M sprach mit der Vorsitzenden des NDR-Rundfunkrates Sandra Goldschmidt
M | Sandra, Du bist auf dem DGB-Ticket Rundfunkratsmitglied und derzeit Rundfunkratsvorsitzende des NDR – der keine unkomplizierte Anstalt ist. Wie arbeitet der Rundfunkrat?
Sandra Goldschmidt | Zunächst einmal ist der NDR-Rundfunkrat ein relativ großes Gremium. Wir sind 58 Mitglieder, weil vier Bundesländer diese Anstalt bilden und im Staatsvertrag sehr genau festgelegt ist, aus welchem Bundesland wie viele Rundfunkratsmitglieder kommen, nämlich je 11 aus den Landesrundfunkräten von Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg sowie 25 aus Niedersachsen. Die sind sehr bunt zusammengewürfelt, nach gesellschaftlich relevanten Gruppen, die im Staatsvertrag festgelegt sind, so wie der DGB, dessen Sitz ich im Rundfunkrat Hamburg wahrnehme.
Was sind die Aufgaben des Rundfunkrats?
Auch die Aufgaben sind im Staatsvertrag strikt festgelegt: Wir sind dafür zuständig, im Nachhinein das Programm zu beurteilen: Wie hat es generell ausgesehen und entspricht es den Aufgaben aus dem Staatsvertrag, nämlich, dass es vielfältig und demokratisch ist, die Meinungsvielfalt abbildet, den Bildungsauftrag erfüllt oder den Unterhaltungsauftrag. Wir können und sollen den Intendanten dazu auch beraten, aber die Intendanz legt hohen Wert darauf, dass das Haus entscheidet, was gesendet wird. Wir können nur anmahnen. Das gilt auch für einen etwaigen Mangel an gewerkschaftlichen Themen im Programm.
Wir sind auch für externe Beschwerden über das Programm zuständig und behandeln diese in den entsprechenden Arbeitsausschüssen, unter anderem im Programmausschuss. Der gibt durchaus auch Anregungen für zukünftige Programmgestaltung. Wo es um finanzwirksame Entscheidungen geht, ist ohnehin nicht der Rundfunkrat gefragt, sondern der Verwaltungsrat, der die wirtschaftliche Aufsicht führt.
Wie oft tagt der Rundfunkrat?
Alle sechs bis acht Wochen in der großen Runde. Dazu kommen die Sitzungen der Landesrundfunkräte zeitversetzt dazwischen, bei denen es um die Landesprogramme und Landesfunkhäuser geht.
Wie groß ist der Zeitaufwand für Dich? Du hast den Vorsitz, den Landesrundfunkrat, den Gesamtrundfunkrat und noch einen Fachausschuss, den Du besuchen musst.
Er ist erheblich. Das hängt auch damit zusammen, dass in meine Vorsitzendenzeit die Skandale beim RBB und auch hier im Haus gefallen sind. Das hat uns viele Sondersitzungen, Klausuren und auch ein hohes Beschwerdeaufkommen beschert. Zum Glück ist es inzwischen etwas ruhiger geworden. Außerdem gebe ich den Vorsitz demnächst turnusgemäß ab. Jeder Landesrundfunkrat stellt pro Wahlperiode 15 Monate lang den Vorsitz, dann wird rotiert. Wirklich ausgerechnet habe ich es nie, aber ich würde schätzen, dass mich dieses Mandat pro Woche schon zirka zehn Stunden beschäftigt.
Das ist nicht wenig, vor allem, wenn man nebenbei noch die schönste Gewerkschaft der Welt mitleiten soll. Auch andere Rundfunkräte haben herausfordernde Hauptberufe. Die meisten sind in Führungs- und Leitungsfunktionen. Wenn man sich das Tableau Rat für Rätin durchguckt, findet man nur ungefähr eine Handvoll Menschen aus „normalen“ Berufen. Es dominieren Volkswirte und Juristen. Kann das repräsentativ sein? Und unabhängig davon: Kann man überhaupt ein Rundfunkratsmandat neben dem Hauptberuf ausfüllen?
Diese Frage ist ja schon in der Debatte um die Skandale aufgetaucht. Viele Menschen haben sie beim Beschwerdeausschuss gestellt: Inwieweit ist so ein ehrenamtlicher Rundfunkrat überhaupt in der Lage, den Sender im Sinne der Hörer zu beaufsichtigen oder sollte man das Gremium eher professionell ausrichten? Der Rundfunkrat soll die Vielfalt der Gesellschaft abbilden und ist deshalb aus vielen gesellschaftlichen Interessengruppen zusammengesetzt, Das würde verlorengehen, wenn es kein Ehrenamt mehr ist, dem Rundfunkrat anzugehören. Dabei brauchen wir eigentlich noch mehr Vielfalt im Gremium, nicht nur bei den Berufen und der sozialen Herkunft, sondern auch in der Altersstruktur, bei der Repräsentation von Migrant*innen und vielem mehr. Da ist die eigentliche Aufgabe, um einen zukunftsfähigen Rundfunkrat zu schaffen.
In den angedachten Reformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geht es oft darum, dass die Rundfunkräte noch mehr kontrollieren, ja sogar auf Augenhöhe die Sender mitführen sollen. Wie kann man die Rundfunkräte in die Lage versetzen, dies zu tun?
