Kürzungen und Entlassungen bei Umstrukturierung in Oldenburg
Der Neubau des Verlagshauses der Nordwest-Zeitung (NWZ) ist trotz der Coronapandemie pünktlich fertig geworden. Im Oktober soll der Umzug aus der Oldenburger Innenstadt in den nördlichen Stadtteil Etzhorn beginnen. Dennoch will bei den Beschäftigten in Niedersachsen keine rechte Freude aufkommen. Denn bereits im Mai hatte die Geschäftsführung der Nordwest-Zeitung Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG verkündet, dass es aufgrund der Pandemie zu Kürzungen, Umstrukturierungen und sogar Entlassungen kommen werde.
Die Zeitungsbranche galt schon vor Corona als krisengeschüttelt. Und auch in Oldenburg war bereits im vergangenen Jahr von Kürzungen die Rede. Dann stieg die Reichweite von Zeitungen in der Corona-Krise noch einmal deutlich an. Vor allem die Klickzahlen im Internet. Andererseits brachen die Anzeigenerlöse im analogen Printgeschäft weg. Sie liegen seit Jahresbeginn deutlich niedriger als zuvor, weil viele Unternehmen ihre Werbung reduziert oder zwischenzeitlich ganz eingestellt hatten. Für das Gesamtjahr werden im Anzeigengeschäft Umsatzeinbußen um bis zu zwei Fünftel befürchtet. Unter den Printmedien mit redaktionellem Inhalt sind die Anzeigenblätter besonders betroffen. Ein Trend, der jedoch schon vor der Pandemie begann. Nun gehen aber auch die Verkäufe zurück, weil es weniger Publikumsverkehr gibt, beispielsweise an Bahnhöfen. Acht Prozent der Verkaufsstellen waren im Frühling dieses Jahres geschlossen, heißt es vom Verband der Zeitschriftenverleger (VDZ).
Im März und April war deshalb auch bei der NWZ Kurzarbeit angesagt. Doch damit nicht genug. Trotz schlechter Prognosen hatte der Betriebsrat die im Mai angekündigten Entlassungen noch abwenden wollen und der Geschäftsführung einen umfangreichen Einsparplan vorgestellt. Der wurde zwar zur Kenntnis genommen, aber nicht als Grundlage weiterer Entscheidungen in Betracht gezogen. „Wir sind der Meinung, dass es Alternativen gab“, sagt der Vorsitzende des Betriebsrats Jan Lehmann. Der Betriebsrat ist enttäuscht über das Vorgehen der Geschäftsführung.
Schon seit Jahren trägt die Belegschaft Einsparmaßnahmen mit, in der Hoffnung das Unternehmen und die Arbeitsplätze in ihrer bisherigen Form erhalten zu können. Denn der Konzern ist stetig in Bewegung. Über die Jahre wurden immer neue Geschäftsfelder dazugekauft. Und so gehören heute neben Tageszeitungen und Wochenblättern auch Anteile an Hörfunk, Fernsehen, Online-Medien sowie eine Druckerei und eine Logistikfirma zum Konzern.
Als eines der ersten Unternehmen der Branche hatte der Verlag 2004 die neuen Möglichkeiten auf dem Sektor der Arbeitnehmerüberlassung genutzt und mit der „Nordwest-Personaldienstleistungsgesellschaft“ (NWP) eine eigene Zeitarbeitsfirma gegründet, die Redaktions- und Verlagsbeschäftigte an den Mutterkonzern verlieh. Eine Praxis, die erst 2012 auf Druck des Betriebsrates wieder abgeschafft wurde. Einen Tarifvertrag haben die Angestellten des Verlages dennoch bis heute nicht. Der Konzern ist seit 2011 Mitglied ohne Tarifbindung (OT) im Verband Nordwestdeutscher Zeitungsverlage und kommt so in den Genuss der Dienstleistungen des Verbandes, ohne selbst Tarifvertragspartei sein zu müssen. Stattdessen zahlt die NWZ nach einer Vergütungsordnung, die der Arbeitgeber seinerzeit in einer Einigungsstelle gegen den Betriebsrat erzwungen hat.
