In der Belegschaft der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) wächst die Wut. Der Sparkurs der Südwestdeutschen Medienholding geht allmählich an die Substanz, finden viele. Nach pandemiebedingter Kurzarbeit wurden jetzt 50 redaktionelle Arbeitsplätze gestrichen. Die neue Digitalstrategie des Konzerns gefährdet nach Auffassung vieler die Position der „Süddeutschen“ als Marktführerin im deutschsprachigen Qualitätsjournalismus.
Wie andere Verlage schickte auch der Süddeutsche Verlag die SZ-Redaktion im April in Kurzarbeit, trotz des anschwellenden Informationsinteresses der Leserschaft im Zeichen der Pandemie. Nach Abflauen der ersten Infektionswelle erfolgte am 15. September eine böse Überraschung. Da kündigte der Verlag ein „Effizienzprogramm“ an, nötig angeblich zur „langfristigen Konsolidierung“ der SZ. 50 redaktionelle Stellen sollten noch vor Weihnachten wegfallen. Das entspricht zehn Prozent des Gesamtpersonals.
Stellenabbau als Dank für Kurzarbeit? Garniert wurde die Maßnahme mit einem „Freiwilligenprogramm“: Wer länger als drei Jahre an Bord war, bekommt eine Abfindung. Obendrauf gab es eine „Turboprämie“ für alle, schon bis Ende Oktober das Haus verlassen. Offiziell ist der Prozess abgeschlossen, mit ein paar Nachzüglern wird jedoch noch geredet. In der Print GmbH hätten bislang 32 Kolleg*innen beim Deal „Abschied gegen Abfindung“ mitgemacht, wurde der Redaktion mitgeteilt, in der Digital GmbH weitere 12. Vor allem digitalaffine junge Kolleg*innen seien gegangen, aus Furcht vor schwindenden Aufstiegschancen.
Konzernumbau mit Stellenstreichungen
Dass Print- und Online-Kolleg*innen nach wie vor in verschiedenen GmbHs und zu unterschiedlichen Konditionen arbeiten, ist ein ständiger Herd der Unzufriedenheit. Die Print-Redaktion ist tariflich abgesichert, hat kürzere Arbeitszeiten und wird unterm Strich besser bezahlt. Kein Wunder, dass eine Reihe von Digitalkolleg*innen bereits vor den aktuellen Jobstreichungen von sich aus kündigten, hört man aus dem Betriebsrat.
Die Begründung für den Stellenabbau klingt wie anderswo auch: Branchenkrise, Anzeigenschwund, Wegfall von Druckaufträgen in der Corona-Krise. Außerdem, so heißt es aus dem Verlag, seien die Kürzungen schon vor dem Pandemieausbruch beschlossene Sache gewesen. Das stimmt. Bereits im Oktober 2019 hatte die Geschäftsführung der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) angekündigt, 100 Millionen Euro in den Umbau des Konzerns zu investieren, zugleich aber auch Jobs zu streichen. Damals versicherte Christian Wegner, seit Mitte 2018 SVMH-Geschäftsführer, man wolle mit allen Verlagen „weiterhin Top-Journalismus anbieten und im deutschsprachigen Raum Abo-Marktführer für Qualitätsmedien und Fachinformationen werden“.
Das Ganze vor dem Hintergrund einer „Digitaloffensive“, an der sich alle Bereiche der SWMH beteiligen sollen. Bis 2023 will der Konzern über 30 Prozent des Umsatzes mit digitalen Produkten erzielen. Ein ehrgeiziges Unterfangen, allerdings nur gemessen an bisherigen Versäumnissen. Zum Vergleich: Der Axel Springer Verlag überschritt schon 2014 die Marke von 50 Prozent – bei gleichzeitiger Preisgabe publizistischer Ambitionen. An dieser „Erfolgsstory“ orientiert sich offenbar jetzt auch das neue SWMH-Management.
Auflagenstärkstes Regionalzeitungsimperium
Die Holding hatte den Süddeutschen Verlag 2008 für 700 Mio. Euro übernommen. Zu diesem mächtigen Regionalzeitungsimperium mit rund 5.500 Beschäftigten an mehr als 30 Standorten gehören auch Blätter wie „Stuttgarter Zeitung“, „Südwestpresse“, „Heilbronner Stimme“, „Lausitzer Rundschau“ und „Schwarzwälder Bote“. Weitgehend unbemerkt von einer breiteren Öffentlichkeit hat die SWMH 2020 den Springer Konzern als auflagenstärkste Verlagsgruppe abgelöst. Im Gesamtmarkt der Tageszeitungen stieg ihr Anteil auf 11,5 Prozent.
