Seit dem Skandal im RBB steht der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) verstärkt unter Druck. Auch aus anderen ARD-Anstalten kommen beunruhigende Meldungen, die die Akzeptanz der Sender beeinträchtigen könnten. Fast schon trotzig klang vor diesem Hintergrund der Titel der Veranstaltung „Öffentlich-rechtliche Medien: Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft“, die auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung am 30. August in Berlin stattfand.
Moderatorin und Medienwissenschaftlerin Mandy Tröger legte vor: Der RBB-Skandal werde von interessierter Seite instrumentalisiert – zur Attacke auf die Grundlagen des Systems. Einige forderten die Abschaffung der Rundfunkräte, andere wie CDU-Chef Friedrich Merz stellten die gesamte Legitimationsgrundlage des ÖRR infrage.
Heike Raab, Medienstaatssekretärin Rheinland-Pfalz und Co-Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder, ging kaum darauf ein. Für sie kommt es darauf an, die Demokratie weiter zu entwickeln sowie Pluralismus und Vielfalt im Sinne der Medienfreiheit zu sichern. Der ÖRR als kompliziertes föderales Gebilde müsse ständig diskutiert und erneuert werden. Die Novelle des Medienstaatsvertrags, die derzeit in den Länderparlamenten beraten werde, habe mehrere Kernelemente: Auftrag des ÖRR in der digitalen Welt, die Flexibilisierung des Programms, die „Stärkung der Gremien als Stimme der Gesellschaft und als Parlamente der Anstalten“, nicht zuletzt den Dialog mit dem Publikum. Die breite Online-Konsultation von November 2021 bis Januar 2022 habe rund 2.600 Rückmeldungen ergeben, davon nur 70 aus Organisationen und Verbänden, der große Rest „aus der Mitte der Gesellschaft“. Einen Überarbeitungsbedarf des Staatsvertragsentwurfs angesichts der Vorgänge im RBB sieht Raab nicht. Sie sieht die Novelle sehr „up-to-date“.
Ganz so losgelöst von den aktuellen Verwerfungen in der ARD mochte Jürgen Betz, Mitglied in der Historischen Kommission der ARD und bis 2017 Juristischer Direktor des Hessischen Rundfunks, nicht diskutieren. Er sieht einen „immensen Reformbedarf“ im Senderverbund, auch wenn er die durch den RBB-Skandal losgetretene Kampagne für „deutlich überzogen“ hält. Er übte konkrete Programmkritik.
Dass die ARD während der Sommervakanz ihrer Talk-Show-Stars Will, Maischberger und Plasberg lieber eine Doppelration Krimi programmiere als eine anspruchsvolle Dokumentation zu zeigen, findet er mehr als unbefriedigend. Stattdessen halte sie an der üblichen Praxis fest, anspruchsvolle Dokumentationen ins Mitternachtsghetto zu verbannen. Auch das Korrespondentennetz des Senderverbundes werde viel zu selten genutzt. Vor diesem Hintergrund empfahl Betz der ARD, ihren Programmauftrag noch einmal „grundlegend zu überdenken“: mehr Information, mehr Hintergrundberichte, mehr Dokumentation.
„Programmkritik gehört zum Alltag“
Wie wird mit Kritik umgegangen, wo landen Programmbeschwerden von Zuschauer*innen? Zunächst mal hoffentlich bei den Redaktionen, erwiderte Andreas Meyer-Lauber, Ex- Vorsitzender des WDR-Rundfunkrates. In Nordrhein-Westfalen seien die Programmbeschwerden früher bei der Staatskanzlei gelandet. Aktuell sei laut WDR-Gesetz der Rundfunkrat dafür verantwortlich. Im Fall der „Oma, die im Hühnerstall Motorrad fährt“ (gemeint ist das umstrittene Kinderlied über eine Oma als „Umweltsau“), habe der Rat plötzlich 6.800 solcher Beschwerden bekommen.
