Die 10 muss stehen

„Revolution statt Evolution“: Bertelsmann will an die Börse

„Die Zukunft ist bei uns Chefsache“, heißt es in einer doppelseitigen Anzeige, die der Bertelsmann-Konzern seit einigen Monaten in Zeitschriften schaltet. Der Slogan ist einleuchtend, die Anzeige nicht so sehr. Sie erinnert an unzählige Folgen der Serie „Raumschiff Enterprise“: Die tollkühnsten Mitglieder der Besatzung lassen sich auf Welten „beamen“, die nie zuvor ein Mensch betrat.

Das Anzeigenbild zeigt einen etwas unsicher lächelnden Herrn mit Brille und einen offenbar etwas wagemutigeren Begleiter. Beide sind jeweils zur Hälfte schon weg, ein Dritter ist bereits nur noch leuchtende Erinnerung. Der Text zum Bild teilt mit: „Großen Ideen folgen wir. Egal wohin.“ Der Lächler ist Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff, sein gefasst wirkender Kollege ist Rolf Schmidt-Holtz, der Leiter des Musikbereichs. Wer aber mag der dritte sein? Derzeit spricht viel dafür, dass es sich bei ihm um Bernd Kundrun handelt, den Geschäftsführer von Bertelsmann-Tochter Gruner + Jahr.

Besagte Chefsache aus dem Anzeigentext lässt sich in einer Zahl zusammenfassen: 10 Prozent. Bertelsmann ist mit einem Umsatz von knapp 20 Milliarden Euro (Geschäftsjahr 2000/01) und weltweit 70.000 Mitarbeitern größter Medienkonzern Europas und hinter AOL Time Warner, Vivendi Universal, CBS/Viacom und Disney fünftgrößter in der Welt (siehe M 1-2/2000, M 8-9/2001). Middelhoff will den Medienkonzern in drei Jahren an die Börse bringen. Bis dahin soll die Umsatzrendite, die derzeit nur 6 Prozent beträgt, bei 10 Prozent liegen. Damit dieses Unterfangen erfolgreich verläuft, muss der Konzern zwei Voraussetzungen erfüllen: Die Bilanzen müssen stimmen; und Befehlsketten sollten nach Möglichkeit vertikal verlaufen. Kleinere Gesellschafter mit Sperrminorität bei Tochterfirmen sehen Analysten gar nicht gern. Und bei dem Unternehmenszweig, der das meiste Geld bringt, sollte man im besten Fall alleiniger Besitzer sein.

Für Middelhoff heißt das im Klartext: Gruner + Jahr ist zwar enorm stark im Zeitschriftenbereich („stern“, „GEO“), doch die Tageszeitungen („Berliner Zeitung“, „Financial Times Deutschland“) sind Verlustbringer (siehe Artikel). Und der Bertelsmann-Anteil an der RTL-Group (bislang gut 60 Prozent) muss unbedingt erhöht werden. Die Rechnung ist so simpel, dass man kaum BWL studiert haben muss: Tausche Zeitung gegen Fernsehen! Die potenziellen Tauschpartner wurden öffentlich bereits derart aufdringlich gehandelt, dass entsprechende Verträge nur noch Formsache schienen. Wie es der Zufall will, besitzt zum Beispiel der WAZ-Konzern einen kleinen, aber feinen Anteil an der RTL-Group in Höhe von 7,4 Prozent. Eigentlich verstehen die Essener aber vor allem etwas von Tageszeitungen. Während G+J-Chef Kundrun heftig dementiert, spielt Erich Schumann, der hocherfahrene WAZ-Geschäftsführer, verschmitzt auf Zeit und verzichtet auf öffentliche Kommentare. Wenn das Geschäft trotzdem scheitert, dann an der Bertelsmann-Bewertung der Zeitungen, deren Wert der Konzern bei 1,4 Milliarden Mark taxiert; das, findet Schumann, sei „ein stolzer Preis“. Würde der WAZ-Konzern die Zeitungen jedoch gegen seine RTL-Anteile tauschen, bekäme er sie für ein paar hundert Millionen.

Ebenfalls ein Kandidat ist der Holtzbrinck-Konzern, dessen Berliner „Tagesspiegel“ schon jetzt im Vertriebsbereich eng mit der „Berliner Zeitung“ zusammenarbeitet. Nicht mal Kundrun bestreitet, dass es bereits Verhandlungen mit Holtzbrinck gegeben habe, angeblich aber nur über „Möglichkeiten der Kooperation, die helfen könnten, die Qualitätsphilosophie der ,Berliner Zeitung‘ weiter zu entwickeln“. Da das Bonner Bundeskartellamt bereits öffentlich seine Bedenken gegen eine Fusion der beiden Zeitungen formuliert hat, waren die Gespräche aber offenbar keineswegs bloß philosophischer Natur.

Die Zeitungen von G+J werden also vorerst auch weiterhin die Bertelsmann-Bilanz trüben. Damit sie alsbald schon völlig makellos ist, hat Middelhoff dem Konzern ein „Excellence Program“ verpasst. Seine Vorgabe: „Bertelsmann wird ab sofort auf einen möglichen Börsengang vorbereitet.“ Im Interview mit der „Wirtschaftswoche“ wird Middelhoff deutlich: „Wir werden das gesamte Unternehmen durchkämmen und auf Börsentauglichkeit hin trimmen.“ Im Klartext heißt das: Minderheitengesellschafter rauskaufen, umsatzschwache Beteiligungen abstoßen. Und zwar flott: „Geschwindigkeit erhöhen“, fordert Middelhoff; „Revolution statt Evolution“. Markige Worte für einen Konzern, mit dessen Namen die meisten Menschen außerhalb der Medienbranche immer noch einen Buchclub assoziieren dürften. Doch auch der könnte bald Geschichte sein, denn gerade die Bereiche Buch(club) und Musik beeinträchtigen die Konzernbilanz. Das gilt auch für den E-Commerce (Internet-Buchhandel BOL), im vergangenen Geschäftsjahr ein Verlustbringer von 510 Millionen Mark. Die noch vor Jahresfrist vermeintlich zukunfsträchtige Bertelsmann Broadband Group wurde im Februar bei RTL New Media integriert. Der einstigen Geldquelle Bertelsmann Music Group (BMG, zuletzt 4,8 Milliarden Euro Umsatz) drohen in diesem Jahr ebenfalls rote Zahlen. Die Zeitschriften und das TV-Geschäft bieten derzeit zwar auch nicht gerade Anlass zu Jubelsprüngen, doch hier sind die Umsatzrückgänge in erster Linie konjunkturell bedingt: Nach dem Boom-Jahr 2000 beklagt die gesamte Medienbranche heftige Einbußen bei den Werbeumsätzen.

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