Angesichts der globalen Marktmacht von Google, Facebook & Co geraten deutsche Medienkonzerne mehr und mehr ins Hintertreffen. Ihre Gegenstrategien: publizistische Konzentration, Community Building, Produkt-Diversifikation und verstärkte Kooperationen. Strategien, die häufig zulasten von Belegschaften und gewerkschaftlicher Interessenvertretung gehen.
Die Bertelsmann AG schickte sich 1995 an, der global umsatzstärkste Medienkonzern zu werden. Lang ist’s her. In der jüngst vom Kölner Institut für Medien- und Kommunikationspolitik publizierten Rangliste der 100 größten Medienunternehmen für 2016 belegen die Gütersloher nur noch den 15. Platz S.11/12). Unter den Top 50 befinden sich mit der ARD und ProSiebenSat.1 nur noch zwei weitere deutsche Adressen. Ganz oben rangiert einsam Alphabet, der Mutterkonzern von Google und YouTube. Aufsteiger Facebook sprang erstmals unter die Top 10.
Mit enormen Datenmengen, ausgeklügelten Nutzerprofilen und globaler Werbetechnologie dominieren Google und Facebook die Konkurrenz. Fast ein Fünftel des weltweiten Werbemarktes entfällt auf die US-Giganten. Bei den digitalen Werbeumsätzen fällt der Vorsprung noch wesentlich größer aus. Schätzungsweise 70 Prozent des Digitalmarktes und rund 90 Prozent des Wachstums für dieses Jahr dürften an Google und Facebook gehen – so eine Schätzung der deutschen Mediaagenturen.
Dabei sieht die ökonomische Kurzzeitperspektive für die deutsche Medienbranche gar nicht so schlecht aus. Laut der Studie „German Entertainment & Media Outlook 2017–2021“ der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC kann die Branche in den kommenden fünf Jahren mit Wachstumsraten von jährlich 2,4 Prozent rechnen. Allerdings kommt nur in einem großen Marktsegment – der Fernsehwerbung – das Wachstum auch in den nächsten Jahren aus dem Analogbereich. Aber perspektivisch ist klar: Unterm Strich zeigt die PwC-Studie, „dass kräftiges Wachstum in der deutschen Medien- und Unterhaltungsbranche fast nur noch digital möglich ist“. Größter Wachstumstreiber dürfte in naher Zukunft die Online-Werbung sein. Schlechte Nachrichten für die „Holzmedien“: Der digitale Anteil an den Umsätzen im Zeitungen- und Zeitschriftenmarkt werde Margen von 11 bzw. 20 Prozent nicht übersteigen. Das kann nicht ohne Folgen für den Printsektor bleiben.
Krise der Printmedien
Der Niedergang der Tageszeitungen in gedruckter Form fällt dramatisch aus. In den Jahren nach der Wende erreichten die Printmedien vorübergehend Rekordauflagen. Doch schon bald setzte ein schleichender Auflagenschwund ein. Von 1995 bis 2016 sanken die Verkaufsauflagen von 36 Millionen Exemplaren auf 17 Millionen. Eine glatte Halbierung. Durch Erhöhung der Copypreise konnten allerdings die Vertriebserlöse sogar gesteigert werden. Anders beim Werbegeschäft. Das brach zugunsten digitaler Rubrikenmärkte komplett ein. Bemerkenswert ist die Beschleunigung dieses Vorgangs. Galt bis in die neunziger Jahre ein – auch demografisch begründeter – jährlicher Rückgang um ein bis zwei Prozent der Gesamtauflage als normal, so muss in jüngster Zeit von einem galoppierenden Schwund die Rede sein. Der Verlust-Korridor bewegt sich – mit regionalen Unterschieden – Jahr für Jahr regelmäßig zwischen drei und sechs Prozent. Speziell Boulevardblätter wie Bild, BZ und Berliner Kurier erleiden sogar zweistellige Rückgänge.
