Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht zunehmend unter Druck, europaweit. In der Schweiz wollte die „No Billag“-Volksabstimmung die Rundfunkgebühren kippen, in Österreich wirft der Vizekanzler dem ORF einseitige Berichterstattung vor, und in Deutschland wettert vor allem die AfD gegen ARD und ZDF. Was geschieht da gerade und wie lässt sich gegenhalten? Das wurde gestern bei einem medienpolitischen Workshop von ver.di beim NDR in Hamburg diskutiert.
„Es war nur ein Sieg auf Zeit“, kommentierte Ladina Heimgartner, die stellvertretende Generaldirektorin der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG), das Ergebnis der Volksabstimmung zu „No Billag“ auf dem ver.di-Workshop „Öffentlich-rechtlicher Rundfunk europaweit unter Beschuss – gemeinsam und offensiv verteidigen!“. Wir erinnern uns: Nach einer intensiven öffentlichen Debatte, auch bei uns, hatten die Schweizerinnen und Schweizer im März 2018 überraschend deutlich mit fast 72 Prozent für den Erhalt ihres Schweizer Rundfunks gestimmt. Dabei sah es zu Beginn der Kampagne ganz anders aus: In der ersten Umfrage Ende 2017 gab es eine knappe Mehrheit für die Abschaffung der Rundfunkgebühren – ein Schockmoment und „Wake-up-Call“, wie Heimgartner es nannte, für die SRG‘ler. Denn plötzlich mussten sie feststellen, dass sie zwar gute Einschaltquoten nachweisen konnten, aber doch irgendwie an ihrem Publikum vorbeikommuniziert hatten, dieses gar nicht wusste, wofür die SRG eigentlich steht, was sie alles leistet.
Der Schock zeitigte Wirkung. Die SRG begann, den Menschen deutlich zu machen, was auf dem Spiel steht, wenn die Rundfunkgebühren gekippt würden. Filmschaffende produzierten auf eigene Faust Spots für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die zeigten, dass es sich dabei um einen wesentlichen Pfeiler der Gesellschaft, einen Beitrag zum Gemeinwohl handelt. An die 300 Vereine und Organisationen bezogen Stellung für die SRG. Der Fokus auf die Werte, für die der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht, war es laut Heimgartner, der den Ausschlag für den Erfolg gab.
„Public Value“ ins Zentrum stellen, nicht das Programm
Den Mehrwert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Gesellschaft stellt auch der Österreichische Rundfunk (ORF) ins Zentrum seiner Bemühungen, erläuterte Konrad Mitschka vom Public Value Kompetenzzentrum des ORF und Arbeitnehmervertreter im Sender. Denn der Ton ist auch in Österreich rauer geworden: Die konservative ÖVP regiert mit der rechtspopulistischen FPÖ. Dessen Parteivorsitzender und Vizekanzler Heinz-Christian Strache prangert den Sender immer wieder öffentlich an, wirft ihm Parteinahme vor. Ein Volksbegehren sammelte 320.000 Unterschriften gegen die „Zwangsgebühren“. „Hier hilft nur gegenhalten und in den Dialog mit dem Publikum treten“, so Mitschka. „Und genau das tun wir, über Faktenblätter, Publikumsgespräche und -befragungen.“ Mit Public Value Lectures an den Universitäten soll zudem verstärkt der Nachwuchs, die künftigen Meinungsführer_innen, erreicht werden.
Miteinander reden – das forderte auch Barbara Thomaß, Professorin für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum und Mitglied im ZDF-Verwaltungsrat. Eine tendenziöse Berichterstattung über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sei keinesfalls neu, wohl aber hätte sich der Diskurs massiv verschoben. Früher sei der öffentliche Rundfunk trotz aller Kritik als fester Bestandteil unserer Gesellschaft betrachtet worden, heute sei seine Abschaffung im Bereich des Sagbaren angekommen, etwa bei den AfD-Anhänger_innen. „Wo ist die starke gesellschaftliche Allianz für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk?“, fragte Thomaß dann auch mit Nachdruck. Das von ver.di und DGB Mitte dieses Jahres initiierte Bündnis zum Erhalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sei ein wichtiger Schritt gewesen, aber nicht ausreichend. Denn: „Ein Angriff auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist ein Angriff auf die Demokratie“, so Thomaß. „Daraus lässt sich aber auch der Umkehrschluss ziehen: Wer den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verteidigt, verteidigt auch die Demokratie.“
Bündnisse schmieden – mit Publikum und Zivilgesellschaft
Der beste Rückhalt sei der aus dem Publikum, so Björn Wilhelm, Leiter des Programmbereichs NDR Fernsehen und Koordination. In einer breiten Kampagne stelle die ARD deshalb ihren Wert für die Beitragszahler_innen ins Zentrum der Kommunikation. Aus dem bekannten Claim „Wir sind eins“ ist „Wir sind deins“ geworden. Und auch NDR-Intendant Lutz Marmor gab zu: „Wir müssen mehr erklären, wie wir arbeiten und wer wir sind.“ Dem Publikum müsse deutlich werden, dass die ARD Angebote für alle macht, unabhängig von Alter oder Herkunft. Das Programm müsse zudem vielfältig sein. „Dazu gehört auch die Unterhaltung, weil sie Menschen verbindet. Wir dürfen kein Elitefernsehen sein“, so Marmor. Eine besondere Funktion komme dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch weiterhin beim Dialog von Ost und West in Deutschland zu. „Es macht mir große Sorge, dass sich offensichtlich viele Menschen in Ostdeutschland vor allem in den nationalen ARD-Angeboten nicht hinreichend wiederfinden. Hier hat der Norddeutsche Rundfunk als Ost-West-Sender eine besondere Aufgabe und gleichzeitig eine besondere Chance“, sagt er. Auch deshalb werde das Thema 30 Jahre Mauerfall 2019 im NDR ein großer Schwerpunkt sein – mit besonderem Engagement des Landesfunkhauses Mecklenburg-Vorpommern.
Ob die Politik dabei uneingeschränkt auf der Seite der Sender steht, wurde auf der abschließenden Podiumsdiskussion erörtert. Cornelia Haß, Leiterin des Bereichs Publizistik und Medien in ver.di, forderte von den Ländern ein stärkeres Bekenntnis, anstatt sich von der AfD treiben zu lassen, etwa bei der Frage einer stabilen Finanzierung. Jana Schiedek, Staatsrätin der Behörde für Kultur und Medien in Hamburg, betonte dabei, dass Hamburg uneingeschränkt hinter dem NDR stehe. In der Rundfunkkommission beobachte sie aber, dass es vor allem die ostdeutschen Länder sind, die immer wieder die Befürchtung äußerten, in ihren Parlamenten keine Mehrheiten mehr für Beitragserhöhungen zu bekommen. Auch um dem etwas entgegenzusetzen, warb Haß für schlagkräftige Bündnisse: „Wir müssen den Dialog breiter machen und gezielt Gruppen ansprechen, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegenüber aufgeschlossen sind wie zum Beispiel der Chaos Computer Club. Das heißt aber auch, dass wir ihnen zuhören und offen sein müssen für deren Vorstellungen eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Auch wenn sie vielleicht nicht konventionell sein möge.“