Noch effektiver, noch sparsamer

Peter Boudgoust, ARD-Vorsitzender und Intendant des SWR, zu den neuen Anforderungen an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

M | Die ARD war im Jahr 2008 erneut Marktführer mit einem Marktanteil von 13,4 Prozent. Zugleich trat am 1. Januar 2009 die Gebührenerhöhung um 95 Cent auf 17,98 Euro in Kraft. Keine schlechten Ausgangsvoraussetzungen für 2009, oder?

PETER BOUDGOUST | Die Erhöhungen liegen unter der allgemeinen Inflationsrate. Aber das soll kein Grund zur Klage sein. Wir haben zumindest eine stabile Grundlage, um auch weiterhin unseren Grundversorgungsauftrag zu erfüllen und die Menschen zu informieren, zu bilden und gut zu unterhalten.

M | Die Privatsender und die Großverlage müssen mit den Folgen der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise kämpfen. Sind die öffentlich-rechtlichen Anstalten mit ihrem garantierten Gebührenaufkommen ihnen gegenüber nicht äußerst privilegiert?

BOUDGOUST |
 Wir sind nicht privilegiert, sondern wir haben einen öffentlichen Auftrag. Um den zu erfüllen, müssen wir angemessen ausgestattet werden. Genau das geschieht durch die Gebührenfinanzierung. Im Übrigen erschließt sich mir nicht die Logik, dass – wenn es privaten Konkurrenten schlechter geht – es automatisch auch der öffentlich-rechtlichen Seite schlechter gehen muss, damit dann ein Gleichstand auf niedrigerem Niveau erzeugt wird.

M | Auch in der ARD wird gespart. Beim RBB zum Beispiel wurde zur Jahreswende wegen eines Haushaltsdefizits Radio Multikulti eingestellt, ein Programm mit explizitem Integrationscharakter. Ist das nicht ein Armutszeugnis für die ARD?

BOUDGOUST | Nein. Das zeigt zum ersten: die Finanzierung ist eben nicht so üppig, dass wir all das machen können, was wir gern wollten. Im Übrigen bedeutet das ja nicht, dass wir die Aufgabe der Integration vernachlässigen. Integration findet bei uns in sehr vielen Programmen statt, z.B. in der Vorabendserie „Türkisch für Anfänger“ und dem Radio-Angebot „Funkhaus Europa“. Wir kümmern uns um diese Themen in „Tatorten“, in Fernsehspielen, in sehr vielen unserer Talksendungen. Darin treten viele Migranten als Protagonisten auf. Das Thema Integration durchzieht wie ein roter Faden das Programm.

M | Sie haben unlängst eine stärkere Kooperation der einzelnen ARD-Landesrundfunkanstalten gefordert. Was schwebt Ihnen da vor?

BOUDGOUST | Wir merken, dass unsere finanziellen Kräfte – trotz der Gebührenfinanzierung – schwinden. Aus diesem Grund sind wir gut beraten, rechtzeitig zu überlegen, wie wir unser Programm noch effektiver, noch sparsamer veranstalten können. In der Kooperation liegt für mich ein wesentlicher Schlüssel. Wir haben uns bisher schon recht gut arbeitsteilig organisiert, aber das kann noch verbessert werden. Dabei soll die regionale Vielfalt der Landesrundfunkanstalten erhalten bleiben. Aber wir können beispielsweise bestimmte aufwändige Produktionen gemeinsam erstellen oder durch federführende Anstalten erstellen lassen und dann austauschen.

M | Sehen Sie nach den Debatten der letzten Jahre das Ende der gerätebezogenen Rundfunkgebühr in Sicht?

BOUDGOUST | Das ist für mich nicht zwingend. Die Weiterentwicklung des gerätebezogenen Gebührenansatzes ist für mich durchaus eine Variante. Aber es wird in der Tat auch über Alternativen diskutiert, zum Beispiel über die Haushaltsabgabe. Dafür ist aber die Politik zuständig. Wir sind ja nicht diejenigen, die das Gebührenrecht reformieren können oder wollen.

M | In Frankreich schafft die Sarkozy-Regierung gerade schrittweise die Werbung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ab. Sollte man – schon aus Gründen der Systemreinheit – nicht hierzulande diesem Schritt folgen?

BOUDGOUST | Systemreinheit ist für mich ein künstlicher Begriff, der hier zu Unrecht auf die Gebührenfinanzierung angewandt wird. Wir können unseren Grundversorgungsauftrag im öffentlich-rechtlichen Sinne auch mit einer partiellen Werbefinanzierung sehr gut erfüllen und haben das über Jahrzehnte unter Beweis gestellt. Im Übrigen zeigt das Beispiel Frankreich sehr deutlich, dass dort ja die Werbefinanzierung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk entfallen ist, um ihn zu schwächen und umgekehrt die privaten Konkurrenten zu stärken. Zudem führt diese Maßnahme auch in Frankreich zu einer Belastung der Gebührenzahler.