Einige Größen der Regionalzeitungsbranche suchen ihr Heil in Gemeinschaftsredaktionen. Den Anfang machte Neven DuMont mit der 2010 gegründeten „Hauptstadtredaktion“. Diese beliefert von Berlin aus die verlagseigenen Berliner Zeitung, Kölner Stadtanzeiger und Mitteldeutsche Zeitung sowie als externe Kunden Frankfurter Rundschau und Weserkurier mit Texten aus Politik und Wirtschaft. 2013 folgte Madsack mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Knapp 50 Redakteure liefern aus Berlin und Hannover überregionale Inhalte an mehr als 30 Tageszeitungen – von der Hannoverschen Allgemeinen bis zur Neuen Westfälischen – mit einer Gesamtauflage von etwa 1,5 Millionen Exemplaren. Schließlich die Funke-Gruppe, deren „Zentralredaktion“ mit Sitz in Berlin überregionalen Content für zwölf Blätter mit einer Gesamtauflage von rund 1,3 Millionen produziert. Aus verlegerischer Sicht mag so etwas Sinn ergeben, spart es doch Kosten. Aus gewerkschaftlicher Perspektive ist es ein reines Rationalisierungsmodell. So wurden allein bei den vier Ruhrgebiets-Zeitungen der Funke-Gruppe (früher: WAZ-Gruppe) in den letzten zehn Jahren mehr als die Hälfte von einst 900 Redaktionsstellen abgebaut. Besonders bizarr erscheint das Projekt „Neustart“, bei dem DuMont seit Anfang 2017 in Berlin die Redaktionen des Hauptstadtblatts Berliner Zeitung und des Boulevard-Titels Berliner Kurier miteinander verzahnt. Auf der Strecke bleibt bei alledem die Medienvielfalt. „Mit den Zentralredaktionen“, so Medienforscher und „Formatt“-Geschäftsführer Horst Röper, „wird das Angebot unterschiedlicher Zeitungen einer Verlagsgruppe immer ähnlicher“. Darüber hinaus wird zugunsten einer weitgehend unbekannten Dachmarke das Markenprofil der einzelnen Blätter verwässert.
„Community-Building“
Einige Verlage gehen den umgekehrten Weg. Mittels Community Building wird versucht, die jeweilige Marke durch Interaktion mit den Lesern zu stärken. Unlängst animierte Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo („eine Zeitung muss eine Seele haben“) die Abonnenten seines Wochenblatts zur Gründung eines Freundeskreises. Mit gewaltiger Resonanz. An der Auftaktveranstaltung für „Freunde der Zeit“ in der Hamburger Universität nahmen 1.600 Leserinnen und Leser teil. Wer sich registriert, darf bei Redaktionsbesuchen hinter die Kulissen der journalistischen Arbeit schauen, mit Autoren diskutieren oder im „Leserparlament“ seine Vorlieben anmelden. Eine ähnliche Strategie verfolgt schon seit Jahren der Berliner Tagesspiegel: mit geselligen Autorenlesungen im Verlag, tagesaktuellen Online-Newslettern wie dem „Grimme“-prämierten „Checkpoint“ und wöchentlichen bezirksspezifischen Newslettern. Auf diese Weise gelang es dem Holtzbrinck-Blatt, als einziges auf dem schrumpfenden Berliner Zeitungsmarkt seine Auflage sogar leicht zu erhöhen.