Christian Wegner, zuvor beim Privatsender ProSiebenSat.1, genießt in der Belegschaft keinen guten Ruf. Was Wegner auszeichne, sagte unlängst SWMH-Konzernbetriebsrat Harald Pürzel, sei „Rationalisieren, Leute rausschmeißen, Seilschaften bilden und Kampfduzen“. Wegner, schon bei P7S1 für Digitales zuständig, will nun auch bei der SWMH diesen Bereich kräftig ausbauen. Wegners größte Leistung beim Privatsender, so spotten SZ-Redakteure, sei seinerzeit der Kauf der Dating-Plattform Parship gewesen. Sein erster „Coup“ als SWMH-Frontmann war Anfang 2020 die Übernahme der „7Mind GmbH“, einer digitalen Plattform für Meditation und Achtsamkeit.
Das Kerngeschäft vernachlässigt
Das eigentliche Kerngeschäft werde wohl künftig zu kurz kommen, fürchtet man in der Redaktion. „Die SZ lebt im Prinzip vom Signum Qualitätsjournalismus“, sagt SZ-Betriebsrat und Redakteur Franz Kotteder, „diese Qualität ist aber gefährdet, weil wir immer weniger werden“. Er beklagt eine zunehmende Arbeitsverdichtung und Zeitknappheit bei der Produktion der Tageszeitung. Unter solch widrigen Konditionen mache sich in der Redaktion zunehmend Frustration breit.
Skeptiker argwöhnen, Investitionen in Zeitgeist-Produkte wie „7Mind“ bei gleichzeitiger Ausdünnung der redaktionellen Manpower orientierten sich eher an der Digitalstrategie von Springer: Weg vom Journalismus, hin zu Rubriken- und Vergleichsplattformen, die mehr Profit versprechen.
Dabei sind die wirtschaftlichen Zahlen so schlecht nicht. Zwar sank wie bei fast allen Tageszeitungen auch die Printauflage der „Süddeutschen“ kontinuierlich in den vergangenen zehn Jahren um rund 30 Prozent. Für das 4. Quartal 2020 wies die IVW eine Gesamtauflage (Abo, Einzelverkauf, ePaper) von knapp 278.00 Exemplaren aus. Damit rangiert das Blatt immer noch mit Abstand auf Platz 1 der Qualitäts-Tageszeitungen Deutschlands. Stellt man den statistischen Wegfall von annähernd 20.000 kostenlosen Bord- und Hotelexemplaren im vergangenen Jahr in Rechnung, behauptet sich die SZ sogar gut. Zum Vergleich: Die Auflage von Hauptwettbewerber „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ brach 2020 um satte 8,6 Prozent auf jetzt nur noch gut 176.000 Exemplare ein.
Paradox: Fast zeitgleich mit der Verkündung des Personalabbaus im September 2020 begrüßte der Verlag den 150.000sten Digitalabonnenten der SZ. Was über Plan lag und glatt einer Verdoppelung der verkauften SZ-Plus-Abos innerhalb eines Jahres entspricht. Teilweise verdankt sich der Aufwärtstrend der Corona-Krise: Wie bei anderen Publikationen versetzte der zeitweilige Shutdown vieler Verkaufsstellen für Printprodukte dem Digitalen einen überdurchschnittlichen Schub. Inzwischen stieg die Zahl der Digitalabos auf mehr als 180.000. Bis Ende 2021 will der Verlag auf eine Viertelmillion kommen.
Controller haben beim Digitalisieren das Sagen
Die abnehmende Bedeutung des Kerngeschäfts Tageszeitung dürfte das nicht aufhalten. Mit Leuten wie Konzernboss Wegner, einem promovierten Betriebswirtschaftler und ehemaligem McKinsey-Berater, haben in der SWMH jetzt die Controller das Sagen. Der Verlagsumbau, so ist zu befürchten, dürfte auf Kosten des Qualitätsjournalismus gehen. Denn genau das ist Folge der „Digitalisierungsoffensive“. „Die Investitionsmittel sollen unter anderem über einen Stellenabbau in den klassischen Geschäftsfeldern erzielt werden“, analysierte Medienforscher Horst Röper Mitte 2020 in seinem jährlichen Pressekonzentrationsbericht. Und prophezeite: „Davon werden weiterhin auch die Redaktionen betroffen sein.“
Im schlimmsten Fall könnte das passieren, was Betriebsrat Franz Kotteder bereits Ende vergangenen Jahres auf einer Belegschaftsversammlung augurierte. Einen „Edelstein“ habe die SWMH mit der „Süddeutschen“ erhalten und mache daraus jetzt einen „Isarkiesel“.