Es ist eine Frage, wieviel Ressourcen zur Verfügung stehen. Wir – und auch alle anderen Rundfunkräte – haben so genannte Gremienbüros, die vom jeweiligen Sender finanziert werden. Diese Büros müssen entsprechend ausgestattet sein, damit sie die Rundfunkräte jederzeit in die Lage versetzen können, gute Entscheidungen zu treffen.
Dennoch ist es ja so, dass ehrenamtliche Rundfunkrät*innen, die vielleicht vier Stunden pro Woche für diese Tätigkeit aufwenden können, im Sender einem Apparat gegenübersitzen, der 24 Stunden am Tag nichts anderes macht. Wie lässt sich da Augenhöhe herstellen?
Wir können unsere Kontrollfunktion nur stichprobenartig wahrnehmen. Niemand kann ständig das ganze Programm anhören, ansehen und beurteilen. Und dann kommt es darauf an, selbstbewusst aufzutreten, kritische Fragen zu stellen und sich nicht für dumm verkaufen zu lassen.
Demnächst soll es neben den vielen Rundfunk- und Verwaltungsräten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch noch einen Zukunftsrat geben, der an der Gestaltung des gesamten öffentlich-rechtlichen Sendersystems mitwirken soll. Der NDR-Rundfunkrat hat an dieser Idee Kritik geäußert. Warum?
Rundfunkräte sollen die Interessen der Allgemeinheit bei der Programmgestaltung vertreten. Sehr viel der aktuellen Debatte um den Medienänderungsstaatsvertrag geht aber genau um Programmfragen, etwa: Wieviel Unterhaltung und welche Art der Unterhaltung darf öffentlich-rechtlicher Rundfunk senden, oder sollte Unterhaltung ganz ausgeklammert und den privaten überlassen werden, während die öffentlich-Rechtlichen Sender nur noch Bildung und Information machen dürfen? Da ist der Staatsvertrag zum Glück eindeutig und stellt auch Unterhaltung weiter in den Rundfunkauftrag. Aber die Debatten darüber sollten die Gremien führen, die die Hörer*innen und Zuschauer*innen vertreten und kein willkürlich zusammengesetzter Expertenzirkel, dem auch noch verhältnismäßig viele Vertreter*innen der privaten Medienwirtschaft angehören. Die Politik darf sich mit der Einsetzung des Expertenrats nicht aus der Verantwortung ziehen! Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein Allgemeingut und deshalb sollte auch allgemein – in der Gesellschaft, in den Parlamenten und in den Rundfunkräten – diskutiert werden, was man vom Rundfunk erwartet.
Wenn die Frage sein soll, was alles vom Rundfunk erwartet wird, ist es dann zielführend, von der Beitragshöhe her zu denken?
Nein, überhaupt nicht. Ich kann die Diskussion verstehen: Wenn wir einen verpflichtenden Beitrag von den Bürger*innen erheben, müssen sie sich diesen auch leisten können und wir müssen auch verantwortlich damit umgehen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk leistet viel für seine Beiträge: Eine vielfältige, unabhängige Berichterstattung etwa, bei der nicht beispielsweise der Verlagsvorstand anordnet, irgendeine Partei hochzuschreiben; oder Unterhaltung, die auch einem Bildungsauftrag folgt. Auch die Regionalität des Systems ist ein hohes Gut. Aus anderen Ländern höre ich immer wieder, dass wir mit diesem System nach dem zweiten Weltkrieg ein wertvolles Geschenk erhalten haben. Das müssen wir wertschätzen und pflegen!
Die Ausspielwege des Programms ändern sich radikal. Das lineare Programm verliert an Bedeutung, digitale und individualisierte Nutzung nimmt zu. Wo siehst Du die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?
Es stimmt, dass mittlerweile sehr viele Zuschauer*innen und Hörer*innen das Programm digital nutzen. Ich gehöre selbst dazu. Andererseits haben wir noch sehr viele Rezipient*innen, die das lineare Angebot nutzen. Die kann man nicht einfach ignorieren. Ein gut gestaltetes lineares Programm bietet auch Vorteile: Man kann damit Zuschauer*innen für Themen und Sendungen interessieren, auf die sie von allein oder über die App-Nutzung nicht gekommen wären. Wir müssen darauf achten, dass die digitalen Angebote dieses vielfältige Angebot auch darstellen und nicht zu Themenblasen werden. Gleichzeitig müssen wir noch lange ein gutes lineares Programm vorhalten – und das ohne Beitragserhöhungen zu leisten, ist die Quadratur des Kreises und unsere große Herausforderung!
Sandra Goldschmidt
ist Leiterin des ver.di-Landesbezirks Hamburg und derzeit Vorsitzende des NDR-Rundfunksrats.
Die gelernte Fotografin und spätere Internet-Projektmanagerin kam 2002 über das Projekt connexx.av zu ver.di. Im Laufe der Jahre war sie persönliche Referentin von Frank Bsirske, Fachbereichsleiterin Sozialversicherungen im Landesbezirk Niedersachsen-Bremen und bereits stellvertretende Landesbezirksleiterin in Hamburg. Außer im NDR-Rundfunkrat nimmt Sandra auch Gewerkschaftsmandate im Aufsichtsrat der Hamburger Sparkasse und im Verwaltungsrat Medizinischer Dienst Bund wahr.
Foto: Lars Hansen