Quote mit den drei K’s

Die Auslandsberichterstattung der öffentlich-rechtlichen Anstalten ist in jüngerer Zeit in die Kritik geraten. Gescholten werden unter anderem zu geringe oder ungünstige Sendezeiten für Auslandsstücke, die Konzentration auf die drei K´s: Krise, Krieg und Katastrophen, ein zunehmender Aktualitätsdruck, bei dem nicht selten die Relevanz der Information auf der Strecke bleibt sowie eine kontraproduktive Agenturgläubigkeit der Heimatredaktionen.

Das Fernsehen als Leitmedium, daran dürfte kaum ein Zweifel bestehen, spielt eine entscheidende Rolle bei der Herausbildung unseres Weltbildes. Dies gilt ganz besonders für die Auslandsberichterstattung. Was ARD und ZDF über die Verhältnisse auf dem Planeten senden, prägt maßgeblich die Wahrnehmung der Welt durch die Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung. Die Leistungen der Privatsender dürfen in diesem Kontext getrost vernachlässigt werden. Sie haben sich längst aus der Berichterstattung über das Ausland verabschiedet, regen sich allenfalls dann, wenn ein Tsunami eine ferne Küste heimsucht, Paris Hilton sich auf Reisen begibt oder ein Urlaubsflieger abstürzt. Das entspricht der wirtschaftlichen Logik. Schließlich handelt es sich bei politischer Publizistik, so analysiert Medienwissenschaftler Hans-Jürgen Weiß vom Institut für Publizistik an der FU Berlin, um „das einzige Programmsegment, das gegen den Markt platziert werden muss“. Denn Ausland ist kostspielig und hat es beim Publikum schwerer als – sagen wir einmal – TV-Serien oder Volksmusik.
Spätestens seit dem spektakulären Abgang von Ulrich Tilgner als ZDF-Nahostkorrespondent und Leiter des ZDF-Büros in Teheran ist auch in den öffentlich-rechtlichen Anstalten eine heftige Debatte über das Selbstverständnis der Auslandsberichterstattung entbrannt.
Tilgners Kritik entzündet sich vor allem an der nach seiner Auffassung zu starken „Regierungstreue“ mancher deutscher Medien bei der Berichterstattung aus Krisenregionen wie etwa Afghanistan. „Die Probleme vor Ort werden häufig aus einem sehr engen Blickwinkel gesehen, weil viele Kollegen zu oft mit Hilfe deutscher Truppen und nicht alleine unterwegs sind“, sagte Tilgner Anfang Februar dem „Evangelischen Pressedienst“ (epd). Ähnlich wie beim so genannten embedded journalism von Kriegsberichterstattern führe dies zu einer verzerrten Weltsicht. Redaktionen, die ihre Leute dahin schicken, so der Ex-ZDF-Mann, hätten „eine andere Wahrnehmung (…) als ihre langjährigen Korrespondenten vor Ort, die andernorts recherchieren“.

Häufig einseitiges Bild

Diese These vertritt auch der freie Journalist und Ex-Deutschlandfunk-Redakteur Martin Gerner, der seit 2004 in Afghanistan in der Journalistenausbildung und als Medienberater tätig ist. Die Berichterstattung über Afghanistan zeichne „ein grobschnittiges, häufig einseitiges, stereotypes, nicht selten falsches und weitgehend auf militärische Themen konzentriertes Bild über Land, Menschen und Zusammenhänge“, schrieb er unlängst in einem Beitrag für die Fachzeitschrift Message. Bei den von der Bundeswehr für feste und freie Journalisten organisierten meist einwöchigen Freiflügen nach Afghanistan liefen die Medienvertreter regelmäßig Gefahr, „zum Rädchen der militärischen Propaganda zu werden“. Das von Politik und Bundeswehr gepriesene „deutsche Modell“ der zivil-militärischen Zusammenarbeit werde insgesamt „kaum hinterfragt. Themen wie die angeblich relativ hohe Suizidrate von Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan oder eine nüchterne Kosten-Nutzen-Bilanz des bundesdeutschen Engagements in Afghanistan kämen nicht zum Zuge. Eher schon ein Stück wie die BR-Dokumentation „Leberkäs für Kabul“, in dem zur Demonstration des „patriotisch-stimulierenden Effekts bajuwarischer Fleischerkunst“ die Lieferung von mehr als 200 Kilogramm Leberkäse von Deutschland ins Feldlager der Bundeswehr nach Mazar-i-Sharif gezeigt wurde. Gerner: „Eine naiv-deutschtümelnde Form der Berichterstattung“.
Ein Beitrag wie dieser darf dann – wie geschehen – auch schon mal zur Prime Time im Ersten ausgestrahlt werden. Von solch privilegierten Sendezeiten können Auslandskorrespondenten meist nur träumen. So werden TV-Dokus zu Auslandsthemen ins Mitternachtsghetto abgedrängt. Falls sie nicht gleich auf dem ARD/ZDF-Spartenkanal Phoenix stattfinden. Der Quote ist eine solche Programmpolitik begreiflicherweise nicht zuträglich, was die Senderhierarchen immer mal wieder über das Zeitgemäße der Auslandsberichterstattung an sich philosophieren lässt.
Tatsächlich befinden sich die Zuschauerzahlen auch für die beiden wichtigsten Auslandsmagazine des deutschen Fernsehens seit Jahren im Sinkflug: Lockten der ARD-„Weltspiegel“ und das ZDF-„auslandsjournal“ 1985 noch über 12 Millionen Zuschauer vor die Mattscheibe, so ist diese Zahl mittlerweile auf knapp fünf Millionen gesunken. Vermutlich sind die Ursachen für das nachlassende Interesse des Publikums vielschichtig. Beim „auslandsjournal“ dürfte dafür nicht zuletzt die Verschiebung des Sendertermins von 21:15 Uhr auf einen wesentlich späteren Zeitpunkt verantwortlich sein. In der ARD zumindest hält man am Sonntags-Stammplatz des „Weltspiegel“ vor der Hauptausgabe der „Tagesschau“ fest. Die desaströsen Erfahrungen, die beim lieblosen Umgang mit den „Tagesthemen“ gemacht wurden, sollten Programmplanern eine Warnung sein. Belohnt wird diese Treue mit einer Zuschauerzahl von stabil rund drei Millionen und einem beachtlichen Marktanteil von etwa zehn Prozent.