Ein weiteres Rezept der Verlage, sich in Zeiten sinkender Margen aus dem Printgeschäft zu behaupten, ist die internationale Expansion in andere Geschäftsfelder. Zum Beispiel die Bauer Media Group. Mit mehr als 600 Magazinen gilt die Gruppe als Europas größter Zeitschriftenkonzern. Schon seit langem ist Bauer auch im Rundfunk in Europa aktiv. (S.15/16)
Fußball geht bekanntlich immer. Seit Anfang 2017 bündelt der Madsack-Konzern seine Sport-Inhalte auf dem Digitalportal „Sportbuzzer“. Erklärtes Ziel sei es, „das Portal in der Top 10 der deutschen Sportplattformen zu etablieren“. Um die Reichweite zu erhöhen, läuft das kürzlich etablierte Web-TV-Format „Sportbuzzer Fantalk 3.0“ nicht nur im Netz, sondern auch auf dem Spartenkanal Sport1 (Constantin). Mitte November präsentierte Madsack stolz einen weiteren Kooperationspartner: Künftig arbeiten das konzerneigene Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) und Sportbuzzer mit T-Online (Ströer-Gruppe) zusammen. T-Online sei „als reichweitenstärkstes digitales Nachrichtenangebot in Deutschland der ideale Kooperationspartner für das größte Sport-Netzwerk aus regional starken Zeitungsmarken“, ließ Madsack-Sportchef Marco Fenske verlautbaren. Da scheint was dran zu sein: Ein im September testweise von beiden Partnerredaktionen geführtes Interview mit Fußball-Nationalspieler Ilkay Gündogan soll laut Madsack auf den Kanälen beider Medien eine „Reichweite in zweistelliger Millionenhöhe erzielt“ haben.
Während viele Redaktionen – zumindest was die Anzahl der Festangestellten betrifft – personell immer mehr ausbluten, blüht der Stellenmarkt für „Führungskräfte mit ausgeprägter Digitalexpertise“ (Burda). Nicht nur die Münchner buhlen um IT-Spezialisten wie Softwareentwickler und Datenanalysten, die Kompetenz auf Feldern wie Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle, Produktmanagement, Publishing, E-Commerce und Monetarisierungsstrategien aufweisen können. Für das Vorantreiben der digitalen Transformation hat Burda nach einem Bericht des Branchendienstes W+V neue Ziele ausgegeben: „Chatbots, künstliche Intelligenz, Programmatic Print“. Digitalverstärkung holte sich in jüngerer Zeit auch der Spiegel: Die zwölf Mitarbeiter der Tochter „Spiegel Tech Lab“ etwa entwickeln Mobil- und Webangebote sowie neue Apps für die ganze Verlagsgruppe.
Kooperationen
Kampfansage an Google und Facebook aus München. Kein Witz: Focus-Online-Chefredakteur Daniel Steil will nach Informationen des Branchendienstes Meedia sein Portal – zumindest in Deutschland – zum größten Informationsangebot neben den beiden Silicon-Valley-Giganten ausbauen. Den Anfang machte im Sommer eine Kooperation mit der ADAC Motorwelt. Vor allem aber regionalen und lokalen Medien will Steil das Burda-Portal als Vertriebsplattform für ihre Inhalte anbieten. Die bisherigen Erfolge sind beachtlich: Nach einer Testphase mit dem Kölner Express steigt mit der Hamburger Morgenpost jetzt eine weiteres DuMont-Blatt ein. Anvisiert wird auch eine Zusammenarbeit mit der Südwestpresse. Zwar werden die vermarktbaren Reichweiten weiterhin bei den Einzelmedien registriert. Aber Vorteile für Focus Online: Das Angebot der Plattform wird ohne große Mobilisierung zusätzlicher redaktioneller Ressourcen erweitert. Zudem wird die eigene Vermarktungsposition gestärkt im Rahmen einer Gewinnteilung der beteiligten Partner. Dem Vernehmen nach sind bereits mehr als 25 Medien an Bord, darunter allerdings auch einige hyperlokale Medien wie Dortmund24 (Ruhr-Nachrichten) oder Nord24 (Ostsee Zeitung). Ob diese Plattform tatsächlich Google und Co. das Fürchten lehrt? Wohl kaum. Eine Konkurrenz für die existierenden Redaktionsnetzwerke von Madsack und Funke ist sie jedoch allemal. Madsack konterte inzwischen – wie bereits erwähnt – mit der Kooperation mit T-Online.
