Nicht weniger als digitale Weltspitze

Nicht fahrbereit
Marcus Gottfried/tooonpool.com

Viele medienpolitische Baustellen und Geschenke für Verleger

Am Ende hat sich die SPD-­Basis doch noch zu einem Ja für die nächste Große Koalition durchgerungen. CDU, CSU und SPD, die schon zuletzt gemeinsam regiert haben, können ihre medienpolitische Agenda also nahtlos fort­setzen – sofern es sie gibt. Was ist in Sachen Medienpolitik in den nächsten Jahren zu erwarten? M schaut auf die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag.

Breitbandausbau. „Leere Versprechen reloaded“, schimpfte Tabea Rößner, zuletzt medien- und nun netzpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, mit Blick auf die schwarz-roten Koalitionsvorhaben. „Zu viele der geplanten Projekte erinnern uns an leere Versprechen aus den vergangenen Legislatur­perioden, die niemals erfüllt wurden“, so Rößner. Vor allem beim Thema ­flächendeckender Breitbandausbau witterte sie nur „wohlfeile Stichworte und Versprechungen“. In der Tat schrecken die Koalitionäre auch nicht vor großen Ankündigungen zurück: „Wir gestalten den Weg in die Gigabit-Gesellschaft mit höchster Priorität“, heißt es im Koalitionsvertrag unter der Überschrift „An die Weltspitze im Bereich der digitalen Infrastruktur“. Dazu soll der flächendeckende Ausbau mit Gigabit-Netzen bis 2025 gehören genauso wie der Umstieg von der Kupfer- auf die Glasfasertechnologie. Unterversorgte ländliche Gebiete sollen systematisch angeschlossen werden. Vor allem aber: Ab 2025 soll jede Bürgerin und jeder Bürger einen Rechtsanspruch auf einen Breitbandanschluss haben. Ein leistungsfähiger Internetzugang würde damit zur Grundversorgung gehören, ein sogenannter Universaldienst werden, so wie das Recht auf einen Telefonanschluss und die Postzustellung. Tatsächlich wäre das ein Quantensprung. Grüne und Linke fordern das schon seit Jahren. Die FDP ist dagegen. Von der AfD weiß man nur, dass sie irgendwie auch für Breitband ist.

Gigabitinvestitionsfonds. Um die avisierten Kosten des Netzausbaus in Höhe von bis zu 12 Milliarden Euro zu stemmen, verspricht die künftige Regierung einen „Gigabitinvestitionsfonds“. Das Geld wird aber nicht allein vom Bund kommen, sondern über eine „gemeinsame Kraftanstrengung von Telekommuni­kationsanbietern und Staat“, heißt es im Koalitionsvertrag. Mit anderen Worten: Die Netzbetreiber sollen ihren finanziellen Beitrag leisten. Vor allem über die Versteigerung der Lizenzen für die 5G-Mobilfunkfrequenzen erhofft sich der Bund eine erkleckliche Summe, die er in den Breitbandausbau stecken will. Die Branchenverbände würdigen die Ambitionen der künftigen Regierung zwar alles als Schritte in die richtige Richtung, haben aber ihre Vorbehalte. Bitkom etwa beklagt, dass man den TK-Unternehmen durch die Einbeziehung in die Finanzierung jene Gelder entziehe, die sie für den Ausbau der 5G-Netze dringend benötigten. Der Bundesverband Digitale Wirtschaft sieht die geplanten Investitionen wiederum als viel zu niedrig an. Aus seiner Sicht würde der flächendeckende Glasfaserausbau statt 12 bis zu 80 Milliarden Euro kosten. Wo das Geld herkommen soll, sagt er wiederum nicht. Und eco, der Verband der Internetwirtschaft, wird gleich ganz grundsätzlich: „Dass wir im Jahr 2018 nun wieder ein Heimatministerium bekommen, aber nach wie vor kein Digitalministerium, ist aus unserer Sicht ein Armutszeugnis und spricht nicht unbedingt für die visionäre Strahlkraft der künftigen Bundesregierung“, so Oliver Süme, eco-Vorstandsvorsitzender.

Medienvielfalt. Ob mit oder ohne Digitalminister: Einige medienpolitische Baustellen, die die Regierungspartner abseits vom Breitband anpacken wollen, sind im Koalitionsvertrag klar benannt, die Lösungen leider oft weniger klar. Denn neben dem obligatorischen Bekenntnis zur Pressefreiheit, zur Vielfalt der Medien und zur dualen Medienordnung mit einem starken öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk bleibt vieles im Vagen. Gerade in Sachen Vielfaltssicherung, einer der drängendsten Fragen, hätte man deutlich Konkreteres erwarten müssen. Die letzten beiden Bundesregierungen sahen ihren Beitrag im Erhalt der Pressevielfalt vor allem darin, das Kartellrecht für Verlage zu lockern und ihnen somit Fusionen und Kooperationen zu erleichtern – entgegen massiver Kritik sowohl von ver.di als auch des Kartellamtes selbst. Nun zeigt sich, dass es offensichtlich an wirklichen Zukunftsideen fehlt, wie Medienvielfalt gesichert werden kann. Zwar wollen die Koalitionäre richtigerweise das Presse-Grosso sowie den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für Presseprodukte erhalten. Das allerdings ist die Sicherung des Status quo.