Weiße Flecken

An Eigenlob spart das Erste nicht. „In Zeiten eines zunehmenden Häppchen-Journalismus setzt die ARD auf Seriosität. Ihr Korrespondentennetz ist das größte weltweit. (…) Weiße Flecken auf der Landkarte gibt es nicht“ – so stellt sich die ARD in einem internen Profil dar.
Zweifel an dieser allzu selbstgerechten Betrachtung äußerte unlängst der WDR-Rundfunkrat. In einer Mitte April vom Rat einstimmig verabschiedeten Resolution zur Auslandsberichterstattung heißt es, trotz der „beachtlichen auswärtigen Infrastruktur und des personellen Aufwands“ ergäben sich „bei näherer Betrachtung erhebliche ‚weiße Flecken’ auf der Weltkarte der Auslandsberichterstattung.“ Auslandsthemen in deutschen Nachrichtensendungen beschränkten sich „fast ausschließlich auf Kerneuropa, USA, Russland, Nahost und Afghanistan“. Den Vorwurf eines gewissen „Eurozentrismus“ stützt auch ein unlängst publiziertes Handbuch (Oliver Hahn, Julia Lönnendonker, Roland Schröder (Hg.) Deutsche Auslandskorrespondenten, erschienen bei UVK, Konstanz 2008), in dem ein eher geringes oder nur sehr punktuell auf bestimmte Krisenereignisse beschränktes Interesse der Heimatredaktionen an bestimmte Berichterstattungsgebieten festgehalten wird. Genannt werden Skandinavien, der australisch-pazifische Raum, Japan, Südasien und Südostasien, Lateinamerika und Afrika. Also in etwa die halbe Welt.
Mag sein, dass solide Auslandsberichterstattung im Vergleich zu anderen Systemen ein Alleinstellungsmerkmal des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist. Doch selbst innerhalb der ARD mehren sich Stimmen, die grundsätzlich Kritik an einer zunehmenden Verflachung und Beliebigkeit dieser Berichterstattung üben. Einer der profiliertesten Mahner ist Thomas Morawski, Auslandsreporter des Bayerischen Rundfunks und ARD-Sonderkorrespondent. Ausland, so eine seiner Thesen, werde zwar mehr, Auslandsinformation dagegen eher weniger. „Die hohe Schlagzahl ständig fortgeschriebener Nachrichten gaukelt Hintergründe und tiefgehende Information vor. Dabei ist es nur Masse“, klagte Morawski im vergangenen Herbst auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing. Ausland werde immer bunter, Reisemagazine lägen im Trend, „ein Kessel Buntes statt Hintergrundinformation“. Der Trend im Ausland gehe zu den drei K’s: Krise, Krieg und Katastrophe. Aber die Orientierung am vermeintlichen Massengeschmack berge Risiken. „Krise, Krieg und Katastrophe bedienen Voyeurismus, die Sucht nach dem Negativen, mit der man immer Quote macht. Alle wollen Krisen sehen und tun es auch, aber dann wird es dem Publikum irgendwann zu negativ.“ Was dann wieder zum Quotenknick führt.
Morawski warnt daher vor einer Fixierung auf den üblichen „konfliktorientierten Journalismus“, sieht Auslandskorrespondenten aber hier auch in einem Dilemma: Wer als Macher so genannte „Positiv-Storys“ abliefere, also solche, „die die Kultur, Land und Leute ins Programm nehmen, die etwas bewegen, ohne Promis zu sein, die etwas zum Besseren wenden wollen“, der gelte schnell als naiv. „Alltagsgeschichten haben es schwer in der Zeit von Krieg und Krisen“, resümiert auch Jörg Armbruster seine Erfahrungen als langjähriger Nahostkorrespondent der ARD, „ dabei kann man gerade mit ihnen oft genug mehr vermitteln über die vielen Gesichter und die bunte Verschiedenartigkeit des Nahen Ostens als mit Schlachtengemälden und Krisenszenarios.“ (vgl. Interview S.10).
Die „Heute-Spezials“ und ARD-„Brennpunkte“ setzen jedoch genau auf die Signalwirkung der drei K’s, egal ob es sich um einen Politikerrücktritt, den Kaukasuskrieg oder einen Flugzeugabsturz in Madrid handelt. Immerhin: Als sich Anfang August der Konflikt um die georgische Region Südossetien zuspitzte, entschieden sich sowohl ARD als auch ZDF erst nach einigen Tagen für entsprechende Sondersendungen. Der Grund für das Abwarten lag weniger in der geringen Quotenträchtigkeit des Ereignisses als in der unzureichenden Faktenlage. Von dem üblichen Schnellschuss mit einer Live-Schalte zum Korrespondenten plus routinierter Befragung eines eilends herbei geschafften Experten wurde ausnahmsweise abgesehen.

