Die Mitteilung am 31. Juli war knapp und eindeutig: „In einer weiteren Sondersitzung der IRT-Gesellschafterversammlung konnte heute kein tragfähiges Modell für eine Fortführung des Instituts für Rundfunktechnik gefunden werden.“ Damit steht das vor 65 Jahren gegründete international anerkannte Institut für technische Grundlagenforschung voraussichtlich vor dem Aus. Betroffen sind rund 100 Beschäftigte in München-Freimann.
„Trotz intensivster Bemühungen war es nicht möglich, eine belastbare wirtschaftliche Zukunftsperspektive für das IRT zu erarbeiten“, heißt es in der Verlautbarung. Monatelang wurde im Gesellschafterkreis um ein Zukunftskonzept für das IRT gerungen. Die Gesellschafter – das sind die neun Landesrundfunkanstalten der ARD, das ZDF, Deutschlandradio, Deutsche Welle sowie die öffentlich-rechtlichen Sender aus Österreich und der Schweiz. Vorsitzende der Gesellschafterversammlung ist die Technikdirektorin des Bayerischen Rundfunks, Birgit Spanner-Ulmer. Mit Verzögerung stellte sie sich am 4. August auf der IRT-Versammlung den Beschäftigten. „Mehr als ein paar Worte des Bedauerns und vage Andeutungen, der BR überlege, bestimmte Aktivitäten in eigener Regie weiterzuführen, hatte sie nicht zu bieten“, heißt es aus Betriebsratskreisen. Unter diesen Umständen sei die Hoffnung auf eine positive Wende „eher gering“.
Im Dezember 2019 hatte das ZDF als erste Anstalt den Vertrag gekündigt. Der Patentrechte-Skandal von 2017 sei nicht der Grund für den Ausstieg gewesen, habe aber bei der senderinternen Abwägung eine Rolle gespielt, erklärte ein ZDF-Sprecher damals. Mit Blick auf das Haftungsrisiko waren kurz darauf alle anderen Gesellschafter diesem Schritt gefolgt. Zur Begründung hatten die Mainzer angegeben, der Bedarf des ZDF nach „rundfunkspezifischem Knowhow, wie es das IRT vorhält“, sinke. Für Experten nicht nachvollziehbar, gilt doch das 1956 gegründete Institut in der internationalen Wissenschaftscommunity als Pioniereinrichtung bei der Entwicklung technischer Lösungen im Rundfunk- und IT-Bereich. Zuletzt arbeitete man zum Beispiel am Mobilfunkstandard der 5. Generation (5 G).
Ein Dreivierteljahr hingehalten
Auch auf gewerkschaftlicher Seite war die Kündigung des Gesellschaftervertrags auf Unverständnis gestoßen. „Die Rundfunkanstalten wären ohne die weltweit anerkannten Standards wie MP3 und dessen Nachfolgemodelle oder den mit einem Emmy-Award ausgezeichneten IP-Audio-Standard AES67 aufgeschmissen“, bemerkte seinerzeit ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz.
„Die Stimmung ist wahnsinnig schlecht“ beschreibt Annette Greca, ver.di-Projektmanagerin bei connexx-av München, die aktuelle Gefühlslage der Belegschaft. „Fast ein Dreivierteljahr wurden die Kollegen und Kolleginnen hingehalten, die Betriebsräte vertröstet.“ Sehr viele der hochqualifizierten Mitarbeiter*innen hätten schon Angebote anderer Unternehmen bekommen. Aber mit Beginn der Corona-Krise sei für die meisten ein Wechsel zunächst nicht infrage gekommen – trotz der unsicheren Zukunft des IRT.
Während der langwierigen Verhandlungen sah es danach aus, als gebe es die Option, das Institut in verschlankter Form weiterzuführen. Durch die Reduzierung der Belegschaft, so das Kalkül der Geschäftsleitung, sollte es Teilen der Gesellschafter schmackhaft gemacht werden, die Kündigung zurückzuziehen und an Bord zu bleiben. Gedacht war an eine Personalstärke von bis zu 60 Mitarbeiter*innen. Einsparungen sollten vorwiegend durch Auslagerung von Manpower im nichtoperativen Bereich, also Verwaltung, Finanzbuchhaltung etc. erzielt werden, berichtet Annette Greca.