In der konzerneigenen Druckerei WE-Druck wird zwar noch nach Tarif bezahlt, doch auch dort möchte man sparen. Falls der Betriebsrat nicht klein beigebe, drohte Geschäftsführer Harold Grönke kürzlich, könne er auch einfach verkaufen. Rechtsanwalt Helmut Platow von ver.di begleitet die Betriebsräte seit vielen Jahren und kennt das Geschäftsgebaren des Oldenburger Medienkonzerns. In diesem Fall hält er einige Kündigungen für anfechtbar: „Falls die Kollegen an anderer Stelle im Betrieb weiterarbeiten können, werden wir das prüfen.“ Für den Großteil der 26 Gekündigten sei der juristische Weg allerdings keine Lösung, wenn die Anzeigenproduktion bei der NWZ endgültig zum behaupteten Zeitpunkt stillgelegt würde. Daher hat der Betriebsrat nun andere Wege beschritten. Für die Mitarbeiter*innen, die ihre Arbeitsstelle verlieren, soll für 12 Monate eine Transfergesellschaft eingerichtet werden. Die Kolleg*innen erhalten eine Abfindung und verzichten auf ihre Kündigungsfrist. Die Kündigungen betreffen vor allem die Druckvorstufe, die komplett ausgelagert werden soll. Unter den Gekündigten sind auch drei Mitglieder des Betriebsrates. Mit ihnen und den anderen Kolleg*innen will die Geschäftsführung am liebsten gar nicht erst in das neue Gebäude ziehen. Daher soll die Transfergesellschaft auch schon im Oktober beginnen.
„Das ist aus unserer Sicht unsozial, da die Kündigungsfrist von bis zu 7 Monaten dann vollständig mit in die Transfergesellschaft einbracht werden muss. Zweck der Kündigungsfrist ist es, für einen bestimmten Zeitraum mit dem bisherigen Einkommen sicher kalkulieren zu können. Die NWZ verlangt demgegenüber von ihren Arbeitnehmer*innen, dass sie vom ersten Tag an auf die Kündigungsfrist verzichten und nur noch 80 Prozent ihres bisherigen Nettoeinkommens erhalten. Da sie in den restlichen Monaten der Transfergesellschaft auch nur dieses Einkommens erhalten, davon jedoch 60 oder 67 Prozent durch die Agentur für Arbeit getragen werden, finanzieren sie praktisch die Transfergesellschaft selbst. Für den Arbeitgeber ist das ein Nullsummenspiel“, bemängelt Platow.
Auch die Redaktion ist von den Kürzungen betroffen. Entlassungen gibt es zwar keine, dennoch soll ein Umbau stattfinden. Drei kleinere Außenredaktionen sollen geschlossen werden, freie Stellen werden nicht nachbesetzt. Der Umfang des Mantels soll reduziert werden. Gleichzeitig möchte Grönke Ressourcen vom Überregionalen ins Lokale verschieben und den Lokalteil ins erste Buch der Zeitung rücken. Auch die betriebliche Vereinbarung zur Altersteilzeit läuft zum Jahresende aus. Zwar machen Konzern und Corona es den Kollegen schwer, sich zu organisieren, aber so ganz ohne gewerkschaftlichen Protest läuft dann der Umbau auch bei der NWZ nicht ab. So protestierten die Beschäftigen Ende August auch im Rahmen einer aktiven Mittagspause vor dem Verlagsgebäude (Foto), um die Verhandlungen rund um den neuen Sozialplan angemessen zu begleiten. 50 bis 70 Kolleg*innen versammelten sich, darunter auch einige ehemalige Beschäftigte. „Die Solidarität war groß“, freut sich auch Betriebsrat Lehmann.