Finanzierungsmodelle. Ein wirklicher Schritt nach vorn wäre es beispielsweise, Print- und Digitalprodukte steuerlich endlich gleichzustellen. Warum zahlen Abonnentinnen und Abonnenten einer Zeitung auf die gedruckte Ausgabe nur 7 Prozent Mehrwertsteuer, auf die Digitalversion aber 19 Prozent? Und wie ist es zu rechtfertigen, dass ein Verlagshaus seine Printprodukte preiswerter verkaufen kann als ein journalistisches Angebot, das nur online scheint? ver.di fordert schon lange eine Gleichstellung. Auch die Verlegerverbände rufen verständ­licherweise danach. Mit einem Unterschied: ver.di will keine weiteren staatlichen Subventionen nach dem Gießkannenprinzip, von denen vor allem die großen und ohnehin rentablen Verlage profitieren. Vielmehr soll jede Förderung an die Einhaltung sozialer Standards geknüpft sein. Dazu gehört, dass Beschäftigte nach Tarifvertrag bezahlt werden und eine qualitätsgesicherte Ausbildung stattfindet. Immerhin: Die Koalition verpflichtet sich in ihrem Vertrag, neue Finanzierungsmodelle und weitere Fördermaßnahmen zu prüfen. Das ist dringend notwendig. Auf ein neuerliches üppiges Geschenk an die Verlegerlobby hätten CDU, CSU und SPD allerdings verzichten können und müssen. Die Verlegerverbände haben es tatsächlich geschafft, die künftige Regierung davon zu überzeugen, dass die Arbeitgeberbeiträge zur Rentenversicherung für Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller eine solche finanzielle Belastung darstellen, dass in Stadt und Land die Versorgung mit Zeitungen in Gefahr sei. Die Lösung: Die Beiträge der Verlage sollen für die nächsten Jahre von 15 auf 5 Prozent gesenkt werden. Wer auch immer für die Finanzierungslücke aufkommt, die Verlagshäuser werden es nicht sein.

Überwachung. Bleibt die Frage, wie es eigentlich um die Arbeitsbedingungen von Journalistinnen und Journalisten steht und was die Koalition dafür tun will. Der noblen Aussage „Eine freie Presse und freie Medien brauchen auch in Zukunft einen wirksamen Berufsgeheimnis- und Informantenschutz“ ist unumwunden zuzustimmen. Weitere Ausführungen? Fehlanzeige! Mehr noch: Mit der Verabschiedung des neuen BND-Gesetzes in der letzten Legislaturperiode haben die schwarz-roten Koalitionäre gerade nicht Partei für einen ernsthaften Schutz der journalistischen Arbeit ergriffen. Stattdessen haben sie die hochumstrittene Abhörpraxis des Bundesnachrichtendienstes gegenüber ausländischen und damit auch im Ausland befindlichen deutschen Journalistinnen und Journalisten in geltendes Recht gegossen. Grüne, FDP und Linkspartei sind davon überzeugt, dass das Gesetz verfassungswidrig ist. Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di hat Anfang des Jahres gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen und anderen Medien- und Bürgerrechtsverbänden Verfassungsbeschwerde eingelegt. (Siehe auch S. 11)

Bundespresseauskunftsrecht. Was die Auskunftsrechte von Medienschaffenden gegenüber Behörden und staatlichen Stellen anbelangt, wird wohl auch in Zukunft eine große Regelungslücke klaffen. Vor bereits 5 Jahren hatte das Bundesverwaltungsgericht geurteilt, dass die Auskunftsansprüche von Journalistinnen und Journalisten gegenüber Bundesbehörden nicht über die Landespressegesetze geltend gemacht werden können. Seither steht fest: Wer Auskunft von einer der über 100 Behörden des Bundes, darunter der BND, erhalten möchte, hat keinerlei rechtliche Handhabe. Journalistische Recherche ist damit abhängig von der Kulanz von Behördenleitern. Dass hier also Handlungsbedarf besteht, sah neben der dju selbst die SPD so. Noch unter Schwarz-Gelb hatte sie einen Gesetzentwurf für ein Bundespresseauskunftsrecht in den Bundestag eingebracht und war damit gescheitert. Vor der Bundestagswahl im September betonte Martin Dörmann, damaliger medienpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, gegenüber M noch einmal die Wichtigkeit einer gesetzlichen Regelung. Allein, es hat nichts gebracht. Vom Auskunftsrecht findet sich im neuen Koalitionsvertrag keine Spur.

Deutsche Welle. Ein wenig frohgemuter können die Beschäftigten der Deutschen Welle in die Zukunft blicken. Die künftige Koalition verspricht dem Auslandssender deutlich mehr Geld. Die Welle, aus dem Bundes­haushalt finanziert, hatte schon in der letzten Legislaturperiode eine ordentliche Finanzspritze erhalten. 2017 lag ihr Etat bei 326 Millionen Euro. Das kann sich sehen lassen, wenn man bedenkt, dass die Anstalt Mitte der 2000er Jahre noch mit 260 Millionen Euro auskommen musste. Ziel der Großen Koalition ist es zudem, das Budget auf das vergleichbarer europäischer Auslandssender anzuheben. Hierzu müsste sie allerdings noch eine ganze Schippe drauflegen: Der französische Auslandsrundfunk France Médias Monde / TV 5 Monde kann über einen Jahresetat von 389 Millionen Euro verfügen, die britische BBC World sogar über 523 Millionen Euro.

Der Koalitionsvertrag kann im Netz mit Fassung vom 7. Februar 2018 nachgelesen werden.

 

 

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