Zwischen Anstaltsfronten zerrieben?
Dem Vernehmen nach sollen vor allem die kleineren Anstalten bis zuletzt um den Erhalt des IRT gekämpft haben. Tragfähig wäre diese Lösung aber nur gewesen, wenn sich neben dem BR mindestens einer oder zwei der größeren Gesellschafter wie NDR und WDR oder vielleicht sogar das ZDF auch dazu bereit erklärt hätten. Das abschließende Votum Ende Juli fiel indes negativ aus. Vielfach erweckt es den Anschein, als hätten dabei auch ARD-interne Rivalitäten und anstaltsegoistische Motive eine Rolle gespielt. NDR und WDR zum Beispiel, so argwöhnt das Branchenmagazin „Radioszene“, hätten in Sachen Digitalisierung mit dem BR viele Jahre über Kreuz gelegen. Anstelle des Digitalradiostandards DAB+ wollten sie lieber DVB-T oder ihre 100 Kw-UKW-Sender behalten. Daher sei es „nicht wirklich verwunderlich, dass sie nun dem IRT den Stinkefinger zeigten“.
Der Bayerische Rundfunk bedauert die Entscheidung „mit Blick auf die Mitarbeitenden und auf die große Fachexpertise des IRT“. Man habe sich „intensiv darum bemüht, das IRT zu erhalten und sich mehrfach bereit erklärt, überproportionale Lasten in Kauf zu nehmen“. Allerdings hatte BR-Intendant Ulrich Wilhelm zuvor unter Hinweis auf das GmbH-Gesetz wiederholt eine besondere Verantwortung als „federführende Anstalt“ beim IRT abgelehnt und stattdessen auf die Verantwortung aller Gesellschafter verwiesen. *(Hinweis vom BR unter dem Beitrag 12.08.20) Das ZDF wiederum, das mit seiner Kündigung den Stein ins Rollen gebracht hatte, verwies darauf, im Gegensatz zu den meisten anderen Gesellschaftern weder einen eigenen Sendernetzbetrieb zu unterhalten noch über eigene Radioprogramme zu verfügen. Was die „Radioszene“ zu dem sarkastischen Kommentar veranlasste, das Zweite wolle einfach Geld sparen, „das in Lizenzen für Traumschiffe und Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen besser angelegt erscheint“.
Für Beschäftigte, Know-how und den Wissenschaftsstandort
Die Entscheidung der Gesellschafter gegen eine Fortführung ist auch „für uns nicht nachvollziehbar“, erklärte Luise Klemens, Landesbezirksleiterin von ver.di Bayern. Denn das IRT stehe „nicht nur für jahrzehntelange Kompetenz in der Grundlagenforschung, sondern sollte nach den vorliegenden Konzepten zur Restrukturierung auch in Zukunft die technische Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sicherstellen“. Man sei auch bereit gewesen, zum Erhalt der Arbeitsplätze tarifliche Einschnitte insbesondere bei der betrieblichen Altersvorsorge in Kauf zu nehmen. Schon im Frühjahr hatte der Betriebsrat ein Freiwilligenprogramm vorgeschlagen, um betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Verhandlungen über einen Sozialplan sollen nun frühestens Mitte September beginnen.
Noch wollen sich die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen nicht mit dem IRT-Aus abfinden. Man appelliere an die Staatsregierung, „zusammen mit den Beschäftigten und uns dafür zu sorgen, dass der Wissenschaftsstandort Bayern nicht diesen herben Rückschlag verkraften muss“, insistiert Luise Klemens. Auch aus dem politischen Raum kommt Unterstützung, unter anderem von den Grünen und der Linken. Horst Arnold, SPD-Fraktionschef im bayerischen Landtag, appellierte in einem Brief an CSU-Ministerpräsident Markus Söder, sich im Interesse des Medien- und Wissenschaftsstandorts Bayern „für die Prüfung einer Weiterführung des Instituts zu engagieren“. Das wäre ganz im Sinne regelmäßiger Warnungen des CSU-Mannes, Deutschland könne „technologisch den Anschluss zur Weltspitze verlieren, wenn in Zukunftsbereichen wie der Künstlichen Intelligenz“ nicht mehr Geld investiert werde.
