Gleichschaltung? Gleiche Schaltung!

Die Medienwelt ist doch immer wieder mal für `ne Überraschung gut. Neulich am Zeitungskiosk – ja, es gibt sie noch, die guten alten Holzmedien – springt es dem Betrachter gleich ins Auge: Alle drei Hauptstadt-Regionalblätter – Tagesspiegel, Berliner Morgenpost und Berliner Zeitung – tragen das gleiche Kleid. „Neueröffnung im Herzen Berlins“ steht da in schwarzen und weißen Lettern auf blauem Grund. Auf der Frontseite! Nanu, fragt sich der argwöhnische Zeitgenosse. Ist es jetzt so weit? Reicht der lange Arm Erdogans, sein Bestreben zur Harmonisierung der Medienlandschaft inzwischen bis in die deutsche Kapitale?

Gleiche Schalte in Berlin!  Foto: kel
Gleiche Schalte in Berlin!
Foto: kel

Beim Entfalten der Blätter klärt sich der Irrtum. Nicht Gleichschaltung, sondern die gleiche Schaltung ein und derselben Anzeige steckt hinter dem Einheitslook der drei Qualitätsorgane. Von Blattdesignern wissen wir: Das Titelblatt ist die Visitenkarte jeder Zeitung. Was wollen uns also die Verlage mit dieser Gemeinschaftsaktion sagen? Kauft doch, wat ihr wollt, is‘ alles eh eine Sauce? Einstweilen wollen wir das nicht glauben. Vielleicht gibt der auftraggebende Kunde, ein großes Berliner Möbelhaus (nein, nicht das mit dem Elch), Aufschluss über den Sinn der erstaunlichen Aktion. Titelblätter, Titelgeschichten, auch das wissen wir längst aus der Medienforschung, sind immer auch Seismographen gesellschaftlicher Trends. Zuletzt dominierte in den Printmedien, vor allem bei den Magazinen, die Liebe zur Scholle: Landlust, Landliebe; Landschaft im weiteren Sinne. Jetzt, da draußen die Terrorgefahr anschwillt, wird offenbar zum Rückzug ins „Schöner Wohnen“ geblasen. Cocooning nennen die Soziologen dieses Phänomen.

Also: Lieber in den neu gestalteten eigenen vier Wänden kuscheln als draußen dem ums Karree schleichenden Dschihadisten ins Messer laufen. Eine etwas resignative Perspektive zwar, aber so isses halt: Wenn man nichts mehr ausrichten kann, richtet man sich ein. Auch die Leseranalysen, das Beharren auf dem eigenen USP, die Fokussierung auf die jeweils eigene Zielgruppe zählen für die kühl kalkulierenden Controller in den Verlagen offenbar nicht mehr. Angesprochen fühlen sollen sich unterschiedslos alle: Zehlendorfer Eigenheimbesitzer, Wilmersdorfer Witwen, Plattenbewohner in Marzahn. Aber Vorsicht! Eine eherne Regel der Unterhaltungsbranche lautet: Wird ein Schlagerstar oder ein Popkünstler in Ausübung seines Berufs erst einmal bei der Eröffnung eines Baumarktes oder Möbelhauses gesichtet, sind seine besten Zeiten definitiv vorbei. Abgehalftert, vorgestrig, out of time – lauten dann die wenig schmeichelhaften Attribute. Vielleicht spielt auch die Auflagenstatistik eine nicht unwichtige Rolle bei der freiwilligen Gleichschaltung der hauptstädtischen Qualitätsmedien: Alle drei Blätter verloren – so weisen es die jüngsten IVW-Zahlen aus – zwischen 9,8 und 12,5 Prozent ihrer Auflage. Innerhalb eines Jahres. Tendenz: Sturz- statt Sinkflug. Da bekommt das Einheits-Blau auf dem Cover des Trios gleich einen tieferen Sinn: Den Hauptstadtblättern steht das Wasser bis zur Kopfzeile.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Ampelbilanz: Von wegen Fortschritt

"Mehr Fortschritt wagen" wollte die Ampel-Regierung laut Koalitionsvereinbarung von 2021 – auch in der Medienpolitik. Nach der desaströsen medienpolitischen Bilanz der vorausgegangenen Großen Koalition, so die Hoffnung, konnte es nun eigentlich nur besser werden. Von wegen. Die meisten der ohnehin wenig ambitionierten Vorhaben der Ampel blieben im Parteiengezänk auf der Strecke. Für den gefährdeten Lokal- und Auslandsjournalismus bleibt weiterhin vieles im Unklaren.
mehr »

Rechtsruck als Geschäftsmodell? 

Der erste medienpolitische Aufreger zur Jahreswende war Elon Musks „Gastkommentar“, samt AfD-Wahlempfehlung in der Welt am Sonntag. Geschickt eingefädelt: Eine Zeitung, die alle sieben Tage gerade noch mal 0,5 Prozent der Bevölkerung erreicht, war mal wieder in aller Munde. Gefreut haben dürfte das nicht nur den Verlag, sondern auch die AfD, hat dieser der extrem rechten Partei doch eine weitere Brücke ins bürgerlich-konservative Lager gebaut.
mehr »

KI-Lösungen: Heise macht es selbst

Das Medienhaus „Heise Medien“ hat kürzlich das auf generative Künstliche Intelligenz (KI) spezialisierte Medienhaus „Deep Content“ (digitale Magazine „Mixed“ und „The Decoder“) aus Leipzig gekauft. Damit will Heise die Zukunft generativer KI mitgestalten. „Deep Content“ entwickelte mit „DC I/O“ ein professionelles KI-gestütztes Workflow-Framework für Content-Teams und Redaktionen. Bereits seit Juni dieses Jahres kooperiert Heise mit „Deep Content“ bei der Produktion des Podcasts „KI-Update“. Hinter der Übernahme steckt die Idee, den neuen Markt weiter zu erschließen und hohe Gewinne einzufahren.
mehr »

Audiodeskription: Die KI liest vor

Die Hälfte der öffentlich-rechtlichen Sender verwendet inzwischen auch synthetische oder mit Künstlicher Intelligenz (KI) generierte Stimmen, um für Fernsehformate Audiodeskriptionen zu erstellen. Das ergibt sich aus Nachfragen von M bei den neun ARD-Landesrundfunkanstalten und beim ZDF. Neben professionellen Sprecher*innen setzen der MDR, WDR, NDR, Radio Bremen und das ZDF auch auf synthetische oder KI-Stimmen für die akustische Bildbeschreibung.
mehr »