Bewusste Irritation und Störfaktoren

„Wild, elegant und vor allem einzigartig“ – so soll die neue werktäglich gedruckte „tageszeitung“ (taz) künftig aussehen. Zum 2. Oktober gönnt sich das Blatt ein neues Design und ein verändertes Seitenkonzept. Von Zeitungskrise keine Rede: Für den laufenden „Umstrukturierungsprozess“ der Printmedien sieht sich die taz gut gerüstet.

Es ist der erste Relaunch seit 2009. Seither hatte der Verlag vor allem in die Wochenendausgabe und den digitalen Auftritt investiert. „Unsere Werktagsausgabe ist unser Klassiker, unser Urprodukt, unsere Namensgeberin“, sagte Chefredakteur Georg Löwisch bei der Präsentation im taz-Rohbau nahe dem Checkpoint Charlie in Berlin. Zum 30. Juni 2018 ziehen Verlag und Redaktion um, von der Rudi-Dutschke-Straße in den nicht weit entfernten Neubau in der Friedrichstraße.

„Ist Spanien noch zu retten?“ – so die Schlagzeile der ersten „neuen“ taz-Ausgabe vom 2./3. Oktober. Auffälligkeiten der Titelseite: Ein neuer Schriftzug, das Logo ragt in den Montag bzw. in die Datumzeile hinein. Das Reportagefoto von den Auseinandersetzungen beim umstrittenen Katalonien-Referendum rückt bis an den Rand, „natürlich nur an den linken“ wie Löwisch augenzwinkernd anmerkt. Seite Eins ist die Visitenkarte der Redaktion, ein Spiegel ihrer Stärken – gemeint sind „Idee, Optik und Aufmacherzeile“. Dazu kämen Meinungsstärke, die analytische Schärfe des Leitartikels, die unverändert „rebellische Haltung“ sowie der spezifische taz-Humor.

Auch im Innenteil wurde reichlich herumgeschraubt. Auf Seite 2 werden in der Rubrik „taz sachen“ Details aus dem Innenleben der Redaktion berichtet. Neu ist die Doppelseite „Nahaufnahme“. Zum Start widmet sich eine Kombination aus Reportage und Chronik ausführlich dem Thema „Ehe für alle“. Das schon vor einiger Zeit etwas eingedampfte Ressort „Flimmern und Rauschen“ heißt künftig schlicht „Medien“. Die werktägliche Sportseite bleibt weiterhin beim originelleren Titel „Leibesübungen“. Zeitgleich wurden auch das E-Paper sowie die taz-App überarbeitet. In neuer Gestalt zeigt sich vom 7. Oktober an ebenfalls die „taz am Wochenende“.

„Wir wollen dem Spielerischen wieder mehr Raum geben“, begründet Löwisch die umfangreichen Veränderungen. Nach Jahren der Konsolidierung setze die Zeitung jetzt bewusst auf Irritation und Störfaktoren, „um das Wilde aus den Anfangsjahren zurückzuerobern“, allerdings „ohne chaotisch zu sein“. Die verkaufte Auflage lag – mit leicht fallender Tendenz – im 2. Quartal 2017 werktags unter Einschluss der E-Paper bei knapp 48.400 Exemplaren. Von der Wochenend-taz wurden zuletzt knapp 63.000 Exemplare abgesetzt.

Ökonomisch sieht der Verlag optimistisch in die Zukunft. Mit rund 17.000 Mitgliedern verfügt die taz-Genossenschaft längst über eine solide Grundlage. 2016 erwirtschaftete die taz-Gruppe einen Umsatz von gut 27,3 Millionen Euro. Das entspricht einem Plus von 3,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im Ergebnis bedeutet das zugleich eine „schwarze Null“. Anzeigenerlöse spielten bei der taz nie eine relevante Rolle. Umso erfreuter zeigt sich Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch über die Zusatzeinnahmen durch das freiwillige Bezahlmodell für die digitale taz. Unter dem Motto „taz.zahl-ich“ kamen durch regelmäßige Beiträge sporadischer Leser im vergangenen Jahr immerhin 608.000 Euro in die Kasse.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Komplett-Verweigerung der Rundfunkpolitik

Nachdem die Ministerpräsident*innen am heutigen Donnerstag zur Rundfunkpolitik beraten haben, zeichnet sich ein düsteres Bild für die öffentlich-rechtlichen Medien, ihre Angebote und die dort Beschäftigten ab. Beschlossen haben die Ministerpräsident*innen eine Auftrags- und Strukturreform und einen ab 2027 geltenden neuer Mechanismus zur Festsetzung des Rundfunkbeitrags. Nicht verabschiedet wurde jedoch der fällige Rundfunkbeitragsstaatsvertrag.
mehr »

Gendergerechtigkeit per KI überprüfen

Ein Gender-Analyse-Tool der Technischen Universität München zeigt, wie Frauen medial ausgeklammert werden. Das Ziel vom  Gender Equality Tech Tool – GETT  ist es, die Sichtbarkeit von Frauen in der Berichterstattung bewusst zu fördern. Mit GETT kann über eine Kombination aus klassischen Algorithmen und Open-Source-KI-Modellen nachgeprüft werden, wie oft Frauen im Vergleich zu Männern in den Medien genannt und wie sie dargestellt werden.
mehr »

Gewalt an Frauen bleibt Leerstelle

Gewalt gegen Frauen ist in Deutschland alltäglich. Und nicht nur in Politik und Justiz besteht großer Nachholbedarf im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt: Auch die journalistische Praxis zeigt deutliche Schwächen und erhebliche Leerstellen. Der aktuelle Trendreport der Otto Brenner Stiftung nimmt die Jahre 2020 bis 2022 in den Blick und stellt fest: Gewalt gegen Frauen wird isoliert dargestellt, ohne strukturelle Ursachen und Präventionsmöglichkeiten zu thematisieren. Das betrifft besonders deutsche Täter. Die Perspektive der Opfer bleibt unterbelichtet.
mehr »

Gewalt gegen Medienschaffende

Eine erneut alarmierende Bilanz zieht die internationale Organisation Reporters Sans Frontiers (RSF), die weltweit Angriffe und Gewalttaten gegen Journalist*innen und damit gegen die Pressefreiheit dokumentiert: 55 getötete, 550 inhaftierte, 55 in Geiselhaft genommene und 95 unter unklaren Umständen vermisste Medienschaffende sind bis Anfang Dezember für dieses Jahr zu beklagen.
mehr »