Offene Flanke für die Giganten
ver.di-Projektmanagerin Greca hofft nach wie vor, „dass sich die Gesellschafter noch etwas einfallen lassen“. Denkbar wäre zum Beispiel eine Aufsplittung der Aufgaben des IRT: So könnten einzelnen Rundfunkanstalten bestimme Projekte zugeordnet oder diverse Kompetenzzentren in Regie einzelner Sender betrieben werden. Bei Beachtung der gebotenen Staatsferne sei auch eine öffentlich-rechtliche Konstruktion vorstellbar, bei der das IRT an eine Wissenschaftseinrichtung wie die Technische Universität oder das Münchener Fraunhofer-Institut IKS angebunden würde.
Scheitern diese Bemühungen, wäre das ein Fiasko für die ARD („Wir sind Eins“), speziell aber für den scheidenden BR-Intendanten Wilhelm. Der hatte sich in den letzten Jahren engagiert für den Aufbau einer europäischen Medien-, Wissenschafts- und Kulturplattform eingesetzt – als Gegengewicht zur Dominanz US-amerikanischer Internet-Giganten. Genau diese Konzerne stehen jetzt dem Vernehmen nach in München bereits in Lauerstellung. Annette Greca: „Wenn demnächst hochqualifizierte IRT-Kollegen frei werden, nehmen Google, Apple Microsoft & Co. dieses Angebot wahrscheinlich dankend an.“
Zusätzliche Informationen auch hier: https://mmm.verdi.de/medienwirtschaft/innovationen-aus-freimann-44755
*Hinweis auf einen „irreführenden Bezug“
12.08.2020
M erhielt vom Bayerischen Rundfunk folgende Stellungnahme:
Der Satz „Allerdings hatte BR-Intendant Ulrich Wilhelm zuvor unter Hinweis auf das GmbH-Gesetz wiederholt eine besondere Verantwortung als „federführende Anstalt“ beim IRT abgelehnt und stattdessen auf die Verantwortung aller Gesellschafter verwiesen.“ im siebten Absatz impliziert durch den Beginn mit „Allerdings…“, dass es eine besondere Verantwortung als federführende Anstalt tatsächlich gegeben hat. Dem ist aber nicht so.
Korrekt ist: Das IRT ist in der Geschäftsform einer GmbH organisiert und wird von 14 Gesellschaftern getragen. Es gelten die einschlägigen gesetzlichen Regelungen, insbesondere das GmbH-Gesetz und die dort geregelte Aufgabenteilung und Eigenverantwortung der Organe der Gesellschaft. Diese sind die Gesellschafterversammlung und die Geschäftsführung.
Eine andere explizite Regelung einer besonderen Verantwortung der „Sitzanstalt“, die der BR im Falle des IRT ist, hinsichtlich einer rechtlich selbstständigen Gemeinschaftseinrichtungen der ARD existiert auch in den Regelwerken von ARD und ZDF nicht. Dafür spricht auch die Vereinbarung in § 10 Abs. 4 der Satzung des IRT, wonach der Vorsitz in der IRT-Gesellschafterversammlung unter den Rundfunkanstalten wechseln soll.
Folglich gibt es beim IRT keine „Federführung“ bzw. generelle „Zuständigkeit“ einer Landesrundfunkanstalt, wie sie bei einzelnen rechtlich unselbstständigen Gemeinschaftseinrichtungen festgelegt ist und dieser herausgehobene Durchgriffsrechte einräumt. Alle Entscheidungen werden im Gesellschafterkreis, also von allen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten als Gesellschafter gemeinsam getroffen.
Red.