Seltsame Blüten

Der Aktualitätsdruck – ausgelöst eher durch den Wettbewerb der Sender untereinander als durch den Informationshunger des Zuschauers – treibt gelegentlich seltsame Blüten. Jörg Armbruster schildert einen Fall, bei dem er 2005 aus Kairo in den frühen Morgenstunden in einer Live-Schalte für die „Tagesschau“ nahezu völlig unvorbereitet über einen Terroranschlag zu berichten hatte, der sich unmittelbar vorher ereignet hatte. Mit den bis dahin vorliegenden spärlichen Informationen für diesen Auftritt des „Reporters vor Ort“ hatte ihn die Tagesschau-Redaktion zuvor selbst versorgt. Ein „einmaliger Fall“ in sechs Jahren Korrespondententätigkeit, relativiert Armbruster. Aber dass immer wieder mal vor der Kamera inszeniert wird, dürfte so selten nicht vorkommen. Natürlich widerspricht ein solches Verfahren dem berufsethischen Prinzip seriöser Berichterstattung. Doch die Versuchung der Sender, die hohen Auslandskosten auf solche fragwürdige Weise zu „amortisieren“, erscheint groß. In Zukunft ist daher tendenziell eher mit einer Zunahme solcher Vorgänge zu rechnen, fürchtet auch BR-Mann Thomas Morawski: „Ist schon einmal jemand vor Ort, werden Sondersendungen aus der Taufe gehoben, Regelsendungen schmücken sich mit Live-Schaltungen zum eigenen (!) Korrespondenten, gleich in welcher Rolle, ob als Experte oder einfach als Mensch vor Ort, als Quasi-Augenzeuge.“
Im Rattenrennen um die schnellste Meldung oder Geschichte vertrauen die Heimatredaktionen den Nachrichtenagenturen offenbar häufig mehr als ihren eigenen Leuten vor Ort. Selbst recherchierte Themen haben es schwer, solange nicht Agenturen entsprechende Sachverhalte bestätigen. Ex-ZDF-Mann Tilgner berichtet von Fällen, wo er selbst Agenturen mit Informationen „fütterte“, um bei seinen Redaktionen Themen durchzuboxen. Seine Erfahrung: Sobald erstmal etwas im Agenturticker auftauchte, riefen die Redaktionen bald von sich aus bei ihm an.

Mehr Hintergrundinformationen

Die Klagen vieler betroffener Kollegen über die beschriebenen Fehlentwicklungen zeigen erste politische Wirkungen. In der bereits erwähnten Resolution des WDR-Rundfunkrats werden „vermehrte Maßnahmen zur Sensibilisierung in den Heimatredaktionen“ empfohlen. Diese könnten „dazu beitragen, sich weniger von den vier K’s leiten zu lassen (als viertes K nennt der Rat das Thema „Krankheiten“, d. Red.), sondern mehr Hintergrundinformationen und Berichte über das normale Leben von Land und Leuten zu berücksichtigen“. Hinterfragt werden solle auch „die oft sehr eurozentrische Sichtweise“, die den „Blick auf die Belange vor Ort verstellen“ könne. Zur „Verdichtung der ‚weißen Flecken’, so eine weitere Empfehlung, sollten verstärkt Reisekorrespondenten/innen eingesetzt werden, vorrangig in derzeit unterversorgten Regionen wie Südamerika und Teilen Asiens. Schließlich regt der Rat an, Auslandsthemen auch in Sendungen wie dem „Presseclub“ des Ersten Programms oder bei „Anne Will“ häufiger aufzugreifen. Auch müsse die Methode, hoch gelobte Auslandsdokumentationen „in Randsendezeiten zu verbannen“, überdacht werden. Denn: „Sie schließt das Erreichen einer achtbaren Quote weitgehend aus.“
Eine Kritik, die ARD-Sonderkorrespondent Thomas Morawski teilt. Es sei „nur eine Frage der Zeit“, so seine eher pessimistische Prognose, „wann sich der erhebliche Kostenaufwand von Auslandsberichterstattung mit mangelnden Quoten auseinanderzusetzen hat“.

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