich“ im Internet ab. Raff versicherte, keinen „Naturschutzpark im Internet“ eröffnen zu wollen. Gleichzeitig betrachte er es aber als „Verschwendung von Gebührengeldern“, wenn nicht auch über Online-Angebote Medienkompetenz vermittelt werde, speziell an junge Leute. „Die ARD ist nicht die bessere Suchmaschine, sondern unser Mitbewerber“, konterte Ursula K. Adelt energisch. Sie akzeptiere das Recht auf freien Zugang zu den Medien, doch könne das „nicht gleichbedeutend mit dem kostenlosen Zugang zu allen Inhalten“ sein.
Die Forderungen nach einem offenen Markt und einheitlichen Standards verdienen hohe politische Aufmerksamkeit, betonte Albrecht Ziemer in der Schlussrunde. Mit der Digitalisierung entstünden andere Medienprinzipien und ein veränderter Medienkonsum. Doch, so SR-Intendant Fritz Raff, veränderte Verbreitungswege bestimmten noch keine neuen Inhalte.