M | Die EU-Kommission hat in der neuen TV-Richtlinie die Bestimmungen über Produktplatzierung liberalisiert. Auch bei uns wird diese gerade im 13. Rundfunkänderungsstaatsvertrag fixiert. Werden Sie demnächst alte „Marienhof“-Folgen wieder auflegen?

BOUDGOUST | Es gibt eine klare Beschlusslage. Wir werden Product Placement in unseren Programmen nicht veranstalten und nicht dulden. Was Sie ansprechen, sind vereinzelte Fehler, die in der Vergangenheit gemacht wurden. Wir haben sie abgestellt und klargestellt, dass diese sich niemals wiederholen dürfen.

M | Kernstück des 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrags, der gerade umgesetzt wird, ist der Drei-Stufen-Test, den alle bisherigen und neuen Online-Angebote durchlaufen müssen. Ist die ARD auf dieses „bürokratische Prüfungsmonster“ – wie Sie den Test mal genannt haben – vorbereitet?

BOUDGOUST | Das ist ein schwieriges Unterfangen. Wir müssen sehr viel Kraft und Geld investieren, den Test, den ja die Gremien durchführen, vorzubereiten. Aber ich bin zuversichtlich, dass das klappen wird. Ich werde ein Koordinierungsgremium aller Landesrundfunkanstalten leiten, das dem Ziel dient, die Drei-Stufen-Tests mit gleichen Standards zu vollziehen.

M | Der Staatsvertrag sieht eine Frist bis zum 31. August 2010 vor. Ist die Aufgabe in diesem Zeitraum zu bewältigen?

BOUDGOUST | Das ist eine sehr ehrgeizige Vorgabe, die uns entsprechend unter Druck setzt. Aber wir werden natürlich alles daran setzen, um sie zu erfüllen.

M | Nicht jedermann hält es für eine glückliche Idee, dass dieser Drei-Stufen-Test senderintern, also von den Rundfunkgremien der einzelnen Sender durchgeführt werden soll. Sind die Räte dafür überhaupt qualifiziert?

BOUDGOUST | Natürlich sind sie qualifiziert. Wenn das gelegentlich von interessierter Seite in Zweifel gezogen wird, ist das eine demagogische Verkehrung der Tatsachen. Die Gremien haben sich immer als Aufsichtsgremien verstanden und ich habe sie auch immer als solche empfunden. Da nun irgendeine Interessenidentität hinein zu konstruieren, hat nichts mit der Realität zu tun.

M | Aber wäre nicht eine einheitliche Prüfung durch ein externes Expertengremium sinnvoller, analog etwa zur Gebührenermittlung durch die KEF oder zur Konzentrationskontrolle durch das Bundeskartellamt?

BOUDGOUST | Ich finde, wir sind mit der pluralen Kontrolle durch die Vertreter der Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren sehr gut gefahren. Das ist ein zutiefst demokratisches Element, das man nicht ohne Not aufgeben sollte. Dass hier etwas reformbedürftig sei, ist eine Behauptung, die durch nichts belegt werden kann.

M | Kritiker neigen eher zu Skepsis. Den Drei-Stufen-Test, der von den Gremien Ihrer Anstalt, des Südwestrundfunks, bei der Einführung der ARD-Mediathek durchgeführt wurde, qualifizierten Beobachter als Farce …

BOUDGOUST | Das zeigt, wie verzerrt diese Wahrnehmung ist. Bisher haben wir noch nicht einmal eine gesetzliche Grundlage für einen Drei-Stufen-Test gehabt. Was wir bei der Mediathek ausprobiert haben, war ein prototypisches Verfahren, um einmal auszuloten, wie es gehen könnte. Und es ist schon böswillig, das im Nachhinein Kriterien zuzuschreiben, die damals noch gar nicht galten.

M | Die Zeitungsgruppe Thüringen (WAZ), will mit dem MDR im Online-Bereich kooperieren. In NRW arbeitet die WAZ bereits seit dem vergangenen Jahr mit dem WDR. Auch Sie gelten als Freund solcher Online-Kooperationen. Was spricht eigentlich dafür?

