Urheberrecht zum Anfassen

Nach Jahren des Stillstands müssen nationale und europäische Gesetzgeber handeln

Von Frank Werneke | Aktuelle Aktivitäten und Ankündigungen lassen hoffen, dass das Jahr 2016 ein gutes Jahr für Kreativschaffende und Verbraucher werden wird. Sowohl national als auch auf europäischer Ebene zeichnen sich Regelungen zum Vorteil der Urheberinnen und Urheber sowie ausübenden Künstler ab.

Frank Werneke, stellvertretender ver.di- Vorsitzender und Bundesfachbereichsleiter Medien, Kunst und Industrie Foto: Stefanie Herbst

Klarere Verantwortlichkeiten sind auch im Sinne der Endverbraucherinnen und Endverbraucher. Nach Jahren des Stillstandes ist es Zeit, das abstrakte Rechtsgebiet des Urheberrechts in die Hand zu nehmen!

Urheberrechte sind Eigentumsrechte. Als solche sind sie schwer zu begreifen, weil sie schlicht nicht greifbar sind. Dass es Unrecht ist, ein Nachrichtenmagazin vom Kiosk oder eine Musik-CD aus einem Elektronik-Markt mitzunehmen, ohne zu bezahlen, empfinden wir alle. Unser Unrechtsbewusstsein bezieht sich dabei jedoch eher auf das Magazin bzw. auf die CD. Dass gleichzeitig Texte oder Musik „geklaut“ werden, ist abstrakt – aber Tatsache. Die Hülle, der Träger oder jede andere Form der Verkörperung ist es, die das Recht (be)greifbar macht. Das deutsche Urheberrecht ist als gesetzliche Bestimmung des Inhaltes und der Begrenzungen des Urheberrechts als geistiges Eigentum so ausgestaltet, dass der Endverbraucher bzw. die -verbraucherin möglichst wenig (rechtliche) Berührungspunkte mit dieser abstrakten Rechtsmaterie hat. Geregelt wird das Rechtsverhältnis zwischen Urheber_in und Verwerter_in. Die Endverbraucher_innen bezahlen den Urheber oder die Urheberin beim Entgelt mit.

Verhandlungen auf Augenhöhe

Die klassischen Verwerter bemühen die Rechte der Kreativen gerne, um ihre Preise und ihren eigenen Wert für die Kultur zu rechtfertigen. Weil es jedoch zu selten auch für eine monetäre Wertschätzung der Kreativen langt, hat der Gesetzgeber 2002 den Grundsatz der angemessenen Vergütung ins Urheberrecht aufgenommen. Um die Angemessenheit branchenintern definieren zu lassen, hat der Gesetzgeber den Gewerkschaften und Urheberverbänden auf der einen und den Verwerter und ihren Verbänden auf der anderen Seite mit dem Mittel gemeinsamer Vergütungsregeln ein Regelwerk zur Seite gestellt. Dies war und bleibt ein intelligenter Zug, denn niemand ist besser geeignet einen Maßstab aufzustellen, als die Beteiligten selbst. Allerdings sind jedoch große Teile der Verwerter ihrer Zusage, solche Maßstäbe freiwillig aufzustellen, nicht gefolgt. Weil selbstständige Kreative faktisch, ihre Rechte schwerlich per Streik erreichen können, brauchen wir als ihre Gewerkschaft andere Mittel, die die Verwerter an den Verhandlungstisch bringen. Erst ein gesetzlicher Ausgleich des strukturellen Ungleichgewichts zwischen freien Kreativen und Verwertern ermöglicht Verhandlungen auf Augenhöhe und damit Vertragsfreiheit auch für Urheberinnen und Urheber sowie ausübende Künstlerinnen und Künstler.
Motivationshilfen für die Verwerterseite lässt der im Oktober 2015 veröffentlichte Referentenentwurf zum Urhebervertragsrecht erwarten. Mit den dort vorgesehenen Mitteln sollen die 2002 eingeführten Grundsätze weiter gestärkt, vor allem aber durchsetzbar werden. Insbesondere die Einführung eines Rückrufsrecht von Nutzungsrechten nach Ablauf von fünf Jahren soll und wird die bisher unwilligen Verwerter dazu motivieren, endlich konstruktive und ergebnisorientierte Verhandlungen zu kollektivrechtlichen Regelungen über Höhe und Ausgestaltung angemessener Vergütungen zu führen. Denn diese Regelung kann – wie auch alle anderen vorgehaltenen Bestimmungen – durch Tarifvertrag und/oder gemeinsame Vergütungsregel branchenspezifisch ausgestaltet werden. Wir bemühen uns seit 2002 um sachgerechte und branchenspezifische Regeln für die Ermittlung angemessener Vergütungen. Es ist höchste Zeit, dass die Verwerter motiviert werden. Aus eigenem Antrieb haben sie sich bisher (bis auf wenige Ausnahmen) nicht um Brancheneinvernehmen bemüht.