Unter dem Marktdruck von Google & Co. schließen die Verlage zunehmend die Reihen, zumindest unterhalb des redaktionellen Wettbewerbs. Beim „Publishers´ Summit“ des VDZ Anfang November in Berlin brachte Burda-Vorstand Philipp Welte die „neue Gemeinsamkeit“ auf den Punkt: „Statt auf Konfrontation müssen wir auf Kooperation setzen und das auch an unseren sensiblen Marktschnittstellen.“
Seit sieben Jahren organisieren Burda und Funke (S.14/15) den Vertrieb in ihrem gemeinsamen Unternehmen MZV. Bereits 2012 haben Bauer, Springer (S.12/13) und Burda ihre Markt-Media-Forschung gebündelt, Funke sowie Gruner+Jahr stießen später dazu. Seit 2014 vermarkten Springer und Funke ihre Titel unter dem Gemeinschaftsdach Media Impact. Auch neue Player mischen den Markt auf. Mit Ströer Digital und Otto Group Media formierten sich im Frühjahr Deutschlands größter Onlinevermarkter und der größte Inhaber digitaler Daten zu einer Allianz. Anfang des Jahres kündigten auch ProSiebenSat.1 und Zalando ein ähnliches Bündnis an.
Mit der von ver.di kritisierten Liberalisierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) werden solche Bündnisse weiter zunehmen. Auch die aktuellen Verhandlungen zwischen dem Grosso-Verband und Springer, Bauer, Burda, Funke, Klambt und Spiegel finden unter diesen Vorzeichen statt. Kürzlich schloss sich auch Gruner+Jahr dieser Koalition an. Die Zeiten, da die Verlage noch als „Hundertschaften von Kleinstanbietern im Longtail des Werbemarktes“ (Welte) agierten, dürften bald definitiv vorbei sein.
Ausblick
Aus gewerkschaftlicher Sicht ist der neue Trend zur „nationalen Gegenwehr“ der deutschen Konzerne gegenüber den US-Riesen ein zweischneidiges Schwert. Die Kooperationsstrategien mögen die Wettbewerbsfähigkeit hiesiger Medienunternehmen verstärken. Die Kehrseite besteht in einer zunehmenden Erschwernis betrieblicher Interessenvertretung. Denn die Gründung von Joint Ventures und anderen Formen der Zusammenarbeit geht meist einher mit Zersplitterung und Auslagerung einzelner Verlagsaktivitäten, in deren Gefolge auch die Tarifgebundenheit ausgehebelt wird. Wo Synergieeffekte erzielt werden sollen, geschieht dies regelmäßig zulasten von Arbeitsplätzen. Und die Politik? Die Forderung, die EU müsse europäische Gegengewichte zu Google, Amazon, Facebook und Apple – oder kurz GAFA – schaffen, erscheint unrealistisch. Und wird auch von der neuen EU-Digitalkommissarin Mariya Gabriel abgelehnt. „Wir brauchen kein europäisches Google“, konstatierte Gabriel unlängst in der Süddeutschen Zeitung, „wir müssen uns auf unsere eigenen Ideen und Innovationen konzentrieren“. Auch Lutz Hachmeister, Direktor des Kölner Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik, sieht aktuell kaum Handlungsspielraum in Europa, schon mangels effektiver Aufsichtsbehörden: „Solange es keine satisfaktionsfähige Institution wie die Ofcom in Großbritannien oder die Bakom in der Schweiz gibt, kann man sich alle weiteren medienpolitischen Bemühungen sparen.“ Zudem gebe es zurzeit „keine profilierte Person, die im politischen Raum Medien- und Netzpolitik zusammendenken könne“. Das ist wohl wahr: In der Programmdebatte der inzwischen gescheiterten „Jamaika“-Strategen spielte Medienpolitik faktisch keine Rolle. Erst recht illusionär erscheine der Gedanke, den US-Multis könne auf nationaler Ebene Paroli geboten werden. „Ein Konzern wie Springer könnte ja mühelos von Amazon übernommen werden, aber da dürfte das Interesse gering sein.“ Angesichts des ökonomischen Gefälles zwischen den GAFAs und deutschem Medienkapital rät Hachmeister zu Bescheidenheit: „Es gibt eine Chance des Überlebens im kleinen Biotop.“ <<