Programmkritik gehöre zum normalen Alltag und werde in den ARD-Anstalten vom jeweiligen Programmausschuss erörtert. Auch beispielhafte Reformen wie die Entwicklung des Jugendprogramms „funk“ und spezielle Programme für Migranten schreibt Meyer-Lauber der Initiative der Rundfunkräte gut.
Jahrelang habe der WDR-Rundfunkrat dafür gestritten, dass die Zahl der werktäglichen Talkshows in der ARD reduziert werde – am Ende mit Erfolg. Angesichts des wachsenden Problemdrucks in der Gesellschaft plädierte Meyer-Lauber für regelmäßige Townhall-Meetings in allen größeren Städten, bei denen unter Leitung der Sender Politiker*innen und Bürger über essentielle Fragen wie Pandemie, Ukraine-Krieg, Energie- und Klimakrise diskutieren.
Die Anstalten als Moderatoren zwischen Politik und Bevölkerung? Heike Raab vermisst innerhalb des öffentlich-rechtlichen Systems geeignete Kommunikationskanäle, in denen die fast 2.600 Bürgereingaben zum Medienstaatsvertrag angemessen aufgegriffen werden können. Die Anliegen der Bürger*innen seien vielfältig. Da gebe es Meinungen zur Krimi-Inflation, zum Stellenwert des Dokumentarischen, zum Mangel an jungen Programmen, aber auch Lob zum Wechsel von Böhmermanns „Neo Magazin Royale“ ins ZDF-Hauptprogramm. Kritik werde geübt am Gendern oder am „Haltungsjournalismus“ in einzelnen Formaten – auch das laut Raab Einwände, „die man erst nehmen muss“.
Trotz positiver Grundsatzurteile des Bundesverfassungsgerichts zur bedarfsgerechten Rundfunkfinanzierung werde es künftig – auch aufgrund der aktuellen Inflation – noch wichtiger, die Bedeutung des Rundfunkbeitrags zu erklären. Sonst laufe der öffentlich-rechtliche Rundfunk Gefahr, an Akzeptanz in der Bevölkerung einzubüßen. Darüber hinaus sei eine ständige Erneuerung der Gremien erforderlich, etwa eine Verjüngung oder eine Anpassung der Zusammensetzung entlang der veränderten gesellschaftlichen Relevanz einzelner Gruppen. Konkret verwies Raab beispielhaft auf die laut ZDF-Staatsvertrag vorgesehenen Vertreter aus den Bereichen „Inklusive Gesellschaft“, ehrenamtlicher ziviler Katastrophenschutz, und LGBTQ. Dies sei jedoch nicht in allen elf Anstalten gleichermaßen umgesetzt.
Hans-Ulrich Wagner vom Leibniz-Institut für Medienforschung, hatte eingangs in seinem Impulsvortrag eine „Zeitreise“ durch die Entwicklungsetappen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geliefert: von seiner Gründungsetappe unter Aufsicht der westlichen Alliierten über die Grundsatzurteile des Bundesverfassungsgericht zur Medienfreiheit bis hin zur „eindeutig westdeutsch“ orientierten Transformation des DDR-Rundfunks nach der Wende.
Ein konzentriertes Repetitorium, aber: Etwas mehr Kontroverse hätte der Veranstaltung gutgetan. Zu einer schonungslosen Debatte über die aktuell wachsende Legitimationskrise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kam es an diesem Nachmittag nicht. Kein Wunder, handelte es sich bei den Panel-Teilnehmer*innen ausschließlich um überzeugte Anhänger*innen des Systems. Schließlich, so Medienstaatssekretärin Heike Raab, gehe es nicht darum, „einen bestimmten Skandal aufzunehmen, sondern wir wollen das System klug mit der Gesellschaft weiterentwickeln“. Was aber, wenn „die“ Gesellschaft sich diesen Rundfunk demnächst so nicht mehr leisten will?