BOUDGOUST | Es geht um den Qualitätsjournalismus. Sowohl Zeitungen als auch Rundfunk-Anstalten müssen den Schritt in die digitale Zukunft machen. Das stellt uns vor ähnliche Probleme. Wir sind konfrontiert mit einem stark veränderten Mediennutzungsverhalten der jungen Generation. Und gerade, wenn es um das gemeinsame Anliegen des Qualitätsjournalismus geht, sind wir gut beraten, uns gegenseitig zu unterstützen und miteinander zu kooperieren statt uns gegenseitig als Gegner zu betrachten und zu behandeln.

M | Wie definieren Sie den zentralen Public Value des ARD-Programms?

BOUDGOUST | Ich denke, dass das öffentlich-rechtliche Programm sich sehr deutlich von jedem kommerziellen Programmangebot unterscheidet. Wir bieten ein außerordentlich hohes Maß an tagesaktueller Information. Wir haben zwei politische Talksendungen regelmäßig jede Woche. Wir machen mit den Politik-Magazinen zweimal in der Woche insgesamt eine Stunde investigativen Journalismus. Wir zeigen Hintergrundberichte über das Geschehen im Ausland. Unsere Fernsehspiele greifen durchweg relevante gesellschaftliche Themen auf, zuletzt bravourös mit „Mogadischu“. Ein Film der auch von vielen externen Kritikern als das TV-Ereignis des Jahres 2008 bezeichnet wurde. Diese Tradition werden wir auch 2009 fortsetzen: mit den Buddenbrooks, dem Baader-Meinhof-Komplex, der Verfilmung von Marcel Reich-Ranickis Autobiografie.

M | Gilt die Ununterscheidbarkeit von der kommerziellen Konkurrenz für alle Programmsegmente, etwa auch für die Unterhaltung? Manche von den Privaten abgekupferte Formate wie etwa die Bruce-Darnell-Show sind doch immer wieder Wasser auf die Mühlen von Anhängern der Konvergenztheorie.

BOUDGOUST | Auch uns unterlaufen gelegentlich Fehler. Bruce Darnell war sicherlich ein solcher. Man sollte aber singuläre Fehlentscheidungen nicht überinterpretieren. Unser Unterhaltungsangebot ist sehr deutlich unterscheidbar und grenzt sich ab von den Erzeugnissen der privaten Konkurrenz. Bei uns hat in der Unterhaltung Zynismus keinen Platz, wie man ihn in privaten Formaten à la „Deutschland sucht den Superstar“ antrifft. Wir machen Formate wie etwa den „Wissenstest“ oder „Die große Show der Naturwunder“, lauter Dinge, die relevante Themen in unterhaltsamer Form verpacken und damit auch große Publikumserfolge erzielen.

M | Das große Pfund der ARD ist sicher Ihre Informationskompetenz. Bei der Berichterstattung über die aktuelle Finanzkrise haben sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Flotte Börsen-News, so monieren manche, ersetzen keine wirtschaftspolitische Hintergrundberichterstattung. Ist diese Kritik gerechtfertigt?

BOUDGOUST | Prophetische Gaben haben wir in der Tat nicht. Aber die hat auch niemand von unseren Kritikern bewiesen. Gerade unsere wirtschaftspolitische Berichterstattung hat zu Recht viel Lob erfahren. Und die journalistische Aufbereitung der Finanzkrise ist uns doch insgesamt sehr gut gelungen.

M | Den öffentlich-rechtlichen Anstalten läuft seit Jahren das jugendliche Publikum davon. Wie wollen Sie den so genannten Generationenabriss in der Zuschauerschaft aufhalten?

BOUDGOUST | Das jugendliche Publikum läuft uns nicht durchweg davon. Wir erreichen immer wieder, gerade auch mit Unterhaltungsangeboten, aber auch mit dem Sport jüngere Menschen. Aber wir müssen verstärkte Anstrengungen unternehmen, weil sich das Mediennutzungsverhalten junger Menschen ändert. Für viele ist der Computer, der Laptop mittlerweile viel wichtiger als der Fernseher oder auch das Radio. Darum müssen wir mit digitalen Angeboten die jungen Menschen dort erreichen, wo sie Unterhaltung, aber eben auch Informationen sehen und hören wollen.

M | Welche informationspolitischen Schwerpunkte wird die ARD im Superwahljahr 2009 setzen?

BOUDGOUST | Natürlich werden wir sehr intensiv über die Wahlen dieses Jahres berichten. Wir werden aber die ebenso wichtigen Gedenktage und -jahre angemessen begehen, zum Beispiel „60 Jahre Bundesrepublik“ und „20 Jahre Mauerfall“ mit Dokumentationen wie etwa „Mein Deutschland“ und „Damals in der DDR“. Die Themenwoche ist dem„Ehrenamt“, dem ehrenamtlichen Engagement gewidmet. In solchen Fragen besitzen die öffentlich-rechtlichen Sender ein Alleinstellungsmerkmal.

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