Verantwortung für Inhalte im Netz

Die Digitalisierung ist nach der Entwicklung des Buchdrucks die zweite technische Revolution mit enormen Auswirkungen für die Medien- und Kulturbranche. Um den Entwicklungen besser Rechnung tragen zu können, arbeitet das deutsche Justizministerium neben dem Urhebervertragsrecht an Plänen zu einem Urheberrecht im digitalen Zeitalter. Auch auf europäischer Ebene bemüht sich der Gesetzgeber nach mehr als einem Jahrzehnt Stillstand um neue Regelungen mit Bezug zum Urheberrecht. Um vorwiegend außereuropäischen Internetgiganten etwas entgegensetzen zu können, schicken sich Europäische Kommission und Europaparlament gleichermaßen an, Regeln für einen digitalen Binnenmarkt zu schaffen. Verbunden mit dem Prinzip „Wer sich an diese Regeln dann nicht hält, fliegt raus!“, will EU-Kommissar Günther Oettinger für Regulierung sorgen.
Zugangsanbietern und Plattformbetreibern soll Verantwortung für Inhalte zugeteilt werden. Piraterie soll bekämpft werden. Regeln zu Links stehen auf dem Prüfstand. Vorderstes Ziel scheint zu sein, den großen Plattformbetreibern durchsetzbare Regeln aufzuerlegen um sicherzustellen, dass die Rechteinhaber etwas von dem riesigen Kuchen abbekommen, der bisher außerhalb Europas aus den datengestützten Werbeerlösen gebacken wird. Gleichzeitig sollen die Verbraucherinnen und Verbraucher in ihrem Handeln rechtlich abgesichert werden. Für all das sind europäische Regelungen sinnvoll; rein nationale greifen bei Internetbezug zu kurz.

Starke und durchsetzbare Urheberrechte

Wir als ver.di fordern eine digitale Dividende. Der Bereich, in dem das am dringlichsten umzusetzen ist, ist der Medien- und Kulturbereich. Musik, Filme und Lektüre: der Konsum von Inhalten – und damit in der Regel von urheberrechtlich geschützten Werken – ist in den letzten Jahren massiv gestiegen. Wo es eine hohe Nachfrage gibt, da wird ordentliches Geld verdient. Das folgt aus den Grundsätzen des Marktgleichgewichts. Ein wesentliches Problem der massenhaften Nutzung von Werken von und auf Plattformen ist jedoch, dass das Geld bisher nicht bei denen ankommt, die das Angebot erstellen bzw. ermöglichen, sondern dass das Meiste von denjenigen abgeschöpft wird, die die Inhalte transportieren bzw. vermitteln und bei denen, die die technische Infrastruktur anbieten.
Wir fordern deswegen vom nationalen wie vom europäischen Gesetzgeber: starke und durchsetzbare Urheberrechte, Beteiligungsansprüche der Urheberinnen und Urheber sowie der ausübenden Künstlerinnen und Künstler an sämtlichen wirtschaftlichen Vorteilen, die aus der Nutzung ihrer Werke resultieren, urhebervertragsrechtliche Regelungen, die die strukturelle Unterlegenheit der Kreativen gegenüber kommerziellen Nutzern wirksam ausgleichen sowie rechtssichere Regeln für Verbraucherinnen und Verbraucher, die für den Werkgenuss eine geldwerte Gegenleistung erbringen.

Wenn die Gesetzgeber das Urheberrecht als Recht der Kreativen begreifen und es entsprechend anfassen, dann wird 2016 ein gutes Jahr für Urheberinnen und Urheber sowie ausübende Künstlerinnen und Künstler. Es wurde lang genug gewartet. Packen wir es an!

Frank Werneke,
stellvertretender ver.di-Vorsitzender und Bundesfachbereichsleiter Medien, Kunst und Industrie

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